EHEC: dpa löst Pressestelle des Gesundheitsministeriums offiziell ab

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Was für ein Start in die Woche! Island explodiert und spuckt das alles verschlingende Aschemonster in unseren Luftraum, Herr Kaiser kokst mit Salz, die Sexbestie Strauss-Kahn besticht das Zimmermädchen und all dies geschieht, während das EHEC-Bakterium in Form von Radieschen (oder waren es Spargel, Erdbeeren?) bundesrepublikanischen Boden erobert.

Und gerade zum letzten Punkt möchte ich etwas sagen. Was, bitte schön, ist los mit Deutschland? Ich habe die vergangenen Stunden die Berichterstattung zu EHEC immer mal wieder beobachtet und mir läuft es kalt den Rücken herunter. Minütlich gab es neue Horror-Meldungen – wie zu erwarten war, vor allem von der Lokalpresse. Wer einen EHEC-Fall im Ort hatte, berichtete darüber. Wer ihn nicht hatte, berichtete, dass es noch keinen gab. Zur Stunde sind noch alle dabei: der Boulevard, die Magazine, die überregionale Tagespresse und mit größtem Genuss auch die Pharmablätter.

Die Informationen sind rar gesät, tatsächlich weiß nur das Robert Koch Institut (RKI) Bescheid und das hat seine Jungs gerade im Feld, genauer gesagt in Hamburger Kantinen, Schulkombüsen und bei Gülle-Bauern im Umland. Alles andere ist Spekulation, doch jeder, der einen „Dr.“ vor dem Namen stehen hat, wird zum Interview zitiert, damit wir alle wissen, was wir nicht wissen: Schwarz auf Weiß oder live in Farbe.

Es ist ein Chaos in der Berichterstattung, von der man von unserem Kenntnisstand aus nicht einmal sagen kann, ob sie unverhältnismäßig ist. Ich habe bis jetzt lediglich eine Stimme ausmachen können, die zu bedachtsamer Berichterstattung mahnte – und das war der „Weser Kurier“ (!). Es ist eine Orientierung von Nöten, doch wer soll in dieser Lage für Klarheit sorgen? Etwa die Politik?

Nein, dies wäre von einem Gesundheitsministerium mit einem Etat von 15,8 Milliarden Euro zu viel verlangt. Die deutsche Gesundheitspolitik sonnt sich in diesen Tagen im Eigenglück, denn zunächst muss das Gesicht des Neuen herumgezeigt werden. Das Stelldichein des FDP-Jünglings Daniel Bahr ist heute die Top-Story auf den Seiten des Ministeriums. Zum Thema „Daniel Bahr über gesundheitspolitische Herausforderungen, seine Heimat Münster und sonntägliche Gewohnheiten“ wurde sogar ein kleines Video-Interview ins Netz gestellt, in dem unser neuer Minister den Eindruck macht, als hätten hinter der Kamera ein Duzend goldiger Katzenbabys gespielt. Dem Infobedürfnis von über 80 Millionen Bundesbürgern wird in Sachen EHEC lediglich nachgekommen, indem dem Kobert Koch Institut ein Link spendiert wird. Erwartungsgemäß war die Seite des Instituts heute mehrere Male down.

Übrigens, was die Deutschen nicht hinbekommen, meistern die Österreicher mit Bravur: rund 750 Kilometer Luftlinie von Hamburg entfernt, klärt das dortige Gesundheitsministerium im Vorfeld auf und nimmt medialer Panikmache den Wind aus den Segeln. Hierzulande schaut die Politik dem Treiben zu. Wir erfahren lediglich: „Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) telefonierte mit Burger (Anm: RKI-Präsident), um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.“ Einen Eindruck von was? Seinem Standing in der Wissenschafts-Community?

Während all dies geschieht, übernimmt in Deutschland eigentlich nur ein Player das gesamte Infomanagement in Sachen EHEC: die Deutsche Presseagentur. Sie besorgt Informationen von der Front, lässt Reporter in Krankenhäusern abhängen und sogar Kantinen besuchen, um dort nachzubohren, ob denn morgen auch noch knackige Salate auf der Karte stünden. Die völlig überforderte Lokalpresse stürzt sich auf jeden dpa-Infohappen, selbst bei den Etablierten (Spiegel, Focus, Stern) kommt keine einzige EHEC-Meldung ohne ein „Mit Material von dpa“ aus. Dass es sich bei all den Details um einen Nachrichtenfundus mit wackeliger Statik handelt, dürfte dabei jedem klar sein. Die Politik sieht die Bevölkerung mutmaßen, spekulieren, Spargel boykottieren und lässt Handlungsanweisungen maximal über Mittelsleute verlautbaren; wie über die Wissenschaftler des RKI, die – no offence – keine Ahnung von Informationsdistribution, dafür zur Zeit aber auch andere Sorgen haben. Nicht einmal der sonst so joviale Regierungssprecher Steffen Seibert durfte auf Twitter zur Aufklärung beitragen.

Daher nominiere ich nun hiermit und offiziell Wolfgang Büchner für den Posten des neuen Gesundheitsministers! Niemand hat heute für soviel zur Aufklärung – und Verwirrung – beigetragen, wie der Chef der Deutschen Presseagentur.

4 Kommentar

  1. Genau genommen gibt es kaum ein Thema auf den Nachrichtenportalen von Stern, Spiegel und Co., das ohne den Hinweis „Mit Material der dpa“ auskommt. Und auch bei vielen Lokalblättern besteht der überregionale Teil komplett aus dpa-Meldungen ohne jegliche Eigenleistung der jeweiligen Redaktion. Mit dem Rest hast Du jedoch völlig recht, die Informationspolitik der öffentlichen Stellen ist eher so mittel.

  2. Hi Jörn,
    dass die Lokalpresse im überregionalen Teil voll auf Agenturen setzt, ist klar. Allerdings kommt selbst im Regionalen nur dpa beim Thema zum Einsatz. Bei Spiegel und Co. hat man den Eindruck, als habe dort (zumindest am Dienstag) niemand einen Hörer in die Hand genommen. Die sind fünf dpa-Meldungen zum Hintergrundbericht verschmiert worden. Schau dir doch mal überall die Hygiene-Ratgeber an – kommen alle von der einen Quelle. 🙂

  3. Wie gut das ich als freischaffender Schreiber/Autor-Blogger nicht auf die DPA angewiesen bin, weil ich mir meine Quellen immer noch selbst suche. 😉

    Die Informationspolitik der Behörden ist meiner Ansicht nach nicht vorhanden, pures Desinteresse nach dem Motto „Friss oder Stirb“ was die Bevölkerung angeht. Die Politik interessiert sich nur noch für sich selbst, das ist schon seid Jahren so und wird immer schlimmer. Und dann fragt noch wer warum ich nicht wählen gehe…

    Interessant ist zudem mal die Frage, warum solche Erreger und Viren immer zu nur erst in Industriestaaten ausbrechen?

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