Google+ Bilanz: Kein Mensch braucht ein weiteres General Interest Network (GIN)

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Ich habe diese und vergangene Woche mehrere Bewerbungsgespräche mit angehenden und etablierten Community Managern geführt – es waren wohl so um die zehn. Irgendwann kam es bei jeder Unterhaltung auch zum Thema Google Plus und damit zum unwillkürlichem Kichern oder Schulterzucken. Die Unisono-Meinung lautete: „Google Plus kann nichts – aber es geht ja auch wohl irgendwie nicht ohne.“ Kaum Penetration, kaum Engagement, kaum Spaß und neben dem einfachen Posting und vereinzelten Hangouts keine individualisierbare Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden. Im weiteren Verlauf der Gespräche wurde die Meinung deutlich, dass Google Plus als General Interest Network versagt hat. Ich konnte nur nicken.

Google Plus wurde 2011 als zunächst viel beachteter Wettbewerber von Facebook aus dem Boden gestampft, doch von Etablierung in der Privat- und Geschäftswelt kann bis heute keine Rede sein. Ich hatte dem Netzwerk seinerzeit so gute Chancen eingeräumt, dass ich eine baldige Netzwerk-Konsolidierung vermutete, doch der Siegeszug verzögert sich bis heute; es bleibt bei einem eindrucksvollen Schlurfen. Was ist passiert? Oder besser: was ist nicht passiert?

Die Entwicklung der General Interest Netzwerke also known as „Facebook“

Gehen wir zunächst einen Schritt zur Seite: Für viele Junge steht Facebook bereits für das alte Netz – sowohl was die Struktur, als auch das Publikum angeht. Facebook ist das ZDF des Social Web. Das Durchschnittsalter der Facebook-Mitglieder liegt heute bei 38,7 Jahren, Tendenz steigend. Dem Trieb der Individualisierung und Abgrenzung folgend, probt die Jugend also seit ein, zwei Jahren die Flucht vor dem Schunkelpublikum und wendet sich den neuen Startup-Netzwerken und -Apps zu: mit Erfolg. Zu erfolgreich will man meinen, denn sobald ein Service zündet, wird er direkt von den großen Netzwerken wieder einkassiert (Facebook kauft Instagram, Yahoo schluckt Tumblr und so weiter). Snapchat und WhatsApp sind die derzeit heißesten Anwärter für Übernahmen – Schulklassen organisieren sich online nicht länger in Facebook-Gruppen, sondern über Whatsapp-Räume. Solange Facebook durch Zukäufe die Abwanderung relevanter Zielgruppen aufhalten und damit die Integration ebenso relevanter Dienste vorantreiben kann, funktioniert die Idee des General Interest Networks, das Interessens- und Altersgruppen seine Nischen bietet. Wie gesagt, zumindest für Facebook.

Doch anders als Facebook orientiert sich Google Plus bei der Strategie nicht an den Bedürfnissen der Nutzer, sondern am Prinzip der besten Verschwurbelung der eigenen Dienste. Larry Page hatte G+ von Anfang zur Sonne des Googleversums erkoren, um die sich dereinst alle Google-Dienste scharen. Die Algorithmuswüste der Suche sollte durch soziale Faktoren bereichert werden, jedoch ohne sich in Abhängigkeit dritter Netzwerke zu begeben. Um Alleinstellungsmerkmale hatte man sich zunächst einmal gar nicht bemüht. Einen müden Versuch hatte Vic Gundotra, Senior Vice President Engineering, noch einmal zumindest auf dem Papier versucht: „Wir haben daher (bei Google Plus) großen Wert auf Datenschutz gelegt und gestalten unser Netzwerk werbefrei.“ Doch jedem, der Google auch nur vom Namen her kennt, dürfte diese Behauptung als schaler Witz erscheinen.

Nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Gemüse

Dennoch: untätig ist man nicht geblieben. Google hat seit dem Launch des Netzwerks allerlei kosmetische Korrekturen vorgenommen, wozu regelmäßige Cover-Anpassungen, automagische Bild- und Videobearbeitung oder Emojis in Hangouts zählen. Doch die Mechanik ist stets dieselbe geblieben, die Frage nach „Okay, und was mach ich jetzt da?“ bleibt bis heute unbeantwortet. Google Plus im Jahr 2013 ist ein Sammelbecken von Crosspostings anderer Portale, Ani-GIF-Hölle, Google-Newsroom, Android-Stadion und hin und wieder eine Landingpage für Tweet-Links – weil hier mehr Zeichen zur Verfügung stehen. Anstatt der Plattform eine Identität zu geben und die Sonne mit magnetischer Schwerkraft auszustatten, werden Nutzer zwangsumgesiedelt, was ebenso konsequent die Anmeldezahlen wie auch den Publikumsfrust nach oben treibt.

