Ich glaube, es gibt nichts Einfacheres, als auf die Deutschen Bahn einzuprügeln und von allen Umstehenden dafür tosenden Applaus zu kassieren: Verspätete Züge, Hitzschläge in ICEs, katastrophale Informationspolitik, maroder Nahverkehr und zuletzt der Stuttgart21-Fauxpas – im deutschen Schienennetz läuft schon seit langer Zeit etwas fundamental falsch.
Doch was hilft es? Die Kunden protestieren an Infoständen in den Bahnhofsvorhallen, Journalisten zeigen in spätabendlichen Drittsender-Dokus Missstände auf und hin und wieder räumt selbst die empörte Politik hemdsärmelig ein: „Ja, naja – das könnte besser laufen, denke ich…“ Doch der Berliner Konzern zeigt sich stets unbeeindruckt, jede noch so scharfe Kritik scheint an der Glasfassade des pompösen „Bahn-Towers“ (26 Stockwerke) wie ein leichter Sommerregen abzuperlen. Die Deutsche Bahn ist und bleibt ein unverzichtbarer Dienstleister des täglichen Lebens und niemand weiß das besser als das Unternehmen selbst. Das Monopol macht immun.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Deutsche Bahn heute zum ersten Mal in ihrer Geschichte sich den Kunden geöffnet hat. Im Zuge der neuen Ticket-Kampagne „Der Chef kommt“ (ausgetüftelt von Ogilvy) wurde eine neue Facebook-Seite aus dem Boden gestampft. Für eine begrenze Zeit soll sie als Verkaufsplattform für zuggebundene Billigtickets herhalten – ähnliche Aktionen liefen in der Vergangenheit regelmäßig über die lokalen Discountermärkte; das Angebot selbst ist also nicht ungewöhnlich. Ebenfalls wenig überraschend ist die Tatsache, dass die Bahn mittels der Einmal-Aktion zunächst nur ein Fenster zum Social Web öffnet – die Tür bleibt weiterhin verschlossen:
Mit dieser Strategie liegt der Fokus der Page also auf einer klar definierten Marketingaktion die zudem zeitlich begrenzt ist. Der klare Vorteil einer solcher Strategie – sie kann als einmaliger Testballon genutzt werden. Die Exit-Strategie wurde also sehr klar definiert.
Nein, wirklich überraschend ist es, dass die Deutsche Bahn gerade zu diesem Zeitpunkt zum Tanz auf dem Facebook-Pulverfass einlädt. Die Bilder der Wasserwerfer und Pfeffersprays sind noch allen gut im Gedächtnis, Stuttgart21 zog und zieht einen Protest hinter sich her, der in erster Linie im Internet organisiert wird. Und mitten in dieser Community hat sich die Bahn nun einen Platz reserviert. Die Kampagne soll alleine vom Mitmachnetz zehren, sowohl die Distribution (das Seeding geschieht alleine mittels der Social Media-Kanäle und Basic Thinking ist – verzeiht den Kalauer – bereits auf den Zug aufgesprungen) als auch die Feedback-Kanäle liegen außerhalb des Kontrollbereichs der Bahn. Wer immer bei Ogilvy die Idee dazu hatte, verfügt entweder über härtere Eier als Chuck Norris, ist absolut neu im Geschäft oder ist tatsächlich von dem Grundgedanken überzeugt, dass die Bahn für immer den Anschluss verlieren würde, wenn nicht jetzt der Sprung ins Social Web gewagt wird. Es gibt einen schmalen Grat zwischen Mut und Übermut und dieser wurde mit dieser Aktion zweifelsohne und reichlich unüberlegt überschritten.
Tatsache ist, dass die Bahn bislang nicht von den ersten Gehversuchen im Netz profitieren könnte, alleine Profis unter den Nutzern, die sich von Berufswegen mit der Dynamik befassen, bleiben ruhig und mahnen zur Geduld. Die überwiegende Mehrheit der Kunden wetzt erwartungsgemäß die Messer:
Chef hin oder her… Endlich hat die Bahn einen Meckerkasten!!!
Ist ja wie auf dem Bahnsteig – alle stehen rum und warten, aber die Deutsche Bahn lässt sich nicht blicken…
Ich habe hier eigentlich nur den Like-Button geklickt, um mal ein großes Dislike loszuwerden. Ist paradox, entspricht aber der Realität. Es Wäre schön, wenn man endlicH auch mal die Leistungen erhielte, für die man die Bahn bezahlt. Dazu zählt auch Pünktlichkeit.
So Wasserwerfer braucht die Deutsche Bahn bald auf ihrer FB Seite 😉 Das Passiert, wenn man in einem Dialogorientierten Medium keine Dialoge führt.
Die Bahn kommt…NOT!
