News.me: Die „New York Times“ und das geheimnisvolle Social Magazine

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News-Distribution war noch nie ein Problem. Das Social Web hat Wege und Mittel gefunden, um aktuelle Nachrichten auf eine ganz eigene Art zu verbreiten: „Das gefällt mir!“ impliziert immer die Frage: „Dir auch?“ Auf diese Weise durchläuft statischer Content ziemlich dynamisch Evolutionsstufen des Interesses, um mit viel Glück am Ende durch hohe Klickzahlen geadelt zu werden. Für die Nutzer sind Apps wie FlipBoard ein Segen, denn sie entreißen Empfehlungen ihrer Dialogbox-Umgebung und präsentieren sie übersichtlich, leicht recherchierbar und vor allem schmackhaft. Noch einmal: News-Distribution war noch nie ein Problem.

Deshalb weiß ich nicht genau, in welche Richtung die „New York Times“ mit ihrer neuen Kooperation steuern möchte. Die Zeitung ist eine Partnerschaft mit BetaWorks eingegangen, ein Start-Up, das unter anderem hinter TweetDeck und dem URL-Verkürzer Bit.ly steht. Im Vordergrund steht ein gemeinsames Projekt mit dem Codenamen News.me (siehe Logo). Dabei soll es sich um einen sozialen Nachrichtendienst handeln, der zunächst und noch in diesem Jahr auf dem iPad seine Premiere feiern soll. Später könnte auch an eine Desktop-Implementierung folgen.

Wie die NYT mitteilt, befindet sich das Projekt seit rund sechs Monaten in der Entwicklung; sowohl die Zeitung als auch BetaWorks haben Außenstehenden gegenüber Stillschweigen vereinbart, weshalb die Infos noch spärlich sind. „Wir realisieren damit eine Vision, wie Social-Sharing und das Echtzeitnetz den Medienkonsum künftig beeinflussen“, sagte Michael Zimbalist, Researcher der NYT. News.me sei ein Prototyp, der in erster Linie von beiden Parteien entwickelt wird, um daraus zu lernen. Doch wo die Reise wirklich hingeht, ist offenbar auch der NYT nicht klar. Zimbalist macht jedoch deutlich, dass die Zeitung seine Erfahrungen in Sachen „Unternehmenskultur“ am Beispiel eines „Start-Ups“ aufpolieren möchte.

Man zwingt sich also dazu, sich mit Social Media zu beschäftigen. Es ist in etwa so, als wenn man sich im Fitnessstudio anmeldet: Was einen fortan an die Hantelbank zieht, ist nicht sportlicher Ehrgeiz, sondern das schlechte Gewissen angesichts der Monatsgebühr.

News.me funktioniert nach einem einfachen Prinzip, nämlich „Was gefällt?“. BetaWorks‘ Rolle wird von dieser Seite betrachtet von vielen weit unterschätzt. Tatsächlich gibt es kaum ein Unternehmen, das soviel Überblick darüber hat, was wir lesen, welche Videos wir schauen und was uns allgemein interessiert. Als Anbieter von Bit.ly hat BetaWorks Zugriff auf einen großen Teil der mittlerweile über 50 Millionen Tweets, die täglich durch das Netz geschickt werden – eben durch die angehängten Links. Einen Algorithmus zu entwickeln, der hier die heißesten Themen herausfiltert und sie im FlipBoard-Stil aufbereitet, dürfte eine Kleinigkeit sein. Man rechnet noch Location-Abfragen dazu und schon haben wir nicht nur das aktuellste, sondern auch das persönlichste iPad-Magazin, das derzeit auf dem Markt zu haben ist.

Die Frage ist: Wer ist hier der Profiteur? Der Nutzer ganz sicher. Doch wer hier aber seinen Reibach machen kann, ist nach wie vor alleine der Herausgeber der App. Der Content-Anbieter schaut in die Röhre, da die Inhalte unter seiner Hand ausgetauscht werden. Publisher haben Monatarisierungsschwierigkeiten, weniger ein Vertriebsproblem. Die einzige Möglichkeit, Gewinn aus der Kooperation zu schließen, bestünde für die NYT darin, die Vermaktung der App zu übernehmen. Doch wie soll das gehen? Nichts gegen die Qualität der Zeitung, doch den angesagtesten „Buzz“ des heutigen Internets wird man nur schwerlich auf Ressortseiten wie „Wirtschaft“, „Ausland“ und „Kultur“ finden. News.me wird sich schwerpunktmäßig mit Apple-Keynotes, YouTube-Clips (BetaWorks auch hat Bitly.TV gelauncht, das die meistverlinkten Videos sondiert), Justin Bieber und ICanhasCheezburger beschäftigen – Inhalte, von denen die NYT zum einen keine Ahnung hat und zum anderen auf diese keinen Zugriff hat. Ist dies das Unternehmensmodell des künftigen Journalismus? Die Besteuerung mobiler Kanäle unter Einbeziehung fremden Contents?

➤ Siehe auch: Pressetext – „New York Times: Irgendwann ist Schluss mit Print / Herausgeber setzt auf Druckstopp und neues Bezahlmodell“

2 Kommentar

  1. Habe News.me gerade mal abonniert (Newsletter für mein Twitteraccount – per Email). Morgen früh gibt’s die erste Mail, mal sehen, wie der Dienst ist. So viel dazu. (Catching up on old reminder… 😉 )

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