Die Deutsche Bahn (@db_bahn): Der neue ZEN-Meister auf Twitter

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Ich habe mich heute Mittag mit den Jungs von der Deutschen Bahn, Mirko Lange (talkabout) und einigen Bloggern getroffen, um am Vorabend der Schlacht ein paar Infos einzuholen. Mittlerweile dürfte es sich ja herumgesprochen haben, dass die Bahn am Mittwoch (8. Juni) ihre Arbeit auf Twitter (@db_bahn) aufnehmen wird. Und ich muss sagen, dass mir selten eine so gelassene Eintracht, so eine hypelose Ruhe begegnet ist, wie in dieser Social Media-Runde. Die Deutsche Bahn hat ihre Hausaufgaben gemacht, das harte Training absolviert, gegen interne und externe Widerstände gekämpft – und freut sich nun auf die bevorstehende Aufgabe. Aber der Reihe nach…

Vor einigen Wochen bekam ich die Einladung der Deutschen Bahn, an einem geheimen Twitter-Pilotprojekt teilzunehmen. „Oha!“, dachte ich da und erinnerte mich an meine Schelte, die ich vor gar nicht allzu langer Zeit selbst Richtung Konzern ausgegeben habe. Damals hatte die Bahn ein erstes Shitstorm-Debüt auf Facebook gegeben, man lockte Kunden mittels des „Cheftickets“ auf die Page und war am Ende genauso schnell wieder verschwunden, wie man aufgetaucht war.

Von außen betrachtet war es eine unüberlegte, plumpe und überaus gefährliche Aktion an der Basis. Alle hatten noch ausfallende Klimaanlagen, ausgesetzte Kinder und Stuttgart21 vor Augen: Und sich dann mit einem „Kauft euch dieses Ticket, Boys ’n‘ Girls!“ im Social Web anzumelden – das musste einfach ein Schuss in den Ofen werden.

Nicht so dieses Mal. Dieses Mal scheint das Engagement und die Parole „Wir wollen Dialog!“ echt und überlegt zu sein. Der Einstieg auf Twitter wurde ebenso lange wie akribisch vorbereitet: Ein Team von zwölf Social Medians wurde aus allen Bereichen des Unternehmens rekrutiert, so dass Know-How in vielen Sektoren bereits von Anfang an gegeben war. Dann wurde die heterogene Gruppe geschult, geschult, geschult. Von Mittwoch an werden jeweils sieben Mitarbeiter werktags von sechs bis zwanzig Uhr die Repräsentanz der Deutschen Bahn auf Twitter übernehmen.

Um interne Missverständnisse zu vermeiden und gleichzeitig Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten, hat die Bahn ein 120-seitiges Handbuch für die Haus-Twitterer veröffentlicht. Ich habe heute einige Zeit darin herumgeblättert und war… naja: beeindruckt. Es ist kein Regelwerk à la „Twitter von A-Z“, sondern eher eine Anleitung für den autarken Einsatz von Social Media. Die Bahn hat erkannt, dass es kein Drehbuch für die Online-Kommunikation gibt, dass es innerhalb etablierter Prozesse einen gehörigen Spielraum für Improvisationen geben muss. Gerade dieses selbständige Spiel im Dialog wurde hier vermittelt. Es ist erleichternd zu sehen, dass hier der allgegenwärtige Kontrollzwang deutscher Unternehmen abgelegt wurde. Sie halten die Zügel locker, zuvor wurde aber das Reiten gründlich geübt.

Dazu zählte eben auch der oben erwähnte Pilottest im Vorfeld der Account-Einführung. An einem zuvor kommunizierten Zeitpunkt traten (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) rund 50 deutsche Social Medians gegen das neue DB-Team an. Ich war von Anfang an bemüht, so viele Fragen wie möglich zu den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern des Konzerns zu stellen: Gastronomische Versorgung, Call a Bike, Kinderreisen, EHEC, neue Technik und Tiertransport. Ich habe gepoltert, gemotzt, mit CAPSLOCK um mich geworfen, mich höflich erkundigt und mich eingeschleimt: Es war kein Probe-Bashing, jedoch in jedem Fall eine harte Herausforderung, die das Team – man muss es zugeben – bestens gemeistert hat. Ob es professionelle Freundlichkeit oder freundliche Professionalität war – ich weiß es nicht. Aber ich habe mich zu jedem Zeitpunkt als Gesprächspartner akzeptiert gefühlt. Das Ganze passiert in einem sympathischen Umfeld, man merkte, dass – wenn die Antworten auch nicht immer sofort zufriedenstellend waren – man stets versuchte, das Beste für den Kunden herauszuholen.

Heute habe ich noch von einem weiteren Beispiel gehört, bei dem es einem Mitarbeiter entspannt gelang, verborgene Baupläne eines bestimmten Wagontyps zu ermitteln, um die Frage zu beantworten, ob denn der Doppel-Kinderwagen auch durch den Gang passt.