Liebe Bahn, Ihr habt wirklich Mut: Hahnenkampf im Video (hallo Tierschützer!), toller Auftritt in Facebook … aber Riesen-Baustelle in Stuttgart und auch sonst könnten viele Kunden ein Frustventil brauchen. Demnächst alles hier in Facebook. Ich bin gespannt!
Kann ich mich hier über die schlechten Verhältnisse in Eurer ICE-Flotte auslassen? Beim Zugpersonal hat das ja keinen Sinn, die verweisen immer nach „Oben“ – oder ist das hier eher so eine Alibi-Aktion Eurer Agentur?
Dies sind Reaktionen von der neuen Facebook-Seite, weitere werden plattformübergreifend folgen. Alleine der aufwändigen Inszenierung des (Viral-?)Spots ist es zudem zu verdanken, dass Spoofs und Memes nicht binnen der ersten Stunden bereits die Runde machten. Doch genau dies könnte bald geschehen.
Aber ist es nicht eine tolle Sache, dass sich die Bahn nun der offenen Kundenkommunikation stellt? Sicher ist es das. Allerdings ist es mehr als ungeschickt, den Dialog (zumal nach diesem Sommer) mit einem kommerziellen Angebot zu suchen. Die heute proklamierte Botschaft lautet: „Die Deutsche Bahn ist für euch da. Aber nur dann, wenn wir wollen und ebenfalls nur, wenn wir daran auch verdienen können.“ Wo waren die Social Media-Ambitionen, als Stuttgart brannte? Wo war eine transparente Infopage, auf der die Deutsche Bahn als kompetenter und ehrlicher Ansprechpartner zur Verfügung stand? Sie war im obersten Stock des Berliner Towers, Mitarbeiter sondierten die Nachrichten, die PR-Abteilung reichte still Clippings in die Chefetage und irgendwo auf der Herrentoilette nickten sich zwei Herren zu und sagten sich: „Morgen ist die Sache vergessen. So wie immer.“
Dabei hätte man es besser wissen können, denn dieser Kardinalfehler wurde von Vodafone bereits im vergangenen Jahr begangen. Der Telco hatte Frau von der Leyen zugejubelt und freiwillig den Netzsperrenvertrag unterschrieben, um sich danach in der Community für den Neologismus „Generation Upload“ feiern zu lassen. Vodafone flog für wenige Minuten, ehe es zur Bruchlandung kam. Und die Kollateralschäden waren immens.
Das Deutsche Bahn-Team der Facebook-Seite dürfte zu diesem Zeitpunkt Brausetabletten gegen Magengeschwüre en masse zu sich nehmen: Wir sind da, bitte alle einsteigen, wir bringen Sie sicher ans Ziel. Doch erwarten Sie nicht, dass Sie neben ein paar Lautsprecher-Durchsagen mehr von uns zu hören bekommen. Jedes Wort ist zu diesem Zeitpunkt zuviel, da sich nur die Angriffsfläche im Minutentakt vergrößern würde: „Senk ju vor bekomming aur fan!“ – das muss erst einmal als Ansprache reichen.
Update, 21 Uhr
Tag 1 ist gleich überstanden – allzu viel Arbeit hat sich die Bahn mit ihrer neuen Facebook-Page auch bislang noch nicht gemacht. Man beschränkt sich darauf, die breite Kritik nicht zu beachten und sich stattdessen den wenigen Fragen zum eigentlichen Produkt (was war das noch einmal genau?) zu widmen. Insgesamt hat das Team bis zum Abend ganze drei Status-Updates veröffentlicht. Der jüngste Kommentar wendet sich dem Tierschutz zu: Es wird versichert, dass kein Hahn beim Videodreh zu Schaden gekommen ist – PETA kann also noch beruhigt im Abteil sitzen bleiben. Dass eine diesbezügliche Verteidigungsrede zum Pflichtprogramm würde, war klar, immerhin haben wir es mit einer deutschen Kundschaft zu tun, die nach dem Dampfablassen weiter zu Kentucky Fried Chicken schlendert, um dort feudal zu speisen.
Anyway: Was sich hinter dem letzten Bahn-Post jedoch wirklich verbirgt, sieht man nicht dem Inhalt, sondern allein der Formatierung an. Wie es scheint, wurde der Text per Copy & Paste bei Facebook eingefügt, die Zeilensprünge wurden unkorrigiert aus irgendeinem Mailprogramm übernommen. Man kann nur mutmaßen, durch wie viele Abteilungen die sechs Sätze zuvor gegangen sind. Es steht zu hoffen, dass diese Form der Flexibilität in den kommenden Tagen ein wenig an Biegsamkeit hinzugewinnt.
P.S.: Mittlerweile gibt es auch bei Klaus Eck, Off the Record und Thomas Knüwer etwas über das Thema zu lesen.
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