Jubel der Wirtschaft: „So lasst uns denn die Blogosphäre abreißen!“

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Der heutige Tag brachte vor allem eins zum Vorschein: den Willen zur Macht. Das klingt verwegen pathetisch, doch es trifft den Kern der Sache ziemlich gut. Es wurde ein Blog zerstört, der Urheber der Handlung war ein Unternehmen, das nun einen seiner seltenen Triumpfe feiert – dieser wird wohl der größte in der Geschichte des Hauses sein. Und hoffentlich der letzte.

Was hier passiert ist, ist nicht der folgenreiche Fauxpas eines Blogger-Deppen, der zu blöd war, seine Rechnungen zu bezahlen. Die betreffende Person war sicherlich in Kenntniss über ihre Rückstände, allein der Drang fehlte, diese zu begleichen, da es – wenn auch einen rechtlichen – jedoch keinen einzigen moralischen Anlass gab, hier nachzugeben. Das klagende Unternehmen hat in unzähligen Kommentaren das bekommen, was es verdient: Geprellte, Gelumpte, Reingelegte – alle meldeten sich zu Wort. Die deutsche Blogosphäre bot ihnen das Forum dafür, wer sonst hätte auch zugehört? Außer vielleicht die Verbraucherzentralen, die für schmucke 1,86 Euro/Minute aus dem deutschen Festnetz (Mobilfunkpreise abweichend) ebenso routiniert wie stoisch ihre Beschwerden verwalten.

Ich selbst habe an anderer Stelle mit diesem Unternehmen mehr als einmal einprägsame Erfahrungen gemacht. Der Kontakt wird über einen Kanzleibrief von der Stange hergestellt. Die Textbausteine besagen, dass man diffamierendes Material auf dem Blog gefunden habe und je weiter sich der Leser zur funkensprühenden Drohung vorarbeitet, desto länger werden die Wörter und justiziabeler das Vokabular. Einige Blogger knicken pauschal ein, andere halten eingehende Rücksprache mit ihren Anwälten, ehe die Kommentare von den Seiten genommen werden. Wieder andere halten kurz den befeuchteten Finger in die Community-Luft, wittern vielleicht einen profitablen Linkbait, bis auch bei ihnen der Mut schwindet und die Kommentare getilgt werden.

Was heute passiert ist, war und ist ein Machtspiel, in dem eine Partei „Rufmord“ schreit, um gleich darauf alle Anwesenden mundtot zu machen. Denn die Wirtschaft (wie im Übrigen auch die Politik) weiß, dass die freie Presse wohl das gefährlichste aller Aufklärungswerkzeuge der Öffentlichkeit ist: Der gärende Widerstand der Blogosphäre hat Frau von der Leyens Pläne gestoppt. Auf riskante (und geschäftsschädigende) Datenlecks wurde zuerst durch Blogs aufmerksam gemacht. Die BP-Sauerei im Golf von Mexiko wurde nur so lange von etablierten Medien begleitet, bis das Murren im Social Web verstummte. Und viele vergessen, dass Wikileaks keine Nachrichtenagentur, keine Redaktion ist; die freie und unabhängige Presse – kurzum: Blogs – übernehmen die Äußerung der Kritik, die in deutschen Zeitungen und Magazinen längst verstummt ist. Blogs schaffen eine Öffentlichkeit, die aufgrund des Quoten-, Auflagen-, und Klick-Drucks draußen bei den Etablierten keine Chance hätte. Und wie wir sehen, haben viele Wirtschaftsvertreter eine Scheißangst davor.

Welch ein Tag also für dieses Unternehmen. Vom neuen Übermut zeugt vor allem auch der joviale Abschiedsgruß an das treue Publikum, man ließ es sich nicht nehmen, den Vorhang selbst zu schließen; dort, wo früher die offene Bühne der Diskussion war, prangt nun das stolze Firmenwappen. Auf völlig legale Art und Weise hat es das Unternehmen geschafft, das verhasste Beschwerdeforum mit einem Mausklick zu schließen. Und mehr als unverschämt lachend wird da noch der Menge entgegen gerufen, dass man sich auf die nun aufbäumende Kritik freue. Völlig legal.

5 Kommentar

  1. Mir wäre damals vor knapp 2 Jahren beinahe das selbe passiert. Denn Ich bekam eine Abmahnung von einem ehemaligen Hoster, über selbigen Ich einen Texte verfasst hatte in dem Ich kein gutes Haar an eben diesem Hoster gelassen hatte.

    Erst bekam Ich eine E-Mail mit der Aufforderung den betreffenden Text doch bitte umgehend offline zu stellen. Nachdem ich dieses nicht tat, gab es dann eine Schriftliche Abmahnung, worauf hin ich Rücksprache mit einem Fachanwalt für Internet-Recht hielt und mich danach dann entschloss, den betreffenden Text offline zu schalten, wenn auch mit Wut im Bauch.

    Seid diesem Vorfall damals versuche Ich, solche Texte in denen Ich mich über Unternehmen und deren Geschäftspraktiken auslasse, so zu gestalten das vom Terminus her keine direkte persönliche Beleidigung oder speziell, Verletzung der Ehre mehr Vorliegt. Das ist schwer und gelingt mir nicht immer sofort, wobei Ich dann auf „Helfende Leser“ zurückgreifen kann welche Mich auf zu drastisch formulierte Worte aufmerksam machen.

    Selbst bei dieser ganzen Prüfung, bin Ich nicht davor pauschal gefeit das eine Anwaltskanzlei sich hinsetzt und mein Archiv durchsucht. Zumindest war das einer der Beschreibung, die mein Fachanwalt bezüglich meines Vorfalls damals abgab.

    Die Rechtslage ist wirr bezüglich des Internet, und wird es so lange auch bleiben, wie sich keine Gruppierung dagegen stark macht und auch langfristig somit für Veränderungen sorgt.

  2. Wie formulierte einst jemand in einem Kommentar zu einem ähnlichen Thema: „Deutsche Hoster und deutsche Domains eignen sich nicht für kritische Themen“

    Wie recht er hat.

  3. @Lexx: Ist ein heikles Thema. Gerade beim oben genannten Unternehmen (ist es dir aufgefallen? Ich habe es mit keiner Silbe erwähnt), sollte man mehr als Vorsicht walten lassen. Auf BT haben wir fast jeden Monat einen anwaltlichen Wisch bekommen – u.a. deshalb, weil BT inkl. kritischer Posts über der Unternehmensseite bei Google gerankt war. So etwas bleibt Einzelkämpferaufgabe – man sieht ja, dass im aktuellen Fall die Öffentlichkeit nichts ist, wovor die Angst haben…

  4. Wie schön, dass sich diese Sorge heute erledigt hat. Dabei gehe ich mal davon aus, dass diese Entscheidung Bestand haben wird. Tatsächlich scheint die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt worden zu sein. Deshalb hat René seine Domain zurück. Als Inhaber ist er wieder eingetragen – ich habs selbst geprüft. ^^ Ein guter Tag für die deutsche Blogsphäre. Allerdings muss das nicht immer so ablaufen. Der Wert von Nerdcore stellte bei der Entscheidung wohl einen wichtigen Aspekt dar.

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