Nein, Google+ ist keine gute Blog-Plattform: Blogs sind gute Blog-Plattformen

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Ich versuche nur, die Diskussion ein wenig abzukürzen. Welche Diskussion? Nun eben jene, die in ein paar Tagen oder Wochen aufkommen wird, wahrscheinlich zunächst in den USA, dann als deutsche Zweitverwertung: „Ist Google+ die bessere Blog-Plattform?“ Bislang ist diese Frage bei fast jedem neuen 2.0-Dienst aufgetaucht, ob bei Twitter, Facebook oder Quora – immer wieder wird die irre Theorie in den Raum geworfen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Blogs seit zwei, drei Jahren aus dem Social Web gedrängt werden. Facebook und Twitter haben längst übernommen, sowohl was die Produktion als auch die Distribution angeht. Die meisten Links, die auf diesen Diensten hin- und hergeschossen werden, verweisen auf kommerzielle News-Seiten. Erst an zweiter Stelle kommen Marken-Angebote und dann der User Generated Content. Im vergangenen Oktober schrieb ich einen Blog-Post, der sich mit dem nahenden Ende von Social Media auseinandersetzte. Die Idee zum Titel stammte nicht von mir, sondern von einigen Kritikern, die angesichts schwindender Ambitionen bei Privat-Anwendern (die immer mehr konsumieren und immer weniger produzieren), hysterische Stimmung verbreiteten: YouTube-Clips anschauen? Yeah! Flicker-Alben durchblättern? Yeah! Status-Updates kommentieren? Gefällt mir! Eigene Inhalte erstellen? Och, nö…

Die Entwicklung ließe sich damit rechtfertigen, dass die Art des Contents sich eben gewandelt hat. Offenbar sind im privaten Rahmen heute lange Texte out, ebenso selbst gedrehte Dokumentationen oder bereichernde Bilderstrecken. Die Produktionstätigkeiten der überwältigenden Mehrheit der derzeitigen Netzbürger bestehen aus „Thumbs up!“, „RT“ und „+1“. Gerade der Start von Google+ hat dies gezeigt. Noch hat das Netzwerk nicht seinen festen Platz im Social Web gefunden, viele sind orientierungslos und scheuen sich davor, schon jetzt ihre Prioritäten festzulegen. So werden alle Kanäle gleichzeitig bedient und die neuen Mitglieder von Google+ werden Zeugen von ebenso redundantem wie selbstreferentiellem Link-Geschubse: Ich finde keine News, dieselbe News findet mich – und das gleich hundertfach.

Blogs sind die letzte Bastion des Handgemachten. Der Erfolg sozialer Netzwerke liegt darin begründet, dass sie leicht zu bedienen sind. Blogs sind es nicht für jeden. Doch soziale Netzwerke können auch niemals ihre Funktion einnehmen: Es fehlen der infrastrukturelle Rahmen und vor allem die relevante Aufmerksamkeitsspanne. Blogs fordern eine Form des Zentralismus, der bei Facebook und Google+ nicht gegeben ist: Sie sind verlinkbare Quellen und einzigartige Bezugspunkte, die politisch oder weltanschaulich oder einfach meinungsbildend klare Positionen im Raum beziehen. Das kann bis heute kein Netzwerk leisten.

Wahrscheinlich soll dieser Post ein verstecktes Plädoyer für die Wiederentdeckung der Blogosphäre sein – oder etwas Ähnlichem. Das Social Web wurde aus dem Gedanken des Sozialen geboren: Vernetzung, Teilen, Austausch. Von der Substanz, die einmal damit einher ging, ist heute nicht mehr all zu viel zu spüren, die sozialen Anteile werden immer geringer. Wir drehen uns im Kreis und flüchten uns zu den kommerziellen Inhaltsanbietern, die uns die Arbeit abnehmen, eine eigene Meinung zu bilden und zu äußern. Ich bin gelangweilt von den zehn, fünfzehn immer gleichen Quellen, die nach Schema F dem Anspruch nach Berechenbarkeit folgen.