Jedoch gab und gibt es Einschränkungen. So werden Fragen zu Stuttgart21 sowie zu individuellen Zugverbindungen nicht auf Twitter beantwortet. Die Gründe sind plausibel: Zum einen kann das Team nicht eigenmächtig für Konzernentscheidungen sprechen (für Stuttgart21 gibt es übrigens ein eigenes Forum), zum anderen würden all die „Wo muss ich denn da umsteigen?“ im Rahmen des normalen Betriebs sämtliche Ressourcen auffressen. Vielleicht ist das auch gar nicht nötig, da wohl die meisten mobilen Twitterer heute über ein Smartphone verfügen und auf die DB-Apps zurückgreifen können.

Die Bahn ist schon lange im Social Web vertreten

Natürlich ist es kein großes Ding (wie Olaf Kolbrück es heute formulierte), dass die Deutsche Bahn auf Twitter ist. Und wie ich die Jungs da heute haben reden hören, ist es auch das Letzte, was sie wollen: ein großes Ding. Twitter wird das bisherige Serviceangebot Beratungsangebot der Bahn um einen weiteren Kanal ergänzen; und wenn es nach den Plänen geht, könnte schon im kommenden Monat Facebook auf der Liste stehen. Doch auf der anderen Seite muss man einsehen, dass die Deutsche Bahn (neben RWE, der Deutschen Telekom und vielleicht noch der Post) eines der polarisierendsten Unternehmen ist, das wir hierzulande kennen. Und ich kann bereits jetzt das Säbelrasseln der Trolle hören. Dieser eine Schritt auf die Kunden zu ist schon eine mutige Bewegung, denn hier wird ein neues Forum für Kritik eröffnet. Oder nicht?

Wenn ich Unternehmen berate, kauen einige Damen und Herren nervös auf der Unterlippe herum: „Und… dann kommen die doch alle. Und dann wollen die doch auch alle was von uns. Und wenn die uns doof finden. Ich meine… was machen wir dann?“ Meistens kann man die Herrschaften beruhigen, indem man ein kleines Monitoring-Papier aus der Tasche zieht und ihnen vorhält, dass bereits heute – jetzt und in diesem Augenblick – über ihr Unternehmen geredet, gejubelt und geflucht wird. Jeder nimmt heute an Social Media teil – ob man will, oder nicht. Der Aufbau der eigenen Präsenz erlaubt jedoch die Bündelung. Man ist in der Lage, Lob und Kritik aufrichtig anzunehmen und einzusortieren und den Diskurs als Moderator zu lenken. Man kann eigentlich nur gewinnen.

Genau das hat die Deutsche Bahn kapiert. Und daher denke ich persönlich, dass die Entscheidung schon ein wenig mehr wert ist als ein einfaches „Na, und?“.

Die kommenden Tage werden zeigen, ob die Strategie aufgeht. Das gesamte Team macht einen hochmotivierten und gleichzeitig gespenstisch ruhigen Eindruck. Bei all der professionellen Gelassenheit würde man gar nicht vermuten, dass es die Deutsche Bahn ist, die morgen ihre ersten 140 Support-Zeichen absetzt. Ich wünsche an dieser Stelle jedenfalls allen Beteiligten ein gutes Gelingen! Behaltet eure sympathische Relaxtheit bei, lasst euch nicht aus der Ruhe bringen, wenn es heiß hergeht. Schön, dass es die Deutsche Bahn nun auch auf Twitter gibt!


Disclaimer: Ich bin mit der Deutschen Bahn weder verwandt noch verschwägert; noch habe ich sonst irgendwelche Zuwendungen für meine Mitarbeit oder diesen Blogpost bekommen.

22 Kommentar

  1. LOL! Na da in ich ja gespannt. Ich habe persönlich in Sachen Social Media mit der DB als BahnCard-Kunde so Einiges erlebt. Das war alles andere als „social“. Von daher bin ich gespannt, wie es ausgeht mit der geweckten Erwartungshaltung !!!! Ich wünsche der DB viel Erfolg und eine steile Lernkurve! Das baue ich doch glatt in meinen SocialMedia-Vortrag morgen ein!

  2. Dass die Deutsche Bahn Social Media Ernst nimmt und den Dialog annimmt, finde ich gut. Vielleicht sollte aber zuerst das Personal am Bahnhof in dieser Beziehung geschult, geschult, geschult werden? Als Berufspendler erlebe ich jede Woche wieder neue Enttäuschungen. Vor allem Züge, die im Feierabendverkehr ersatzlos und ohne jegliche Begründung oder Ankündigung ausfallen, können einem das Leben verleiden. Wenn dann der Verantwortliche am Gleis nur dumm in Löcher in die Luft guckt, würde ich am liebsten in diese gehen.

