Danke: Das Erbe von Steve Jobs

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Auf Apple.com steht noch immer Steve Jobs‘ Todesanzeige. Wer sich die schwarz-weisse Portraitaufnahme des ehemaligen Apple-Chefs genauer ansieht, wird feststellen, dass das Bild mit „t_hero.png“ betitelt ist. War Steve Jobs ein Held? Für viele bei Apple sicherlich. Bestimmt unterschreiben auch viele Branchenkollegen diese Nobilitierung.

Als ich noch mit den Kollegen auf Basic Thinking schrieb, nannten mich einige Nutzer „Apple-André“. Wir waren „Apple André“ und „Microsoft Marek“ und wir ergänzten uns wunderbar. Ich glaube, wir hatten unseren Ruf als oppositionelles Harmonieteam weg. Ich mochte und mag Apple – Hardware, Software, das Design. Als ich vom Tod von Steve Jobs erfuhr, stieg für kurze Zeit mein Puls an. Dann dachte ich aber an Foxconn und die vielen Tausend Arbeiter, die dort Geräte schrauben, wenig verdienen und aus Verzweiflung von den Dächern der Wohnsiedlungen springen. Jobs war brillant, kreativ, durchsetzungsstark und visionär. Er war aber kein Held. Vielleicht trug seine Besessenheit dazu bei, dass er keine philanthropischen Anflüge hatte, wie wir es von seinem ehemaligen Kollegen Bill Gates her kennen. Vielleicht war er auch nur ein ausgebuffter Business-Mann. Man weiß es nicht.

Doch abseits dieser moralischen Betrachtung hat die Welt Steve Jobs einiges zu verdanken. Ich habe im Folgenden drei Phänomene notiert, die ich mir aus der Ära Jobs hinübergerettet habe. Drei Dinge, die mich persönlich beeindruckt haben und ein wenig von dem Einfluss zeigen, die Jobs nicht nur auf unsere Generation hat, sondern auch auf die kommenden haben wird.

„Nein“ sagen

„Man muss auch einmal nein sagen können“, war Steve Jobs‘ Mantra. 1997 kehrte er zu Apple zurück, ein Jahr später hatte er dem Produktportfolio einen radikalen Kahlschlag verpasst. Das Unternehmen hatte bis dahin unzählige Rechnertypen inklusive Varianten auf den Markt geworfen – ein Gerätewirrwarr, das weder Jobs noch (bei explizitem Nachfragen) seine Kollegen verstanden. 1998 sagte er auf der MacWorld (sehenswertes Video dazu): „Wie sollen wir das den Kunden erklären, wir nicht einmal wir wissen, welche Produkte wir unseren Freunden empfehlen sollen?“ Jobs beschloss, künftig die Strategie auf vier Produkte auszulegen: Je ein mobiles und stationäres Gerät für den Endverbraucher- und Profimarkt. Die Entwicklerteams können auf diese Weise ihre Kräfte gezielt bündeln, zudem kann die Frequenz des Produkzyklus‘ erhöht werden (damals ging man noch von neun Monaten aus).

Jobs hatte Zeit seines Lebens die Konsolidierung im Blick, die Konzentration auf das Wichtigste. Diese Einstellung ging weit über die bloße Unternehmensstrategie hinaus, sondern färbte auch auf Design der Hardware und die Gestaltung des GUIs ab. Alles, was störendes Beiwerk ist und vom Wesentlichen ablenkt, muss verschwinden. Dieser radikale Minimalismusansatz kostete dem Apple-Chef viele Freundschaften – sowohl im Unternehmen, bei den Entwicklern und auch bei den Kunden. Doch am Ende ging die Strategie auf und sollte heute jedem Unternehmer als Denkanstoß dienen.

Nur, wer in der Lage ist, auch einmal (oder mehrmals) „nein“ zu sagen, kann sich Perfektionismus leisten. Jobs hat dies 1997 sehr explizit auf der damaligen WWDC erläutert. Im diesem Beispiel ging es um OpenDoc, das im selben Jahr abgesägt wurde:

Für Content zahlen

Als Mitte August bekannt wurde, dass Steve Jobs endgültig den CEO-Posten bei Apple aufgeben würde, rollte die Pressemaschinerie an: Im Zuge der Berichterstattung gab es eine Meldung, die schnell unterging, mich aber in ihrer Argumentation nachhaltig beeindruckte. Sie erschien bei Paid Content und trug den Titel „Steve Jobs’ Greatest Legacy: Persuading The World To Pay For Content„. Die Headline verrät den Inhalt: Apple hat dafür gesorgt, dass Kunden für digitale Inhalte erstmals zahlen. Nachdem die Internetnutzer der Neunziger unter kräftiger Mithilfe der Verlage das „Gratisweb“ etablierten und es sich als solche auch in die Köpfe der Nachfolgegenerationen festgesetzt hatte, gab es nur noch einen anderen Weg: es musste ein neues Internet her. Jobs erfand dieses Internet mit dem iPhone, das einen völlig neuen Zugang zu digitalen Inhalten bot. Mobil, immer parat und kostenpflichtig: so lernten Nutzer weltweit dieses Internet kennen. Man zahlte für Musik, für Filme und auch für Apps – es war und ist auch noch heute selbstverständlich, dass der Konsum von mobilem Content Geld kostet:

Jobs pried open many content companies’ thinking, because his focus was always on getting something great to the customer with as few obstacles as possible. In that sense, he was like a corporate embodiment of the internet; except he thought people should pay for what they got. He always, always insisted you should pay for value, and that extended to content too. The App and Music Store remains one of the biggest generators of purely digital revenue in the world, and certainly the most diverse.

