Schleichwerbung: Gekaufte Texte bei deutschen Zeitungen an der Tagesordnung? (Update)

Bitte scrollen

Also, wenn das kein Aprilscherz ist, bezweifle ich, dass wir in den kommenden Tagen davon etwas in der Tagespresse werden lesen können – etwa aus Scham. Die Tageszeitung („taz“) will bei den deutschen Zeitungen einen Schleichwerbeskandal aufgedeckt haben, der – sollte es denn so stimmen – unser „Bloggergate“ als lächerliches laues Lüftchen dastehen lässt.

Worum es geht: Sebastian Heiser hat sich für die „taz“ als Mitarbeiter einer Werbeagentur ausgegeben und bei verschiedenen Printmedien angeklopft, um in Erfahrung zu bringen, ob man denn für den Kunden redaktionell etwas drehen könne. Anders ausgedrückt: Er fragte nach direkten Möglichkeiten, PR-Botschaften im berichtenden Teil der Blätter unterzubringen. Das Erstaunliche ist, dass sich die Empörung bei einigen Zeitungen in Grenzen hielt – im Gegenteil: Einige Verlagsvertreter zauberten für diesen Wunsch fertige PR-Angebote aus der Schublade, als seien derlei Anfragen an der Tagesordnung. Im Folgenden die Zitate der Mitarbeiter, so, wie sie die „taz“ notiert hat:

„Westdeutsche Allgemeine Zeitung“

„Ein vierseitiges Banken-Spezial ohne Anzeigen in der Gesamtausgabe kann ich Ihnen zum Gesamtpreis von 117.500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer anbieten.“

„Frankfurter Rundschau“

„Wir wollen Anzeigenumsatz generieren und insofern – wenn Sie heute mit dem Thema ‚Solarenergie‘ kommen, dann machen wir halt nächste Woche das Thema Solarenergie.“

„Die entsprechenden Informationen und die Grundinformationen würden von Ihnen geliefert. Die Texte werden dann von unserer Service-Redaktion entsprechend aufbereitet.“

„Frankfurter Rundschau“, Ressort: Reise

„Wenn ich eine ganze Seite buche, dann kann man schon über die zweite Seite redaktionell reden. So als Hausnummer.“

„Neues Deutschland“

„Wir haben hier auch richtig redaktionelle Beiträge, die wir uns über Produktionskostenzuschüsse bezahlen lassen.“

Sollten diese Äußerungen aus den Vermarkter-Kundengesprächen stimmen, wäre das wohl nicht nur ein Fall für den Presserat, sondern auch für die Gerichte, da nach § 4 (3) des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die Schleichwerbung (also nicht explizit gekennzeichnete Werbung) streng verboten ist. Die „taz“ hat vor der Veröffentlichung ihres Artikels die Verlage um Stellungnahmen gebeten. Alle adressierten Sprecher wiesen die Vorwürfe bei dieser Gelegenheit jedoch zurück: „In unseren Verlagssonderveröffentlichungen können nur Anzeigen gekauft werden, keine Texte“, hieß es etwa von der WAZ. Ich habe eben noch einmal dort nachgefragt und wurde ebenfalls mit Hinweis auf diese Antwort bedient, eine weitere Anfrage läuft beim Sprecher der Mediengruppe – ich kann einfach nicht glauben, dass das stimmt. Übrigens: Die „Frankfurter Rundschau“ konnte sich offenbar bis jetzt noch zu keinem offiziellen Statement durchringen.

Spannend ist die Methode, wie sich der „taz“-Reporter Zugang zum journalistischen Teil der Zeitungen verschaffte:

Er hatte erklärt, er berate Firmen bei der Entscheidung, in welchen Medien sie Anzeigen schalten. Dabei habe er sich darauf spezialisiert, ein „geeignetes Umfeld“ zu finden. Dies gilt in der Branche als ein Codewort für Schleichwerbung. Wenn eine bezahlte Veröffentlichung nicht schon durch ihr Layout als Anzeige zu erkennen ist, muss sie nach den Landespressegesetzen mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet werden. Die drei genannten Zeitungen wollten die fraglichen Seiten mit Begriffen wie „Verlagssonderveröffentlichung“, „Anzeigensonderveröffentlichung“ und „Beilage“ kennzeichnen.

