Auf ein (wirklich) Neues: Die Deutsche Bahn auf Facebook

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Nachdem die Deutsche Bahn im Juni ihren Account bei Twitter eröffnete, wird nun die nächste, konsequente Stufe gezündet: Facebook (Hintergründe). Als die Meldung vergangene Woche schon die Runde machte, schüttelten sich einige vor Misstrauen. Deutsche Bahn? Facebook? Da war doch was. Ja, da war etwas, genau genommen war es im Oktober 2010, als sich das Unternehmen – eingehüllt in harscher Kritik wegen rollender Klimakatastrophen und Stuttgart21 – beim Netzwerk anmeldete, um das „Chefticket“ unter die Leute zu bringen. Ogilvy hatte seinerzeit den Lead für den Konzern übernommen und prächtig gezeigt, wie man es nicht macht. Auf Kommunikation war bei der Deutschen Bahn verblüffenderweise niemand vorbereitet, ging es doch damals einzig und alleine darum, moderne Distributionswege für Schnäppchenangebote auszuloten. Der tobende Unmut von Kunden und Medien wurde wacker ertragen, irgendwann wurde das Projekt dann sang- und klanglos eingestellt – was wahrscheinlich auch besser war. Und nun soll die Seite wieder aufleben.

Der Zeitpunkt der Neuinbetriebnahme (bewusst nicht „Wiederinbetriebnahme“, dazu später mehr) ist mutig gewählt: Am 11. Dezember steht den deutschen Bahnreisenden eine „deutliche“ und „unverhältnismäßige“ Fahrpreiserhöhung bevor, zudem verrät schon jetzt jeder Blick aus dem Fenster, dass auch dieser Winter seine Spuren am Schienennetz hinterlassen wird. Kritik ist also so gut wie vorprogrammiert. Und? Genau.

Der „DB-Verriss“ gehört heute zum fest etablierten Small-Talk-Repertoire der Deutschen. Nach dem Seufzer „Was ein Wetter…“ ergänzt man sich gegenseitig mit „…ja, und die Bahnen erst.“ Über die Bahn wurde schon lange im Social Web geredet und geschimpft. Wie bei Twitter hat das Unternehmen mit einer eigenen Präsenz auf Facebook nun aber erstmalig die Möglichkeit, die ungeschminkte Kundenmeinung (abseits steriler Nutzerbefragungen) aufzufangen und zu verarbeiten.

Unter anderem um dieses Thema ging es dann auch heute, als das Unternehmen zu einem gemeinsamen Treffen in kleiner Runde in Berlin bat. Bahner, Blogger und einige Brötchen waren anwesend und wieder einmal wunderte ich mich insgeheim darüber, wie locker der Tag vor der Schlacht begangen wurde. Die Bahn machte Dehnübungen und freute sich auf den Start.

Dreifacher Gegenwind

Sicherlich, nach dem Erfolg bei Twitter sind viele der Kritiker verstummt: @db_bahn zählt heute neben @telekom_hilft zu den kompetentesten Service-Kanälen im deuschen Social Web (ich verbürge mich an dieser Stelle für die Qualität der Kommunikation – nicht zwangsläufig für die Qualität der dahinterstehenden Angebote). Warum sollten sie es dann nicht auch bei Facebook hinbekommen? Nun, da wäre beispielsweise die Sichtbarkeit. Die Deutsche Bahn wird die Pinnwand komplett öffnen; jeder kann für jeden sichtbar Einträge hinterlassen – und das steht dann da auch für alle Zeiten. Dazu kommt die geballte Masse der Kunden. Laut den jüngsten Zahlen von ComScore sind heute knapp 73 Prozent aller deutschen Internetnutzer Mitglied bei Facebook – und mit ziemlicher Sicherheit gleichzeitig auch Bahnkunden. Verglichen mit der Facebook-Meute war und ist die Twitter-Präsenz für das Unternehmen ein berechenbares Nischenexperiment.

Absehbare Kritik, bedingungslose Transparenz (Einschränkungen macht lediglich die vorgegebene Netiquette) und die zu bewältigende Masse an Anfragen – das sind schon drei Herausforderungen, die gemeistert werden wollen.

Daher wird nun auch alles umgekrempelt, die „Chefticket“-Ära und das seinerzeit damit verbundene bizarre Herumdilettieren gehören nun für immer der Vergangenheit an – so das Versprechen. Das glaube ich der Deutschen Bahn auch. Der Social Media-Verantwortliche Daniel Backhaus hat mit dem Twitter-Launch bewiesen, dass er gleichermaßen die Kunden- als auch Konzernklaviatur souverän bedienen kann. Ihm zur Seite steht ein mittlerweile eingespieltes Team, sowohl was die Agents auf der Bühne als auch die Mitarbeiter im Backoffice angeht. Die Voraussetzungen stimmen, ebenso die Erwartungshaltung. Tatsächlich verfolgt man bei den Social Media-Aktivitäten schon lange kein monodirektionales Marketing-Bombardement mehr. Klar geht es um die (Vertriebs-)Öffnung zum Kunden, aber auch (und das nicht zu knapp) um die Evangelisierung des eigenen Unternehmens. Es gehört schon eine Menge Chuzpe dazu, wenn man sagt, dass der Shitstorm eine gesunde Sache sei, an der man reifen könne. Viele Unternehmen würden lieber Millionen ins gut behütete Change-Management investieren. Genau auf diesen Lernprozess kommt es der Bahn bei den Facebook-Aktivitäten aber auch an. Wer ab morgen dem Quasi-Monopolisten seine Kritik gebündelt, koordiniert und vor allem höflich vor den Latz knallt, hat gute Chancen, dass seine Änderungsvorschläge auch fruchtbar in das Haus getragen werden. Die Bahn fürchtet nicht das Feedback der Kunden, sondern freut sich auf konstruktive Vorschläge. Dies ist zumindest die Ausgangslage am Tag vor der Schlacht.

Aus den Absichten spricht viel Idealismus und man wird sehen, wie es alle Beteiligten schaffen, die Nerven zu behalten und das Geplante umzusetzen. Denn einfach wird es nicht. Trotzdem – oder gerade deshalb – wünsche ich dem Team viel Erfolg. Wir Kunden haben damit einen weiteren, niedrigschwelligen Kanal gewonnen, über den wir nicht nur als statistische Zahlen im Bilanzbericht, sondern auch als Menschen wahrgenommen werden. Merci. 😉

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Disclaimer: Ich bin mit der Deutschen Bahn weder verwandt noch verschwägert; noch habe ich sonst irgendwelche Zuwendungen für meine Mitarbeit oder diesen Blogpost bekommen. Ich sollte auch noch erwähnen, dass ich es nur mit Glück rechtzeitig zum DB-Treffen schaffte, da es aufgrund „technischer Störungen“ zu „Verzögerungen im Betriebsablauf“ kam.
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