Expert Experience Exchange Das Event als ultimativer Touchpoint (6 Trends)

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Vor ein paar Tagen folgte ich der Einladung der Expert Experience Exchange, ein von von EAST END organisiertes Event mit wechselnden Unternehmenspartnern, die sich im Erfahrungsmarketing einen Namen gemacht haben: „Experience beyond Moments“, so das Stichwort. Hintergrund der Disziplin ist die Theorie, dass Marken im Kampf um Aufmerksamkeit in erster Linie durch das direkte und nachhaltige Erlebnis beim Kunden punkten können. Doch dazu später mehr…

Zunächst einmal möchte ich den Begriff der „Customer Experience“ definitorisch genauer umreißen, denn das Erlebnis des Kunden erstreckt sich über weit mehr als das punktuelle Zusammentreffen, zum Beispiel im Rahmen eines Events. Customer Experience fasst alle Kontaktpunkte – alle Touchpoints – zwischen Kunden und Unternehmen zusammen. Die Schlange im Supermarkt ist ein Erlebnis. Die Fernsehwerbung oder das Banner sind Erlebnisse. Der vorbeifahrende Kampagnen-Truck ist ein Erlebnis. Dass unbürokratisch überreichte Austauschgerät ist ein Erlebnis. Kurz: jeder Kontakt ist ein Erlebnis.

touchpoints

Dieser Denkansatz setzt ein holistisches Markenverständnis voraus, bei dem sämtliche Kontaktpunkte mit Kunden kontrolliert oder zumindest zu kontrollieren versucht werden. Ich habe schon oft darüber geschrieben, aber auch hier muss Apple zunächst als Best Case-Beispiel herhalten.

Das Geheimnis der Erlebnissteuerung: Markenkontrolle von A bis Z

Apple folgt dem Erfolgsrezept „Alles aus einer Hand!“ – was eine kontinuierliche Überwachung der Marke in allen Bereichen beinhaltet. Zum Beispiel in der Produktion: 1984 baute Apple in Freemont, Kalifornien, die erste eigene Fabrik. Jobs wanderte durch die Hallen und bestimmte die Innenarchitektur, was bis zur farblichen Gestaltung der Maschinen reichte. Da Apple rund zehn Jahre später auf eine erste Skalierungsprobe gestellt wurde, wanderte die Produktion nach Asien, doch auch dort war und ist man stets bemüht, sich aus der Kompromisshölle der Zulieferer (und ihrem schlechten Image) zu befreien. Der neue Apple Campus soll einiges abfedern und Ort einiger Bauprozesse werden. Donald Trump geht das zwar nicht weit genug, aber auch er wird eines Tages verstehen, dass es unmöglich ist, die derzeit 700.000 Fließbandarbeiter, die für Apple in Asien arbeiten, in den USA zu finden.

Abseits der Produktion ist der Kundenkontakt näher und das Kontrollnetz demnach auch engmaschiger. Wir haben hier schon öfters Blicke auf Apples Retail-Strategie geworfen: der Apple Store ist in erster Linie ein Ort des Erlebnisses und der haptischen Markenkommunikation – aber keine Verkaufshalle. Daher hasste Jobs auch Zeit seines Lebens die Vorstellung, dass iMacs und MacBooks bei Media Markt auf Paletten zwischen PCs, Batterien und Ventilatoren stehen. Apple verkauft keine Elektronikprodukte, Apple verkauft problemlösende Erlebnisse. Kein Umstand machte dies so deutlich, wie die ersten Monate des Verkaufs der Apple Watch, für deren Erwerb man zunächst einen persönlichen Termin inklusive konzertiertem Schmeichel-Verkaufsgespräch buchen musste. Wer bis zu 17.000 US-Dollar für eine Uhr ausgibt, deren Technik binnen zweier Jahre überholt sein wird, will vom individualisierten Luxus nicht nur hören, er möchte ihn spüren.

Auch die Folgekontakte im Lebenszyklus der Produkte sind kontrolliert. Support gibt es nur direkt bei Apple oder aber bei zertifizierten Händlern, die sich zu hundert Prozent den Konzernvorgaben unterwerfen. Da das Kundenerlebnis – gerade bei den mobilen Geräten – kontinuierlich durch die oft kritisierte Leistung der Service-Provider getrübt wird (schlechter Ausbau, schlechte Verbindungsqualität, schlechte Konditionen), hatte Jobs schon kurz nach Release des iPhone 1 über den Errichtung eines eigenen Mobilfunknetzes gesprochen, diesen Gedanken aber zunächst aus Kostengründen verworfen. Übrigens: Das Gerücht, dass es aber schon bald tatsächlich ein Apple-Netz geben könnte, flammt derzeit wieder auf.

