Twitter killed the RSS-Stream

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Wer als Leser oder Journalist zwecks Mediensondierung auf dem Laufenden bleiben will, kommt an RSS nicht vorbei. Das Gesetz wurde etwa vor fünf, sechs Jahren geschrieben, als Nachrichten plötzlich „gepusht“ und nicht mehr „gesucht“ wurden. Der Vorteil lag auf der Hand: Meine persönliche Leselandschaft liegt in ordentlicher und übersichtlicher Chronologie vor mir. Schnell gewannen RSS-Dienste an Bedeutung, zunächst Client-basierte Lösungen, die allerdings schon nach kurzer Zeit durch Netz-basierte Angebote abgelöst wurden, da auf diese Weise die abonnierten RSS-Stream überall verfügbar waren. Der Google Reader und Bloglines, eine Tochter der Suchmaschine Ask.com, waren und sind bis heute die populärsten Anbieter dafür. Doch irgendetwas hat sich verändert…

Wie Ask.com am Freitagabend mitteilte, wird Bloglines zum ersten Oktober komplett eingestampft. Es gab im vergangenen Jahr bereits zaghafte Versuche, die RSS-Plattform abzustoßen, doch die wenig ambitionierte Käufersuche verlief ins Leere. Nun laufen Nutzer Sturm, weil die einzig gescheite Alternative zu Google plötzlich aufgelöst werden soll. Doch der Schritt ist verständlich.

Der erste Grund ist einfach: Für Ask.com war der RSS-Reader seither ein Seitenprojekt fernab des Kerngeschäfts (der Suche). Der zweite Grund ist ebenso einleuchtend: RSS war niemals richtig massentauglich. Als ich vor wenigen Tagen einen Workshop für angehende Journalisten geleitet habe, fragte ich in die Runde, wer mit dem Begriff „RSS“ etwas anfangen könne – und bekam ein bedeutungsvolles Schweigen als Antwort. Der dritte Grund ist dafür umso heikler: Bloglines und RSS im Allgemeinen werden zusehend irrelevant. Schon im Februar hatte HitWise eine interessante Studie veröffentlicht, aus der hervorging, dass Facebook die News-Seite von Google als Traffic-Lieferant Nummer eins für Medienseiten nicht nur überholt, sondern beinahe vernichtet hatte.

Es hat sich eine völlig neue Dynamik innerhalb der Wissensgesellschaft in Gang gesetzt, die sich auf Auswahl und Art des Medienkonsums auswirkt: Ich suche nicht länger News – die News finden mich. Und Social Media ist das genau das Radar, das immer häufiger die relevanten Informationen taxiert und gleichzeitig gezielt streut. Twitter ist eine Linkschleuder für empfehlenswerte News, ein Echtzeit-Tool, das anders als RSS auf die User zukommt und überflüssigen Info-Ballast von vornherein ausfiltert.

Seit Mitte des Jahrzehnt konnten RSS-Dienste Zuwächse verzeichnen. Der Boom hielt bis zum Herbst 2009, seitdem flachen die Zugriffszahlen rapide ab. Über das Jahr gesehen, hat der Google Reader bei den Visits 27 Prozent einbüßen müssen, bei Bloglines waren es gar 71 (!) Prozent. Ask.com ist sich des Trends bewusst und scheut sich deshalb auch nicht vor klaren Worte gegenüber den Nutzern:

As Steve Gillmor pointed out in TechCrunch last year, being locked in an RSS reader makes less and less sense to people as Twitter and Facebook dominate real-time information flow. Today RSS is the enabling technology – the infrastructure, the delivery system. RSS is a means to an end, not a consumer experience in and of itself. As a result, RSS aggregator usage has slowed significantly, and Bloglines isn’t the only service to feel the impact. The writing is on the wall.

Es bleibt abzuwarten, wie Google die Sache bewertet. Google Buzz hat sich jedenfalls noch nicht zum würdigen Nachfolger des Readers entwickelt.

10 Kommentar

  1. Durchaus nachvollziehbar das ganze. Ich frag mich auch immer wieder warum ich eigentlich von manchen RSS und Twitter und Facebook abonniert hab. Eines reicht doch und wenn ich entscheiden müsste welchen Dienst… RSS wäre es nicht.

  2. @Markus: Jep, ich sehe da auch mittlerweile Probleme bei der Koordination. Twitter hat darüber hinaus aber auch den Zusatzwert, dass Infos hereinkommen, die eben nicht immer verbloggt oder in einem Artikel verfasst sind. Noch ist RSS unverzichtbar, doch ich schätze, dass wir dem in einem Jahr nicht mehr hinterhertrauern…

  3. @André Schön wär es ja wenn man ganz drauf verzichten könnte, auch was das Problem des Content Klaus angeht. Aber leider gibt es eben doch noch genug Dienste für einen Webmaster die eben auf einen Feed zugreifen. Also so ganz werden wir ihn wohl doch nicht „vergessen“. Aber evtl. kann man dann wenigstens auf Short Feed umstellen ohne das man gleich schimpfe bekommt 🙂

  4. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass RSS noch nicht weit verbreitet ist. Trotzdem verwunderlich, dass Journalisten RSS nicht nutzen. Zum Scannen von News (in Nicht-Echtzeit) ist es hervorragend geeignet und wird darum auch überleben. Immerhin will ich meinen Twitter-Account nicht mit zu vielen News-Kanälen verstopfen.

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