Die Voraussetzungen für ein starkes Social Web sind so gut wie nie zuvor. Doch nun, da wir den allumfassenden kommunikativen Rahmen haben, wissen wir nichts damit anzufangen. Und begnügen uns damit, uns gegenseitig Links zuzuschieben und hin und wieder mal ein „LOL“ oder „WTF“ vom Stapel zu lassen. Ja, ich denke, das sollte ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Blogosphäre sein – und nicht mal ein verstecktes. Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, dass sich Anbieter von Blog-Software überlegen, wie sie ihr Produkt wieder zum Allgemeingut machen können. Das Bild von Blogs hat sich seit wohl über einem halben Jahrzehnt nicht gewandelt – eine Ewigkeit in heutigen Maßstäben.

20 Kommentar

  1. Einzelne Google+-Beiträge sind ebenso verlinkbare Quellen (sofern der Verfasser sie öffentlich macht) und eindeutig identifizierbar. Deinen »Das kann bis heute kein Netzwerk leisten«-Standpunkt verstehe ich deswegen nicht so ganz.

  2. @Francesco: Es sind aber keine zwangsläufig öffentlichen Quellen. Du hast niemals die Garantie, einen öffentlichen Diskurs in Gang zu bringen.

  3. Wenn ich einen G+-Beitrag öffentlich verfasse, dann ist er zwangsläufig öffentlich und kann von jedem gelesen werden. Mitdiskutieren kann dann evtl. nicht jeder, weil man dazu einen G+-Account braucht. Falls du das meinst: das kommt aus deinem Artikel nicht unbedingt hervor. Falls du das nicht meinst, warte ich auf deine Antwort. 🙂

  4. Als »Plädoyer für die Wiederentdeckung der Blogosphäre« finde ich Deinen Text ganz gut. Ironischerweise mag ich Dir dafür kein +1 geben.

    Es wird ganz einfach so sein, dass diejenigen, die wirklich Bock auf schreiben, bloggen, wie auch immer haben, auch einen Blog haben werden, schon aus Gründen der Eigenwerbung (Stichwort: Zentralisierung). – Aber die Masse der User sind nun mal Konsumenten und bevorzugen entsprechende Massenmedien; Social Networks sind die neuen Fernseher.

  5. @Francesco: So ähnlich! 🙂 Ein Diskurs ist in sozialen Netzwerken nicht leicht nachvollziehbar. Schau dir Rivva an, z.B..: http://rivva.de/122605240 Wo findet die Diskussion statt? Nicht auf Twitter. Hier wird nur der Link herumgereicht. Zig Rezipienten, kaum Produzenten.

    @kadek „Social Networks sind die neuen Fernseher.“ – das ist es wohl. 🙂

  6. Hallo André!

    Interessante Ansicht, die du da hast. Es wird doch irgendwie immer wieder was neues heraus gebracht und die Blogosphäre tot gesagt, aber irgendwie sehe ich das nicht so!

    Twitter, Facebook, MySpace und wie sie alle heißen mögen: Niemand hat es geschafft, das die Blogs verdrängt werden. Hier in Deutschland sind Blogs zwar nicht so verbreitet wie z. B. in den USA, aber irgendwie hieße das auch Gurken mit Bananen zu vergleichen:
    Beide sind krumm, lang und unter Anderem auch essbar! 😉

    Ich habe selbst keine Ahnung wo überall einen Account, aber mein kleines Blog bei meinem Freehoster würde ich deshalb nie aufgeben!
    Für die Recherche zu einem neuen Artikel oder zur Verbreitung eines solchen sind diese „sozialen Medien“ gerade recht, aber als Ersatz für ein Blog kann ich mir das irgendwie nicht vorstellen.

    Wie Kadekmedien schreibt: Die Massen der User sind Konsumenten!
    Allerdings können sie auch bei einem Blog nach Informationen Ausschau halten.