Offenbar gab es lediglich zwei Medien, die den falschen PR-Mann haben abblitzen lassen: Der „Spiegel“ und das „Handelsblatt“, das sich nicht auf „irgendwelche Koppelkisten“ einlassen wollte.

Update

Ich ärgere mich mächtig darüber, dass die „taz“ eine so gut recherchierte Story an einem 1. April (!), freitags (!) gegen 17 Uhr (!) veröffentlicht. Vermutlich haben sie in meiner Anleitung für Bombenleger (Regel Nr. 9) geschmökert. Bislang hat kein einziges Medium die Geschichte aufgegriffen – selbst die nicht, die sich korrekt verhalten haben. Wie auch immer: Die „taz“ hat am Abend noch einmal nachgelegt: Sebastian Heiser erläutert im Blog die rechtliche Bewertung der Schleichwerbung. Außerdem wurden die kompletten Recherche-Ergebnisse offen gelegt. Ziemlich erschütternde Statements sind dabei. Unter anderem:

Zu „Neues Deutschland“:

Ich sage, dass auch ein Autohersteller zu unseren Kunden zählt. Der würde sich fragen, ob nicht eines seiner Fahrzeuge vorgestellt werden könnte. “Da kann ich Ihnen überhaupt keine Zusagen machen”, sagt der Mitarbeiter, “weil der Autoredakteur ein großer Stinker ist, der es schon fertig gebracht hat, unseren fast einzigen Autokunden so richtig mies runterzumachen redaktionell.” Der Hersteller habe anschließend drei Jahre lang keine Anzeigen mehr geschaltet.

Zur „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“:

Bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung kann man Artikel per Katalog bestellen. Der Katalog liegt schon für mich auf dem Schreibtisch bereit, als ich den Raum zu dem Gespräch mit dem Mitarbeiter betrete. “Sonderwerbeformen – Daten und Preise” steht auf dem Titel, und dahinter kommen rund 60 Seiten voller Angebote zum Kauf von Anzeigen und Artikeln.

Zur „Frankfurter Rundschau“:

Der Themenplan beschreibt auch, wie diese Themen in der Serie mit insgesamt drei Seiten verteilt werden sollen. Wenn das erscheint, dann wäre es eine kaum verhohlene Anleitung zur Steuerhinterziehung. Der Mitarbeiter schweigt, und er schweigt lange. Schließlich sagt er: “Grundsätzlich kein Problem.”

Zur „Märkischen Allgemeinen Zeitung“:

Der Mitarbeiter erklärt, für eine halbe Seite mit Anzeigen könnten wir eine weitere halbe Seite mit Artikeln bekommen. Die Seite wird, wie von mir gewünscht, nicht als “Anzeige” gekennzeichnet, sondern als “Sonderveröffentlichung”.

Zur „GEO Saison“:

Ein Qualitätsabfall sei “nicht feststellbar für die Leser”. Der glaube, er habe ein ganz normales Geo-Saison-Heft vor sich: “Weil es muss ja so aussehen, dass der Leser denkt: Das ist ganz normal meins.”

Bild: Flickr – Fotograf: dantaylor

7 Kommentar

  1. Unabhängigen Jounalismus, gibts den überhaupt noch? Trotzdem ist so etwas natürlich schon erschütternd. Sofern es nicht doch noch ein Aprilscherz ist.

  2. Die Werbe- und Vertriebserlöse fallen seit Jahren, da liegt es doch auf der Hand, dass viele kreativ werden. Redaktion gegen Anzeige ist heute in vielen Fällen bedauerlichweise Alltag – traurig aber wahr.

  3. Besorgniserregende Geschichte. Umso unverständlicher wieso sie am 1. April veröffentlicht wird und mir vor diesem Blogeintrag noch nirgendwo anders begegnet ist.

  4. Lächerlich. Das „Aufdecken“ der taz ist genauso sensationell und neu, als wenn ich sagen würde, dass jeden morgen die Sonne aufgeht. Solche „Sonderwerbeformen“ liegen nicht nur in den Schubladen der jeweiligen Medienberater, sondern werden in der Regel auch ganz offensiv angeboten; und das seit Jahrzehnten!

Kommentare sind geschlossen.