Über die Traffic-Enteignung der sozialen Netzwerke

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Das Social Web ist noch recht jung, erst 2004 wurde Facebook Inc. von Mark Zuckerberg gegründet, das Netzwerk lernte die deutsche Sprache vor gerade einmal drei Jahren. Doch wer die Entwicklungen verfolgt hat, merkt, dass es keinen linearen Verlauf in Wachstum und Akzeptanz gibt. Ich versuche im Folgenden, die Entwicklung kurz nachzuzeichnen.

2005 bis etwa 2010 war die Zeit des zentralisierten Booms im sozialen Netz, die Nutzer stürmten facebook.com oder twitter.com, legten sich Accounts an, schauten mehrmals täglich auf den Seiten vorbei, bookmarkten ihre Lieblings-Pages, benutzten die Suchfunktionen der Plattformen, schossen Bilder von ihren Rechnern auf die Pinnwände. Facebook schob sich in Sachen Verweildauer an Google vorbei, „My Profile is my Castle“, das soziale Leben evolvierte in den Netzwerken.

Im Januar 2009 schrieb ich dann bei Basic Thinking einen Artikel mit dem Titel: „Social Media auf dem Handy – und warum das vielen ziemlich egal ist„. Darin wunderte ich mich über die niedrige Akzeptanz bei den Deutschen und den fehlenden Willen, das mobile Netz endlich Realität werden zu lassen. Deutschland brachte es in Sachen Mobile Networking seinerzeit auf den vorletzten Platz in der EU – nur Spanien zeigte eine noch schwächere Performance. Das hat sich mittlerweile geändert und damit auch eine ganze Reihe anderer Dinge.

Die Mobilisierung der Netzwerke führte zu der Nutzerdevise: „Befreit die Netzwerke aus ihren Silos!“ Als Google Plus vor wenigen Wochen das Licht der Welt erblickte, wurden global zunächst zwei Fragen gestellt, die eine war rhetorischer und die andere praktischer Natur:

1. „Wie geil ist das denn, bitte?“
2. „Wie kann ich Google Plus auf dem Handy oder per Client nutzen?“

Dieser Trend hatte sich bereits besonders früh bei Twitter abgezeichnet. Der Nutzer-Workflow war mit dem 140-Zeichen-Limit von Anfang an auf mobile Bedürfnisse zugeschnitten, schnell florierte ein gesundes Ökosystem an Clients und Apps, die auf jedem erdenklichen Smartphone-Betriebssystem laufen konnten. Die Inhalte wurden beweglicher, sie vaporisierten von der Plattform und landeten auf unseren Displays in Formen und Gestalten, die Drittentwickler vorgaben. Twitter wuchs, doch zeitgleich mit dieser Entwicklung wuchs ebenso die Entmachtung des Unternehmen, das dahinter stand.

Auch Google Plus bleibt von dieser Entwicklung nicht verschont. Fast minütlich gibt es in amerikanischen und deutschen Blogs Meldungen über neue Extensions, Browser-Erweiterungen, die uns dabei helfen, den Stream zu modifizieren, zu analysieren und beweglich zu machen. Und das alles noch weit vor dem Zeitpunkt, an dem Google eine öffentliche API für das Netzwerk zur Verfügung stellen wird. Hätte Google nicht zeitnah mit dem Launch des Netzwerks mobile Apps für Android und iOS veröffentlicht, so hätte es binnen weniger Tage gleich dutzendfach Alternativen durch private Programmierer gegeben. Doch der Anspruch, alle Inhalte in jeder Form verfügbar haben zu können, wächst nicht nur mit der UMTS-Penetration, sondern auch mit der Zahl an vorhandenen Netzwerken: Nutzer verlangen eine Konsolidierung der Ansichten, so wollen nicht unzählige News-Feeds, sondern einen Social Stream, der ihren Pool an Newsquellen und Freunden abbildet.