    Daß sich das Bild von Blogs nicht geändert hat kann ich eigentlich eher nicht bestätigen, früher waren das meistens reine Tagebücher und heute? Als Tagebuch möchte ich mein Blog eigentlich nicht betiteln, für ein solches würde ich kaum stundenlang im Netz recherchieren!

    Grüße aus Augsburg

    Mike, TmoWizard

  7. Ich finde ein Soziales Netzwerk kann nie meinen Blog ersetzten. Ich will meine Meinung nicht auf 400 (FB) oder 140 (Twitter) Zeichen beschränken lassen.

    Natürlich bekommt man bei Facebook oder +1 schneller einen Kommentar, weil man meist in 2 sekunden den Status gelesen und verstanden hat. Aber bleibt auch immer wieder die Frage wie Sinnvoll der Kommentar dann ist.

    Was ich eher für gefährlich für die Blog-Welt halte ist, das es immer mehr Content-Farmen und Monetarisierte Blogs gibt, was mit dem Sinn eines Web-Logs nichts mehr zu tun hat. Da werden lieblose Testberichte veröffentlicht und sinnloses Zeug gepostet damit man sich am Ende des Monats am Adsense Konto Aufgeilen kann. Wenn jemand seine Serverkosten finanzieren will ok, aber es gibt einige Blogs die das ganze übertreiben und somit den Sinn des Blogges verdrehen. Kein Wunder wenn dann die gesamte Bloggerwelt immer weniger beachtung erfährt.

  8. So sehr, wie ich auch Vielfalt im Leben schätzen, so sehr wünsche ich mir doch eine Plattform, auf der ich alle meine Kommunikationsanliegen bündeln kann.

    Momentan twittere ich berufliches, verfolge zahlreiche Feeds und Alerts im Feedreader, kommuniziere mit Familie und Freunden auf Facebook, habe diverse Blogs auf unterschiedlichen Domains, stelle Fragen auf Quora, suche und sammle Fotos auf Flickr, Präsentationen auf Slideshare, editiere und verfolge Wikipedia und Twick.it Einträge und kuratiere themenrelevante News auf Scoop.it, und dann muss ich wieder zu Google um die Statisken auszuwerten.

    Ein Aggregartor, der alle diese Funktionen bündelt, wäre doch eine ungemeine Arbeitserleichterung.

    Nur die berechtigte Frage ist: Kann das ein Aggregator überhaupt? Zum heutigen Zeitpunkt noch nicht. Dieser Aggregator müsste sich auch präzise nach meinen individuellen Wünschen konfigurieren lassen.

  9. Der Autor und die Skeptiker sollten sich zuerst mal G+ richtig anschauen. Viele Menschen dort erstellen gerade dort großartige Texte und andere schreiben lange Kommentare dazu und diskutieren auf hohem Niveau. Nein, das ist keine Linkverteilmaschine wie Twitter und nein, das ist auch kein walled garden mit Zeichenbeschränkung wie Facebook, sondern eine enorm schnell wachsende, globale, kommunizierende (!) Community.

  10. Danke. ein sehr schöner Artikel. Blogs sind etwas handgemachtes. Sie spieglen oft einfach Mühe wieder. Ein soziales Netzwerk ist etwas anderes,

  11. Ich finde das soziale Netzwerke (Ich beziehe mich in meinem beispiel auf Google+) doch als Blog fungieren können. Meiner Meinung nach reicht mir die technische Möglichkeit (Keine Zeichenbegrenzung, minimale Formatierung) aus um gut bloggen zu können. Ich benötige kein eigenes System und kann auch gerne auf das „Handgemachte“ verzichten. Ich denke, dass ich mit einem Blog innerhalb eines Netzwerks schneller und besseres Feedback der Leser/Innen bekomme. Außerdem denke ich das die Reichweite meines Contents sich schneller verbreiten kann.

  12. Ich wundere mich. Im Blogeintrag wird kritisiert, dass die Produktionstätigkeit in den Sozialen Netzwerken aus “Thumbs up!”, “RT” und “+1″, also sehr eingeschränkter Produktivität besteht. Gleichzeitig bietet dieser Blog genau diese Mittel an: Tweet, Facebook, Google. Dieser Fakt wird, für meinen Geschmack, nicht ausreichend reflektiert.