Während das aus dem Pingpong-Spiel zwischen Nutzern und Netzwerk erwachsene Facebook Abwechslung und Interaktion in vielen Bereichen bietet, erscheint Google Plus als strenger Vater, der seinem Kind Hausarrest erteilt und einen Ball in die Mitte des Kinderzimmers gelegt hat. Nun wundert er sich, dass der Sohn heulend im Bett liegt und kein Klassenkamerad zum Spielen kommt.

Wenige Monate vor dem Launch des Netzwerks, im Sommer 2011, bezeichnete ich Google als technokratischer Soziopath, der nicht in der Lage ist, zwischen Mensch und Maschine zu unterscheiden. Und dieser Meinung bleibe ich bis heute treu. Man muss ja auch nicht in allem der Beste sein und in Sachen Suche und Bewegtbild macht Google heute niemand etwas vor. Doch der kontrollbasierte Ansatz führt bei den Nutzern langfristig zur G+-Blindness: Custom URLs, deren persönliche Individualisierung darin besteht, zwischen Groß- und Kleinschreibung zu unterscheiden, der G+-Zwang für YouTube-Nutzer, das noch immer hermetisch abgeriegelte System, das jeden Dienst mit Google-Stempel, aber keinen anderen, hineinlässt.

Was übrig bleibt…

Aber verhalten wir uns konstruktiv! Daher folgen an dieser Stelle Tipps für drei Parteien:

Liebe Nutzer,

tja. Ihr müsst am Besten wissen, wie ihr euch verhaltet. Da Google selbst nicht in die Pötte kommt, würde ich vorschlagen, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen und euch eure Nische zu suchen: entweder in anderen Netzwerken oder auf Google Plus selbst – ja, auch das ist bedingt möglich.

Liebe Unternehmen,

es geht wohl nicht ohne, was? Doch die drei schwachen Gründe – SEO (vielleicht hat sich Matt Cutts ja doch ungenau ausgedrückt), YouTube und die Hoffnung – rechtfertigen durchaus eine Verringerung der Posting-Frequenz. Intensiviert eure Anstrengungen dort, wo sie auf fruchtbaren Boden stoßen und das ist meist der Ort, wo sich die Zielgruppe tatsächlich aufhält. Also: „Durchhalten!“, lautet die Devise. Auch, wenn das Nutzer-Engagement humpelt, so kann es sich doch vielleicht eines Tages auszahlen, die Präsenzen nicht komplett vom Netzwerk abgezogen zu haben.

Liebes Google,

bitte weniger Feature-Workshops, dafür mehr Strategie-Gipfel! Langsam wird es Zeit, die Schwerpunkte zu setzen, denn der Versuch, alle Nutzer gleichermaßen zu bedienen, ist gescheitert. Baut Nischen, erweckt G+ mit einer florierenden Fotoplattform zu neuem Leben oder haltet euch an die Games oder gebt dritten Entwicklern mehr Instrumente an die Hand. Öffnet euch anderen Plattformen, denn niemand lässt sich freiwillig einsperren.

Foto: Flickr – cyclonebill (CC BY-SA 2.0)

3 Kommentar

  1. Vielleicht ist das Schöne für mich bei G+, dass dort keine Freunde und Verwandten sind, die mir die Pinwand, TL, wasauchimmer mit Bildern und Stories vollmüllen, die schon seit Monaten bei Twitter durch sind. Ich finde dort viele Menschen, die auch bei Tw sind und die G+ als weiteren Kanal nutzen und kann dort ebenso kommunizieren wie bei fb, nur ohne irgendein soziales Befreundungsmuss…

  2. Google + ist für mich das bessere Informationsnetzwerk, ich folge guten Profilen, Unternehmen und lese dort viel mehr Fachartikel. Facebook nutze ich eher privat mit Freunden, Abends gemütlich zur Unterhaltung, um zu sehen wo was los ist in unserer Umgebung, etc. Für mich hat beides seine Daseinsberechtigung.

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