Das ist die eine Seite, die der Nutzer. Doch wechseln wir für einen Moment noch einmal die Perspektive zu den Unternehmen: denn hier wächst ein praktisch nicht lösbares Problem heran.

Seit der Geburtsstunde von Google hat das Unternehmen kein anderes Ziel verfolgt, als Werbung zu schalten und daran zu verdienen. Jeder Dienst, den die Suchmaschine ins Netz stellt, folgt daher maximal zwei Prämissen: Bietet er genug Mehrwert, um direkt oder später einmal Werbung schalten zu können? Oder erlaubt es dieser Service, das Nutzerverhalten besser messbar zu machen? – Was an anderer Stelle bedeutet, dass hier wiederum Werbung geschaltet wird (nur mit besserem Targeting). YouTube, Google Maps, die Bildersuche – all dies sind aus Unternehmenssicht attraktive Werbeflächen, die den eigenen Kunden angeboten werden können, mehr nicht. Auch Google Plus wird hier keine Ausnahme bilden, es sei denn, es kommt zu einer radikalen Änderung des Geschäftsmodells.

Anders als die oben genannten Dienste (YouTube, Google Maps usw.), unterliegt Google Plus aber nicht zwangsläufig der eigenen Kontrolle. Die Distribution wird Anbetracht der eigenen Inflexibilität bereits in Teilen durch Drittentwickler erledigt, was sich künftig (spätestens mit der API-Öffnung) verstärken wird. Dazu wird es über kurz oder lang zu einer neuen Privacy-Debatte kommen: Was gehört Google an Google+ also eigentlich? Die Nutzer? Der Content?

Twitter erstickt gerade an diesem Problem. Nachdem Google keine teure Finanzspritze mehr leistet, um den die Echtzeit-Tweets in den Index zu ziehen, bleiben dem Netzwerk eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: Die Stützdienste der Drittentwickler aufkaufen oder verbieten. Oder aber Werbung direkt im Feed zu schalten – was wiederum problematisch wird, sollten nach kurzer Zeit erste Filter-Apps auftauchen. Twitter steht bereits in der Kritik, ebenso panisch wie aggressiv den Entwicklerwettbewerb zu behindern.

Auch Facebook wird sich Strategien überlegen müssen, wie künftig Umsätze generiert werden können. Noch trägt die geballten Kraft von 750 Millionen Mitgliedern dazu bei, dass sich darunter genug finden, die tatsächlich noch facebook.com aufrufen und früher oder später auf die Werbung am rechten Monitorrand klicken. Doch dieses Modell wird nicht mehr lange Bestand haben. Dann lieber Micropayment-Angebote für Spiele und Apps? Man wird sehen…

Spannend wird es ebenfalls sein, zu sehen, wie Google das Problem angehen wird. Ein Google Plus, finanziert durch die Hilfe von AdWords, dürfte es kaum geben. Vielleicht besteht das attraktivste Moment der Plattform aber tatsächlich nicht aus der wachsenden Interaktion, der Verweildauer und den niederprasselnden Page Views. Die Nutzerdaten, die von den Mitgliedern bereitwillig preisgegeben werden – das könnte einzig und allein zur geltenden Währung werden. Und diese Daten werden an anderer Stelle Anwendung finden. Daher sollte die Frage, wie Unternehmen im Social Web ihr Geld verdienen, bei jedem Nutzer ebenso wichtig sein, wie die oben genannten.

Bild: Flickr, Fotograf: fumtu

1 Kommentar

  1. Gut geschriebener Text, aber leider wird die Information und Warnung einfach in der Luft verpuffen. Weil die Mehrheit der Nutzer von diesen so genannten Sozialen-Netzwerke über solche Sachen wie „Eigenen Datenschutz & Co.“ gar nicht nachdenken tut und stattdessen die Dienste immer weiter wie ein Lemming füttert.

    Mach es, ohne darüber nachzudenken, was du da tust. Das ist doch eher das Credo der heutigen Mehrheit der Nutzerschaft, leider. Zur Naivität erzogen, so quasi.

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