Das Leistungsschutzrecht im Allgemeinen und die teutonische Seifenblase im Besonderen

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Da haben sie also den Beschluss zum Beschluss beschlossen. „Sie“, das sind zum einen der ultrakonservative schwarze Block der Jammerlappen und zum anderen die liberale Chaostruppe, von der man einen solch wirtschaftsfeindlichen Vorschlag zunächst nicht erwartet hätte. Doch die politische Kurzsichtigkeit des Leistungsschutzrechts reicht eben nur bis zum 15. September 2013 – dem Termin der nächsten Bundestagswahl – und wer Hoteliers mit Lobbygeschenken beglückt, kneift auch mal ein Auge zu, wenn es darum geht, die deutsche Presselandschaft wohlwollend zu stimmen.

Während deutsche Journalisten das Vorhaben mit immer demselben Passus wie beiläufig beschreiben (man spricht von dem „umstrittenen Gesetz“, das „auf den Weg“ gebracht wurde), reiben sich ausländische Beobachter wieder einmal die Augen über den teutonischen Alleingang. Deutschland, das ist der innovationsfeindliche EU-Riese, irgendwo zwischen den Alpen und einem Meer, dessen Namen man nicht kennt. Deutschland ist das Land, für das Google speziell Milchglasscheiben (Google StreetView) herstellen musste. Für das Google Analytics extra angepasst wurde. Das Land, das tatsächlich das Betreiben einer Fanpage unter Strafe stellt. Das Land, in dem die Nutzer bis heute bei YouTube nur „Das tut uns leid…“ zu sehen bekommen. Die Deutschen bauen tolle Autos – aber, Mann: die verfluchen bis heute noch den Tag, an dem der erste Rechner an das Netz angeschlossen wurde.

Für nahezu jeden Deutschen ist Google das Internet

Die Deutschen haben bis heute noch nicht ihren Weg aus der postindustriellen Zeit in die digitale Gesellschaft gefunden. Das Leistungsschutzrecht – alleine die Idee dazu – ist der beste Indikator. Beschlossen werden soll eine gigantische Seifenblase, die nach den Plänen still über überkommende Geschäftsmodelle gestülpt wird. Zurückgewandte Beharrlichkeit, Bodenständigkeit und der Wunsch nach unbedingter Unveränderbarkeit sind die Antriebe eines solchen Gesetzesvorhabens.

Da niemand weiß, was die Zukunft bringen wird (hoffentlich nichts), wurde der Entwurf auch so schwammig formuliert, dass jeder Dienst, der „Inhalte entsprechend aufbereitet“, ins Fadenkreuz geraten kann. „Snippets“ seien keine „Zitate“, wurde heute oft erwähnt, eine Definition blieb man aber schuldig. Social Bookmarking? Was ist mit sozialen Netzwerken, in denen verlinkte Artikel mit Bild und Text angeteasert werden? Rivva?

Um die Furcht der Verleger vor der Zukunft zu mindern und einen umgedrehten Lobbyismus-Schleiertanz zu vollführen, nimmt die deutsche Politik hierzulande den systematischen Abbau der Informationstransparenz in Kauf. Übrigens eine Einschränkung, die jedes publizierende Haus auch ohne Berliner Hilfe hätte schon vor Jahren vornehmen können (Stichwort: „User-agent: * Disallow: /“).

Sicher ist Google ein gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen. Doch es gilt auch: Für nahezu jeden Deutschen ist Google das Internet.

Scheiß drauf!

Die Verlagsbranche hofft, sich mit dem Leistungsschutzrecht eine politisch verordnete, billige Einnahmequelle zu erschließen. Scheiß auf Paid Content, scheiß auf langwierige Verhandlungen, scheiß auf Micropayment, scheiß auf das angeblich boomende Mobile und scheiß auf die Leser, die nie auf TKP-Ads klicken. Scheiß auf neue Geschäftsmodelle. Ich sehe die Szene vor mir, in der sich beim Bundespresseball zwei Herren auf der Toilette begegnen: „Puh, wir haben uns jetzt auch ne iPad-App machen lassen. Wir sind erstmal für die Zukunft gewappnet“, sagt der eine zum Pissoir-Nachbarn. „Ha! Haben wir schon letztes Jahr gemacht“, erwidert der andere und schlackert sich trocken.

Ein generelles Leistungsschutzgesetz, bei dem Google so reagiert, wie es sich die Verlage wünschen, würde den Status Quo zementieren. Anstelle innovativer Lösungen für verlegerisch-wirtschaftliche Nachhaltigkeit stünde dort ein Google-subventioniertes Alibi für Ideenfaulheit. Wie sich eine solche künstliche Marktverzerrung im globalen Wettbewerb äußern würde, dürfte in diesen Tagen noch niemand überblicken können.

Leider ist dort niemand, der diesen Einwurf bringt. Die Presse hat kein Interesse daran, das Thema weiter zu beleuchten (bei Spiegel Online ist die heutige Meldung bereits zu „ferner liefen“ gerutscht) und die Koalition hat offiziell weißgott andere Sorgen, als den Deutschen auch noch zu erklären, was sie da eigentlich anrichtet. Die Piraten? Haha.

Im Folgenden noch ein paar Leseempfehlungen – allesamt zu Blogs:

6 Kommentar

  1. Genau dies war ein Mitgrund warum ich mir Spotify-Premium zugelegt hatte. Denn nur so konnte ich den „Umzug“ nach Deutschland umgehen. Wer will schon im Hinterland wohnen, wenn die blühende Stadt doch so viel mehr bietet..

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