Mitmachweb olé: Was machen wir heute platt?

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Hoy, da toben ja einige Diskussionen! Christian Wulff und das Weihnachtsdrama bestimmen die Schlagzeilen – hat er beschissen, hat er nicht? Man weiß es nicht. Eigentlich ist es auch egal, denn Wulff praktiziert sein Amt seit dem ersten Tag mit vornehmer Zurückhaltung, die entweder auf politisches Kalkül, Arbeitsmüdigkeit oder zu viel Ablenkung zurückzuführen ist. Seit seiner Wahl zum Bundespräsidenten hat er jedenfalls nicht viel gemacht, außer die Blumen in Schloss Bellevue zu gießen. Und heute muss man ja schon froh sein, wenn die Politiker nicht sonstigen Blödsinn anstellen.

Über den Inhalt der Aufregung will ich mich hier nicht auslassen, ein Blick in die Wulff-Kritiksparte bei Wikipedia erübrigt eigentlich jedes weitere Wort. Spannend ist aber wieder einmal die Richtung, aus der der Gegenwind kommt: aus dem Internet. „Ist Christian Wulff noch im Amt?“ ist bereits scharf gestellt, die Timelines blubbern sich heiß, die Journalisten graben im Netz nach Quellen zum Skandal und in ein paar Stunden gibt es erste Rücktrittspetitionen und Anti-Wulff-Pages bei Facebook. „Wulff nähert sich der Lage, in der Guttenberg war“, stellt bereits die Welt fest. Solche Titel turnen an und es wäre nicht allzu verwunderlich, wenn Anonymous bald die Drohkeule gegen Wulff, Merkel oder – irgendwen – schwingt.

Meckern, motzen, mosern – das klappt im Web mit phantastischer Wirkung. Guttenplag hat gezeigt, dass ein Mob, der einen kühlen Kopf behält, durchaus in der Lage ist, mit chirurgischer Präzision die gerechtfertigte Demontage von Politikern voranzutreiben. Das ist gut und gesund, das ist die Transparenz, die wir Bürger und Wähler uns immer gewünscht haben. Mehr davon! Denn gegen einen gesellschaftlichen Selbstreinigungsreflex ist überhaupt nichts einzuwenden. Zumindest nicht pauschal. Aber dennoch… da gibt es ein Problem.

Das Mitmachweb ist nun schon einige Jahre alt, wir haben Blogs, Wikis, Netzwerke und diese werden in soziopolitischer Hinsicht auch fleißig genutzt. Speziell in Deutschland ist dabei aber eines festzustellen: Virtuelle Orte der öffentlichen Zusammenkunft sind hierzulande offenbar per Definition Schlachthäuser, in denen es immer einen Gegner (etwa Guttenberg) und ein Ziel (etwa Rücktritt) geben muss. Politischer Aktivismus im Netz funktioniert nur, wenn die Deutschen unter der Fahne des Shitstorms zusammenkommen können:

Netzsperren: Bumm!
Vorratsdatenspeicherung: Bumm!
Koch-Mehrin: Bumm!

Abseits des Skandals finden sich hingegen kaum bis keine konstruktiven Kräfte. Die Piraten, die sich der Basisdemokratie und Mitbestimmung verschrieben haben, versuchen es noch irgendwie hinzubekommen, doch spätestens seitdem Links zu Kinderpornos im Piratenpad auftauchten, dürfte sich der Eifer auch hier gelegt haben.

Noch einmal: Ich habe nichts gegen Veto-Gruppen im Internet – überhaupt nicht. Jedoch nimmt die Entwicklung langsam überhand, da auf der anderen Seite – wo Diskussionen, Vorschläge und Abstimmungen stattfinden sollten – kaum etwas passiert. Dieser Zustand zementiert sich zusehends, was aus dreierlei Gründen negative Folgen hat:

Erstens ist ein reines Anti-Web keine gute Werbung für das Web an sich. Für das Web, das viele politische Entscheider nur aus dem Fernsehen oder den Zimmern ihrer Kinder kennen, wenn sie daran vorbei gehen. Das heutige Internet muss einigen als vollkommen feindliches Terrain vorkommen, vollgepackt mit geheimen Zeichen und Symbolen, die alle drauf abzielen, irgendetwas zu zerstören.

Zweitens wird es problematisch, wenn nun bei jedem gesellschaftspolitischen Problem, das offiziell noch zu keiner Lösung gefunden hat, ein dickes Fass aufgemacht wird. Die Wirkung der Wunderwaffe Internet verpufft, wenn aus Skandälchen jedes Mal Jahrhundertskandale gemacht werden. Wer glaubt denn den Veto-Gruppen noch, wenn wirklich mal Kritik angebracht ist?

Drittens verhindern „Dagegen!“-Kampagnen das konstruktive Potential. Wer so viel Zeit und Engagement in Demontagen und Bloßstellungen steckt, dem fehlt die Kraft, um tatsächlich Dinge zu verändern. Vielleicht könnte es schon helfen, wenn man das Statusupdate „Scheiße!“ einfach um „Scheiße! Und ich sage euch auch warum und was man besser machen könnte!“ ergänzt.

So. Das war mein Senf zur Debatte. Dabei fällt mir ein, dass es ja tatsächlich doch hin und wieder zarte Pflänzchen des Aufbaus im Internet gibt. Damals gab es nicht nur Anti-Wulff-Kampagnen. Sondern auch einen gesunden Pro-Gauck-Akitvismus. Vielleicht sollten diejenigen, die nun laut den Rücktritt fordern (gerne, ich stehe dahinter, motze aber nicht mit), sich nun zeitglich ein paar Gedanken über die Alternativen machen.

2 Kommentar

  1. So sehr wie ich gegen Dagegen bin, so problematisch sehe ich das dafür. Die Pro-Gauck-Debatte hat doch gezeigt, wo es hinführt: Nirgendwohin. Man ist ernüchtert hier in Schland, weil man für jeden positiven Wandel gegen 1.000 Windmühlen ankämpfen muss. Dann doch lieber für Models und Voices voten. Sonst ist man am Ende selber noch der Doof, äh ich meine DonQuichote.

  2. Danke für diese interessanten Überlegungen! In der Tat scheint „anti“ im Web leichter zu sein als „pro“. Ich vermute, dass das mit sozialen Prozessen zusammenhängt, die man vielleicht so skizzieren kann: Man kennt die Leute im Netz (meist) nicht persönlich. Vertrauen ist aber wichtig für den gemeinsamen Aufbau von irgendetwas. Also kann man sich im Netz leichter auf ein gemeinsames Negativ-Ziel einigen und einschießen.
    Dass das Netz in dieser Weise funktioniert und insbesondere als Instrument der Kritik taugt, das ist auch allen klar, die dieser Kritik ausgesetzt sind, nehmen wir etwa Regierungen, Unternehmen und Kirchen. Natürlich ist ein „reines Anti-Web keine gute Werbung für das Web an sich“. In solchen Kreisen der von Web-Kritik Betroffenen ist daher die effektive Kontrolle und Beschränkung des Internets sehr attraktiv.
    Meine Schlussfolgerung aus diesen Umständen wäre eher, dass man für die Freiheit des Internets kämpfen muss, als dass man sich den Wünschen der Kritisierten anpassen sollte und sich um ein zahmes Aufbau-Netz bemühen.
    Nicht zuletzt darf das Internet gern ein hässlicher, gemeiner und aggressiver Ort sein, wenn die Welt da draußen dadurch auch nur ein bisschen besser wird.

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