Für viele Verlage ist das mobile Web heute der Rettungsanker in der Monetarisierungsdebatte. Dieser Kanal ist noch neu für die Kunden, unvorbelastet und damit tauglich, auch Geld abzuwerfen. Der App Store, iBooks und die digitalen Zeitungsabos – ohne Steve Jobs hätten sich diese Content-Ökosysteme niemals so schnell etabliert und durchgesetzt.

So if you’re wondering how Jobs’s departure affects the media world, consider that it’s the loss of one of the biggest boosters of paid-for content the business ever had. Who’s going to replace that?

Medien dürfen niemals aufgeben, neue Distributionswege auszuloten. Als wir im Jahr 2000 Silvester feierten, hat niemand damit gerechnet, dass knapp sieben Jahre später das „Internet für die Hosentasche“ Realität werden könnte.

Es geht um Nutzen, nicht um Technik

Ich frage mich, an welcher Kiste ich jetzt sitzen würde, wenn es keinen iMac wäre. Wahrscheinlich ein AMD Fusion A6-3500-Prozessor (2.1 GHz) auf einem ASRock 760GM-GS3 Motherboard (Mikro-ATX – Socket AM3 – AMD 760G), flankiert von einem Corsair Dominator Memory (12 GB: 3 x 4 GB – DIMM 240-PIN – DDR3), einer ASUS EAH5450 (SILENT/DI/1GD3LP) und einer Hitachi Travelstar (5K500.B HTS545032B9A300). In den Neunzigern liefen wir zu Atelco und kauften die Rechner im Bausatz, später schoss Aldi monatsweise Angebote in die Ladenregale, die wir wieder mit Technik vom Händler aufrüsteten. Die Folgen waren Kompatibilitätsprobleme, Kosten und irgendwann „Keine Ahnung!“. Wir waren keine Nutzer, wir waren Bastler, die Branchengazetten wie die „Chip“ oder die „PC-Praxis“ kauften, um auf dem Laufenden zu bleiben, was das Wettrennen der Hardware anging. Es war nervig und zeitraubend und vor allem abschreckend für die Noch-Nicht-Nutzer. Welche Hausfrau, welcher Senior und welches zwölfjährige Mädchen hätte schon Lust auf ein solches Chaos gehabt?

Richtige All-in-One-Rechner tauchten erst nach dem Mac auf und sie brauchten lange, um sich durchzusetzen. An einer Kiste zu sitzen, die hinten nicht acht PCI-Slots für den schnellen Wechsel der internen Peripherie bot, war vielen unheimlich. Mir auch. Als ich mich an meinen ersten Mac setzte und ihn einschaltete, war ich eine Woche lang depressiv – das war beinahe körperlich. Es gab ein Mail-Programm und den Browser, das Internet war da. Doch ich vermisste die Updates des Virenscanners, das manuelle Entrümpeln der Registry, die Tweak-Freeware, meine Ordnerstruktur, der ich einen numerischen Anstrich gab, um mich leichter zurechtzufinden. Ich suchte nach Autostart-Spielereien und proprietärer Grafikkartensoftware, an der es zu schrauben galt. Ich fand nichts.

Der Mac zwang mich dazu, den Rechner zu nutzen. Der Rechner nutze nicht länger mich. Apple hat nicht die Technik, sondern den direkten Mehrwert für die Kunden in den Mittelpunkt gerückt – sowohl, was die Hardware als auch die Software angeht. Damit hat Steve Jobs vielen Menschen auf der Welt Technik überhaupt erst verfügbar gemacht: Ein Rechner, ein Knopf, ein Browser – Sie können loslegen! Auf Keynotes wurde zu keiner Zeit mit Buzzwords der EDV herumgeworfen. Es war immer: „MacBook Air. The world’s thinnest notebook“, „One size fits all“, „It’s small. It talks. And it’s in color.“, „The iPhone you’ve been waiting for“ (Liste mit Slogans). Fertig. Es sind markige Werbesprüche, die aber auch Taten folgen ließen. Dank Steve Jobs beschäftigen wir uns heute mehr mit Inhalten und nicht mit der Technik – wir tun das, worum es eigentlich ging, als der PC erfunden wurde.

Ohne nun in das Dramatische hinabzugleiten: Für diese drei Erkenntnisse und Errungenschaften möchte ich Steve Jobs danken. Bis dahin.

9 Kommentar

  1. „Wir waren “Apple André” und “Microsoft Marek”“ – Ach, die guten alten Zeiten. Wir sollten mal ein Revival starten. 🙂

  2. Danke André, für den tollen Blogpost. Danke, dass du mal hervorhebst und auf den Punkt bringst wie Apple es überhaupt geschafft hat solch „magische“ Produkte zu schaffen.

    „Apple André“ und „Microsoft Marek“ würd ich ja auch gern mal wieder in Aktion sehen! Dann würde der André auch mal wieder etwas öfter schreiben 😉

  3. Es gab doch keine bessere Anerkennung, als das die meisten von seinem Tod über das Gerät, welches er entwickelt hat, erfahren haben.

  4. @Mitch: Ne, ich habe es morgens im Bett im Radio gehört und dann das daneben liegende iPhone angeworfen! 😉

    Ansonsten: Schöner Artikel, auch wenn die Foxconn-Erwähnung nicht wirklich nötig war.

    PS: Argh, wieso ist das Captcha UNTER dem Submit-Button!?

  5. Danke für die guten Worte! Ein würdiger und nachvollziehbarer Nachruf.
    Ich selbst möchte nach meinen Erfahrungen mit meinem iPad eigentlich auch vom Windows-System auf ein Mac-Gerät wechseln. Leider ist es mir noch zu teuer…

  6. Mich als alten Apple-Fan hat dieser Beitrag begeistert. Man hängt doch noch ein wenig an den guten alten Zeiten.

    Gruß Diana

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