Wie Kinder: Wirtschaft & Verlage kratzen & beißen um das Leistungsschutzrecht

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Dieser Streit ist wieder einmal einer, der nicht am runden Tisch ausgetragen wird, sondern schön in aller Öffentlichkeit, versteckt hinter Pressemitteilung und piesackenden Kommentaren, die in den Medien gestreut werden. Es ist so herrlich deutsch, Dinge professionell in aller Ineffizienz dergestalt anzupacken. Doch nun zum Thema.

Im Mittelpunkt steht die seit langem angekündigte Erweiterung des Urheberrechtsgesetzes. Einige zusätzliche Paragrafen sollen eingefügt werden, um den Verlagen das „ausschließliche Recht“ einzuräumen, ihren Content selbstbestimmt zu verbreiten und daran verdienen zu können: „Leistungsschutzrecht“ lautet der dazu passende Schlachtruf. Am Ende der Kette soll eine neue Verwertungsgesellschaft stehen – eben eine GEMA für das gedruckte Wort, im Branchen-Sprech auch „Presseerzeugnis“ genannt.

Was das konkret bedeutet: Wenn wir vom Beispiel Google ausgehen, sehen wir auf Seiten der Verleger die Argumente, in denen es heißt, die Suchmschine mache den Mörder-Reibach mit ihrem sauer erarbeiteten Content. Google fragt nicht, Google indiziert einfach die Seiten von Online-Zeitungen und -Magazinen, ohne auch nur einen Cent dafür an die Urheber abzudrücken. Eine bodenlose Frechheit!, sagen da die Verleger im Jahr 2010, in dem die Medienkrise gerade ihren Zenit überschreitet.

Im Zentrum der Kritik stehen also die kommerziellen Anbieter, beispielsweise News-Aggregatoren, die künftig dazu verdonnert werden sollen, mit einer neu zu gründenden Verwertungsgesellschaft ihre Lizenzverträge auszuhandeln. Dafür, dass Google News-Snippets zeigen darf, muss die Summe X bezahlt werden. Am heutigen Donnerstag haben diverse Verbände der Wirtschaft unter dem gemeinsamen Dach des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) öffentlich Stellung zu den Forderungen genommen und kommen dabei in ihrer Presseerklärung aus dem hysterischen Lachen nicht mehr heraus. Lesen wir einmal hinein:

Das Bundesministerium der Justiz erwägt die Einführung eines sogenannten Leistungsschutzrechts zugunsten von Presseverlegern. Dies könnte die berufliche Nutzung frei zugänglicher Presseseiten im Internet einer allgemeinen Kostenpflicht unterwerfen. Im Ergebnis könnten die Verlage Abgabenerlöse in Milliardenhöhe erzielen – auf Kosten selbstständiger Berufsträger, kleiner und mittelständischer Unternehmen sowie der deutschen Wirtschaft insgesamt. Das Vorhaben betrifft damit keineswegs nur neuartige Geschäftsmodelle der Internetwelt, sondern es betrifft vielmehr jedes in Deutschland ansässige Unternehmen.

Die Wirtschaft hat insgesamt vier dicke Kritikpunkte herausgearbeitet, die sie nun von den Barrikaden herab den Verlegern zuruft. Erstens seien Online-Presseabgaben generell ordnungspolitisch inakzeptabel. Zweitens würde die Informationsfreiheit im Netz existenziell eingeschränkt. Drittens wäre die „Innovationskraft im digitalen Wandel“ durch eine Info-Steuer dramatisch gefährdet. Und viertens sei es nicht einzusehen, dass die schreibende Zunft unter allen Content-Lieferanten ein Sonderrecht eingeräumt bekommen sollen. Das, was es zu schützen gilt, sei bereits durch das normale Urheberrecht geschützt. Im Übrigen sei es doch das Bier der Verlage, wenn sie ihre Texte frei ins Netz stellen – niemand zwingt sie dazu, doch offenbar können sie es sich angesichts der Werbeeinnahmen doch nicht verkneifen.

Der Protestbrief des BDI ist ein ebenso amüsantes wie ernstes Stück „Leck mich!“-Lektüre in Richtung der Presse und schließt mit den Worten: „Erforderlich ist dagegen eine offene Diskussion über verbesserte Marktbedingungen der Medienwirtschaft, die innovative und zukunftsfähige Geschäftsmodelle in der digitalen Welt vorantreiben und damit auch die Grundlagen für einen unabhängigen Qualitätsjournalismus der Zukunft sichern.“

Eine „offene Diskussion“, soso. Wie offen es die Verleger damit halten, merkte man kaum zwei Stunden später, als der Bundesverband Deutscher Zeitschriftverleger (BDZV) gemeinsam mit den Kollegen vom VDZ mit einer gepfefferten Pressemitteilung die Wirtschaft in den Schwitzkasten nahm. Die BDI-Erklärung sei ein Witz und noch mehr – sie sei „inkonsequent und pressefeindlich“:

„BDZV und VDZ fordern einen angemessenen Schutz der Leistungen der Presseverlage“, sagten die Sprecher der Verbände. In einer freien Marktwirtschaft sei es selbstverständlich, dass gewerblich genutzte Leistungen auch vergütet würden. Für diese Grundsätze trete gerade auch der BDI ein. Erst jüngst forderte er ein Aktionsbündnis zum Schutz des geistigen Eigentums. Dies einzig der Presse nicht zugestehen zu wollen, um die eigene Kasse zu schonen, sei nicht nachvollziehbar.

Auch auf den Kostenfaktor wird in der Mitteilung eingegangen:

Als völlig überzogen wurde auch die Behauptung des BDI kritisiert, die Presse wolle Lasten in „Milliardenhöhe“ auf die Wirtschaft abwälzen und gefährde damit insbesondere den Mittelstand. „Davon kann keine Rede sein“, sagten die Sprecher. „Von Milliarden haben wir nie gesprochen. Im Gegenteil: Der BDI weiß aus Gesprächen mit den Verlegerverbänden, dass solch absurde Größenordnungen weder geplant noch vorgeschlagen worden sind.“

Was wir nun sehen? Rauchende Colts und verglühtes Adrealin. Auch die Verleger versprechen abschließend, „den Dialog mit der Wirtschaft fortzusetzen“, um „gemeinsam nach einvernehmlichen Lösungen“ zu suchen. Ich kann hier nur noch den Kopf über soviel eingeschnappten Kinderkram schütteln. Eine Lösung muss her, soviel ist sicher. Dass die Verlage mit ihrer Forderung nach einer Inhaltesteuer für gewerbliche Anbieter nicht durchkommen (dürfen), sondern vielmehr gescheite Monetarisierungsmodelle entwickeln sollten (Stichwort: Mobile Content), steht dabei außer Frage.

Doch auch die Wirtschaft muss sich die Frage gefallen lassen, ob es tatsächlich ein ungeschriebenes Gesetz gibt, fremde Texte auf eigenen Plattformen verwerten zu dürfen, ohne dafür die Urheber zu belohnen. Klar ist, dass Suchriesen wie Google sich einem Diktat der Verleger niemals beugen werden. Doch vielleicht wird die Diskussion bereits durch aktuelle Entwicklungen überrannt sein, wenn es zu einer Einigung kommt. Kaum jemand googelt noch nach News – Nachrichten werden vielmehr im Social Web umhergeschossen. Und wen bittet man da noch zur Kasse? Die Nutzer?

Bild: Flickr – Fotograf: pierrelaphoto