WordPress-Zwangsmigration: Microsoft und die 30 Millionen Blogger

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Die News ist Dienstagnacht wohl ein wenig untergegangen. Für Microsoft war es aber auch der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, um das Ende der eigenen Blog-Plattform auf der TechCrunch Disrupt zu verkünden – gerade in dem Moment, in dem AOL die Übernahme von TechCrunch bekannt gab. Sei es drum, nehmen wir Microsoft das Kalkül nicht übel.

Seit sechs Jahren bietet Microsoft Live Spaces an, einen Dienst, der es auch Anfängern ermöglicht, sich in Windeeile ein eigenes Blog zusammenzuklicken. Bis heute haben sich dem Netzwerk rund 30 Millionen Blogger angeschlossen – ein ganz schöner Batzen, also. Auf der gestrigen Konferenz hieß es dann überraschend, dass die Plattform komplett aufgelöst werden soll – Microsoft ist eine Partnerschaft mit Automattic eingegangen, dem Laden, der hinter WordPress steht.

Alle 30 Millionen Blogs sollen nun innerhalb des kommenden halben Jahres wohl oder übel zu WordPress umziehen. Posts, Bilder und Kommentare werden dann automatisch kopiert, als Zeichen der Anerkennung will Microsoft zudem eine URL-Weiterleitung zum WordPress-Server anbieten, damit Stammleser nicht auf der Strecke bleiben. Als kleinen Zusatzbonus für Live-Nutzer werden künftige Blog-Updates automatisch bei Messenger Connect bekannt gegeben. Die Alternative: Wer nicht umziehen will, bekommt das Spaces-Blog nach Ablauf der Frist automatisch gelöscht. Ihm bleibt jedoch auch die Möglichkeit, seine Daten so lange als kompaktes Backup herunterzuladen und auf der eigenen Festplatte zu speichern.

Unter die neue Regelung fallen nicht nur Spaces-Blogs, sondern auch alles, was bei Live Writer veröffentlicht wird – alles landet früher oder später bei WordPress.

Stellt sich die Frage: Was ist denn da los? Microsoft hatte immer einen schweren Stand im Social Web und auch wenn Live Spaces keine sonderlich progessive Plattform war, so war sie doch stets eine erfolgreiche. Zum Vergleich: Alle WordPress-Blogs der Welt zusammengerechnet kommen gerade einmal auf 26 Millionen. Warum verabschiedet sich Microsoft also von diesem populären Produkt? Microsoft selbst gibt eine Antwort:

Als wir uns angesehen haben, was unsere Kunden von Blogs erwarten und was verschiedene Unternehmen hierfür anbieten, haben wir uns besonders für WordPress interessiert. (…) Anstatt in Windows Live als konkurrierenden Blog-Dienst weiter zu investieren, haben wir uns für das entschieden, was am Besten für unsere Kunden ist, indem wir ihnen eine großartige Blog-Lösung durch WordPress.com bieten.

Da bleibt einem schon ein wenig die Spucke weg. Hat Microsoft gerade zugegeben, dass andere Unternehmen den Job besser machen und man angesichts hervorragender Leistungen lieber auf den Wettbewerb verzichtet? Es scheint so. In anderen Bereichen (zum Beispiel im Mobilfunk), wo die Innovationen weit fortgeschritten und der Markt zusehends gesättigt ist, wird jedoch nicht so gedacht (Windows Phone 7).

Übrigens wurde über die finanziellen Hintergründe des Deals kein Wort verloren. Es gibt bereits interessante Spekulationen über eine etwaige Übernahme von WordPress durch Microsoft. Erst würde die Migration durchgeführt, dann das Gesamtpaket gekauft. 56 Millionen Blogs mit einer Leserschaft in n-facher Potenz ist ein gigantisches Diskurs-Netzwerk, das sich für eigene Zwecke gut nutzen ließe. Zudem hat WordPress-Erfinder Matt Mullenweg in den vergangenen Monaten den Kuschelkurs mit Microsoft auch öffentlich verstärkt. Nach einer MS-Konferenz, bei der er als Speaker auftrat, hieß es später bei Beobachtern: „Ist Matt ein Kunde oder ein Mitarbeiter? Beides scheint nicht zu passen. Wir wissen alle, dass Matt ein Anwalt für Open-Source ist. Wird WordPress ein Dienst von Windows Azure werden?“

Windows Azure ist die monströse Cloud-Plattform, die bei Microsoft den Kurs „Weg vom Desktop – rein ins Netz!“ wesentlich mitsteuern soll.

2 Kommentar

  1. In diesem Fall hat Microsoft anscheinend eine gute Entscheidung getroffen. Viel Geld werden sie nicht von Automattic erwarten können, jedoch, genau wie im Fall Facebook, auf eine langjährige Partnerschaft, die sich in anderen Unternehmensbereichen wieder bezahlt macht.

    Auf der anderen Seite kann sich Microsoft eine Aufgabe des Mobiltelefonsektors nicht leisten, da z.B. auch im Businessbereich Apple oder Google immer mehr aufholen und sich viele Dienstleistungen (Office, etc.) in diesen Bereich verlagern.

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