Wie weit Erlebnissteuerung bei Apple geht, zeigt das jüngste Beispiel aus der Marketingabteilung, dessen Leiter Phil Schiller kürzlich die Öffentlichkeit erst einmal über korrekten Gebrauch pluralisierter Produktbezeichnungen aufklärte. Es gibt keine „iPhones“ und „iPads“. Es gibt nur „das iPhone“. Es gibt keine Mehrzahl. Es gibt „mein iPhone“ oder aber „dein iPhone“ – aber es gibt nicht „irgendwelche iPhones“. Wer bislang nicht glaubte, dass Sprache individuelle Produkterlebnisse formt: auf der gesamten Apple-Website finden sich bis heute keine „iPhones“.

Selbst das Ende – und damit die Verabschiedung des Kunden vom Produkt – hat Apple mit dem neuen Recycling-Programm in die eigenen Hände genommen, denn jeder Schluss einer Beziehung kann zugleich auch der Beginn einer neuen sein. Und so startet der Kreislauf von Neuem…

Der Preis der Kontrolle und das Event als Lösung

Apple ist ein Extrembeispiel dafür, wie holistische Kundenerlebnisse im Rahmen von Markeninszenierungen geformt werden. Auch Tesla verfolgt ähnliche Strategien. Warum sehen wir davon nicht mehr? Weil hundertprozentige Kontrolle der realen oder virtuellen Begegnung ihren Preis haben; es ist nämlich schweineteuer. Dennoch sollte sich kein Unternehmen von dem Versuch abhalten lassen und alle owned, earned oder paid Touchpoints auf das Erlebnis hin zu optimieren und zwar mit einer einzigen Perspektive: der des Kunden. Das kann von der Playlist-Justierung des Hotline-Musikgedudels über den „Danke!“-Hinweis auf der Quittung bis hin zum nachfassenden Loyalty-Gespräch mit Goodies gehen.

Gerade weil Erlebnissteuerung so kostspielig ist, finden wir hierzulande eine große Konzentration auf wenige Sektoren, allen voran den des Events. Veranstaltungen bilden einen abgeschlossenen Rahmen, der sich trotz ausufernder Ränder gut überblicken und damit kontrollieren lässt. Events folgen klassischer Inszenierungsstrategien, haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Events sind persönliche Erinnerungen.

Und gerade diese drei Punkte standen im Mittelpunkt des Expert Experience Exchange, das im April in Hamburg stattfand. Angetreten waren also die drei erwähnten Unternehmen: die Agentur für Event- & Live-Kommunikation EAST END (danke an Oliver Golz), die Innovationsberatung Future Candy (danke an Konstanze Kossack) und Condé Nast (danke an André Pollmann), das derzeit nach Mitteln und Wegen Ausschau hält, um sich vom traditionellen Printverlag zum digitalen Lifestylepartner der Leser zu entwickeln.

(Sketchnote von Andrea Brücken: andrea-bruecken.de)
(Sketchnote von Andrea Brücken: andrea-bruecken.de)

Für alle drei Parteien spielt das Event als Kommunikationsort naturgemäß eine große Rolle. Zum einen ist da die Differenzierungsmöglichkeit. Abseits des kleinen Marktes disruptiver (und damit auffälliger) Produkte herrscht heute eine große Gleichförmigkeit, was sowohl Eigenschaften als auch Markenbotschaften angeht. Wer bei den im Folgenden abgebildeten Mittelklassewagen mehr zwei Alleinstellungsmerkmale im Design findet, kann sich glücklich schätzen:

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Zudem verfolgen die drei Unternehmen die Strategie des verlängerten Erlebnisses. Das Event wird nicht länger als isoliertes Ereignis im Leben des Kunden gesehen, sondern als Startschuss einer längerfristigen Beziehung, bei der auch nach Monaten die Markenassoziationen wachgehalten werden. Nachhaltigkeit steigert den ROI eines Events um die n-fache Potenz, was zum einen Geld spart und zum anderen den kostbaren Moment der direkten Begegnung nicht überstrapaziert.

Die Trends der Event User Experience

Um sich diesen Zielen zu nähern, setzen alle drei auf ähnliche Taktiken, die auf aktuellen und künftigen Trends basieren. Oliver Golz, der Founder und Managing Director von EAST END hat sie schön zusammengefasst und ich möchte sie hier wiedergeben.

Trend 1: Live & online
Ich sage immer: „Was online nicht sichtbar ist, hat offline niemals stattgefunden!“ Wer ein Event offline plant und durchzieht, ohne es im Netz zu spiegeln, verliert im Zeitalter der Sofortness gleich zwei Dinge: Reichweite und Nachhaltigkeit. Golz nennt das Beispiel der dänischen Metal-Band Volbeat, die ihre Konzerte nicht nur live ins Netz streamen, sondern das virtuelle Erlebnis gleich auf 360° ausdehnen. Eine VR-Brille oder Google Cardboard vor das Gesicht und schon ist man dabei – und zwar auch Jahre später. Wie groß die Sehnsucht nach digitaler Teilhabe jetzt-stattfindender Events ist, zeigt auch das Beispiel des MayPac-Boxkampfes im Jahr 2015 in Las Vegas, dessen traditionelle TV-Übertragung durch HBO und Showtime im Fight gestört wurde. Die Nutzer und mit ihnen die Live-Streaming-App Periscope übernahmen daraufhin und wurden zum Gewinner des Abends gekürt.