    Ich wundere mich. Im Blogeintrag wird argumentiert, die Art des Contents habe sich gewandelt. Lange Texte seien out und die Aufmerksamkeitsspanne einfach zu kurz. Mich erinnert diese Argumentation sehr an jene der klassischen Printmedien, als diese sich von den Blogs angegriffen sahen. Auch dieser Fakt wird, für meinen Geschmack, nicht annähernd ausreichend reflektiert.

    Blogs als die letzte Bastion des Handgemachten zu bezeichnen, halte ich für vermessen. Schon alleine die technische Seite. Ich kenne Leute, die behaupten, sich mit WordPress ein CMS aufsetzen und dann ein schönes Theme aussuchen, sei nicht handgemacht. Tatsächlich hätten in diesem Fall andere den Code geschrieben und die Grafiken erstellt. Darüber hinaus geht es mir so, dass die Technik viel schneller voran schreitet, als ich folgen kann, so dass ich mit meinen bescheidenen HTML und CSS Kenntnissen schnell an Grenzen stoße. Ich bitte dann jemanden, mir unter die Arme zu greifen – auch nicht handgemacht.

    Letztlich finde ich den Blogeintrag dennoch lobenswert. Denn er macht auch, was Blogs meiner Ansicht nach auszeichnet: Er bezieht Position und scheut sich nicht vor einem subjektiven Blickwinkel. Er unterscheidet sich dadurch einerseits von den klassischen Medien, die z.B. den W-Fragen verpflichtet sind und andererseits von den Teilnahmemöglichkeiten der Sozialen Netze, die kaum eine eigene Position erkennen lassen. Kurz: Natürlich hat die Blogosphäre einen Platz im Netz, aber sie sollte sich nicht aufführen, wie die klassischen Printmedien.

  13. Für mich ist dieser Text das Klügste, was ich bisher zu diesem Thema überhaupt gelesen habe. Vielen Dank dafür.

    Ich bin gelangweilt von den zehn, fünfzehn immer gleichen Quellen, die nach Schema F dem Anspruch nach Berechenbarkeit folgen.

    Wetten, dass das den allermeisten Nutzern genauso ergeht? Noch hindert sie vielleicht der Rest Neugier an Konsequenzen. Aber die werden gezogen werden. Irgendwann.

  14. Hallo,
    ich schließe mich Nasendackel an (einmal wegen seiner Meinung, dann wegen seines Namens).
    User generated content, was für eine sagenhafte Umschreibung für eigene Gedanken, eigene Ideen, selbstgemachtes,…

    Und zum Schluss noch über FB: den tatsächlichen Inhalt muss man angestrengt suchen, manchmal habe ich den Eindruck, die Freunde haben gar nichts zu sagen. Seltsam ist das schon, ein bisschen wie Fernsehn mit einem „Gefällt mir“-Knopf auf der Fernbedienung.

    Danke für den Artikel…

  15. Hallo,

    das war genau der Bericht, der mir noch gefehlt hatte für meine Entscheidung darüber endlich einen neuen Blog aufzusetzen! Eigentlich hatte ich immer einen Blog am Start, nur vor einiger Zeit hatte ich ihn in der Tat zugunsten von „Google+“ erst mal eingestellt und weil ich auch ein neues Layout erstellen wollte … Dann hatte ich es aber gelassen ihn neu aufzulegen und stelle die letzte Zeit schon fest, das auch „Google+“ kein realer Ersatz für einen guten Blog sein kann! Dieser Satz “Social Networks sind die neuen Fernseher” sagt viel aus und bezeichnet deutlich den Unterschied zwischen „Blogosphäre“ und „Social Network“! Wenn das „Social Network“ die Fernseher sind, dann ist die „Blogosphäre“ die große Theaterbühne … Danke, jetzt werde ich mich gleich an meinen zukünftigen Blog machen … 🙂

    Gruß blog_micky

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