Trend 2: Involvement
Das Format des Barcamps boomt – und zwar überraschenderweise auch in Deutschland. Gerade im Digitalsektor gibt es kaum noch klassische Konferenzen per Frontalunterricht, sondern fast nur noch aus sich selbst heraus bildende Lehrveranstaltungen. Neben dem Vorteil diversifizierter Inhalte gibt es dabei einen weiteren: Nutzer identifizieren sich schneller mit dem Event, fühlen sich für sein Gelingen verantwortlich. Laut Golz täten Event-Veranstalter demnach gut daran, die Besucher in allen Prozessen der Organisation zu involvieren und sie von reinen Erlebniskonsumenten zu Erlebnisproduzenten avancieren zu lassen.

Trend 3: Individualisierung
Gerade bei Massenveranstaltungen ist es schwer, unterschiedliche Zielgruppen ins Auge zu fassen, um exakt ihre Bedürfnisse zu bedienen. Manchmal stehen hunderte Besucher einer Show oder einer Bühne gegenüber und nicht jeder fühlt sich angesprochen. Doch es gibt eine Lösung: Persönliche Erlebnisse lassen sich mithilfe von Technologie aus dem Event herausschälen, ohne das soziale Gefüge zu brechen. Als Beispiel dient hier unter anderem der Las Vegas Takeover, der vom Ultimate Fighting Championship vergangenes Jahr in Las Vegas organisiert wurde. Zehntausende Fans fluteten die Stadt, um per RFID oder QR-Codes an vielen Locations ihre Erlebnisse markengerecht zu teilen und erhielten dafür Perks (kostenlose Drinks, VIP-Behandlung usw.).

Trend 4: Digital Tetox
In den vergangenen Jahren is „Unplug & Recharge“ zum Schlachtruf vieler gestresster Digitalarbeiter geworden – und heutzutage arbeitet fast jeder digital. In den USA hat sich schon früh der Trend zum analogen Rückzug gebildet, den bisherigen Höhepunkt bildet das Camp Grounded, bei dem Erwachsene jeglichem Elektronischen entsagen, um gemeinsam für ein paar Tage wieder Kind zu sein. Auch Deutschland hat sich mit dem Wanderlust Festival Ähnliches etabliert. Wenn die Zielgruppe stimmt, könnte der Plan eines solchen Events aufgehen. Das Erlebnis schlägt weniger hohe Wellen, ist für den einzelnen aber umso intensiver.

Trend 5: Gamification
Auch ein alter Bekannter findet sich unter den aktuellen Trends: Gamification. Die Zocker-Gemeinschaft wächst von Tag zu Tag, der Bereich des Wearable-unterstützen Self-Optimizings kommt ohne das Spiel, die Lust am Besserwerden, nicht mehr aus. Events, die Dinge wie Herausforderung, Wettbewerb und Belohnung ganz oben auf die Erlebnisskala setzen, könnten laut Golz neue Engagement-Marken setzen. Als Beispiel kann Destination Unknown genannt werden, eine Hyundai-Kampagne im Stil einer urbanen Scavenger Hunt, die den Gewinnern ein Privatkonzert der Dubstep-Rocker Imagine Dragons in Aussicht stellte.

Trend 6: Immersive Experiences
VR wurde als Technologie bereits an die Startrampe geschoben – wir warten auf das Abheben! Seit Oculus Rift und Sony PS4 VR virtuelle Welten in die greifbare Nähe Normalsterblicher gerückt haben, sind die Hoffnungen der Eventbranche gestiegen. Schon heute gibt es einige gelungen Anwendungsszenarien von Virtual Reality, sei es im kulturellen Bereich oder im Rahmen der Markenkommunikation. Angereichert durch persönliche Informationen aus dem Social Web können diese Events zu kollektiven Einzelereignissen mit hoher Durchschlagskraft werden.

Neben den sechs großen Trends gibt es natürlich weitere, die ziemlich überraschungsfrei allesamt aus dem technologischen Bereich stammen. Da wäre zum Beispiel der Einsatz von Drohnen, um Dienste und Vertriebswege (eben in der Logistik) noch schneller, noch persönlicher zu gestalten. Oder den 3D-Druck, der es erlaubt, on-the-spot individualisierte und haptische Markenbotschaften zu gestalten. Oder der physische oder virtuelle Roboter (etwa bei Chat-Bots), der es erlaubt, Kontakthürden zwischen Unternehmen, Marken und Kunden abzubauen und neue Erlebnisse zu schaffen.

Gibt es weitere Trends? Dafür ist die Kommentarspalte da!