  3. Locker bleiben. 🙂 Wie gesagt: Die Twitter-Aktion ist keine Wunderwaffe in Sachen Service. Aber es kann einzelnen Nutzern doch einige neue Wege eröffnen, um flott Support zu bekommen. Vielleicht ist der Vorteil der Sache auch, dass die Bahn nun ihre Ohren noch dichter am Kunden hat und Probleme so (denen man sich uU nicht mal bewusst ist) eher thematisiert werden können…

  4. Gestern im Zug von München Richtung Niederbayern: stupst mich ein 18jähriges Mädl an und fragt, ob ich ein Bayern-Ticket hätte und sie mitnehmen könne. Zur Erklärung: Mit einem Bayern-Ticket können 5 Personen fahren. Ich hatte keins. Sie sagte, sie habe sich ausgesperrt: kein Schlüssel, kein Geld, kein Zugticket. Ich empfahl ihr, entweder gleich dem Kontrolleur zu sagen, dass sie kein Ticket hat, oder aber im Zug ganz nach vorne zu gehen, weil sie, wie sich herausstellte, in 20 Minuten eh aussteigen musste und so vielleicht den „Fängen der Bahn“ (sprich: des Kontrolleurs) entkomme. Sie entschied sich weder für das eine, noch für das andere, und blieb einfach hocken – wohl wissend, dass sie nur 5 EURO Strafe zahlen muss, weil sie ja ein gültiges Ticket zu Hause hat und das am nächsten Tag vorlegen kann. Nun gut, ich sah jedenfalls den Zorn des Kontrolleurs schon vor mir: böse Blicke, verbale Seitenhiebe, Angstschweiß auf der Stirn der Kleinen.

    Aber nichts da. Der Kontrolleur war so freundlich, besonnen und hat den Fall so souverän bearbeitet wie ich es noch nie von einem Kontrolleur gesehen habe. Das hat mich ziemlich beeindruckt. Und ich dachte, vielleicht umfasste die Social Media Schulung auch schon das Zugpersonal, den zentralen Touchpoint also zwischen Fahrgästen und Bahnangestellten. Ich weiß es nicht, aber es hätte gepasst. Mal sehen, wie sich die Bahn im Social Web schlagen wird. Sie hat eine Chance verdient.

  5. der service fängt im zug an.

    bevor die bahn auf twitter geht, sollte sie ihr angebot verbessern. vieles, was dort angeboten wird, grenzt an betrug. z.b. bei der online buchung von sitzplätzen wird teilweise erst angegeben, ob der sitzplatz auf der hauptstrecke verfügbar ist, wenn alle sitzplätze der fahrt beucht wurden. so kann es sein, dass münchen-nürnberg ein platz gebucht wird, aber münchen-göttingen dann eben nicht verfügbar ist. das sieht man nicht vor der buchung, sondern erst hinterher. die kosten für münchen – nürnberg werden aber abgebucht….
    twittert ruhig euren sozial müll ins netz, aber vergesst die fahrenden kunden nicht.

  6. Ist definitiv ein Schritt nach vorne in Sachen Social Media, vorallem weil – wie du in deinem Artikel geschrieben hast – die Deutsche Bahn ein polarisierendes Unternehmen mit vielen Kritikern und Zweiflern ist. Ein gewagter Schritt dort in die Offensive zu gehen und eine Tür für noch mehr „Feuer“ entsetzter Kunden zu öffnen. Wenn sich das neue Team, was ja durchaus einen kompetenten Eindruck macht, mit viel Engagement in die Sache reingeht, sehe ich den Schritt aber als positiv und als neuen und vorallem schnellen, sehr kundenfreundlichen Service an. Aber wie man auf der Twitter Timeline von der Bahn sieht geht es heiß her, mittlerweile gibt es ja nund fast 5500 Follower und 570 Tweets – genug Arbeit ist da.

    @villabor: Der soziale „müll“ ist für Kunden der Bahn – und das diese fliegen ist mir neu.

    Lustig: Der Retweet von dem Satiremagazin Titanic!

  7. Wie passen diese beiden Formulierungen zusammen?

    „An einem zuvor kommunizierten Zeitpunkt traten (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) rund 50 deutsche Social Medians gegen das neue DB-Team an.“

    „Disclaimer: Ich bin mit der Deutschen Bahn weder verwandt noch verschwägert; noch habe ich sonst irgendwelche Zuwendungen für meine Mitarbeit oder diesen Blogpost bekommen.“

    Haben alle 50 deutsche Social Medians ehrenamtlich gearbeitet? Haben auch die anderen Agenturen/Berater ohne Bezahlung mitgewirkt? Ist das eine neue Form von Bundesfreiwilligendienst? Oder war die Aufmerksamkeit und Ehre daran teilzugaben eine immaterielle, die persönliche Eitelkeit befriedigende Zuwendung?

    Andererseits: Täglich testen Millionen Bahnreisende das Serviceangbeot der Bahn und bekommen auch nichts dafür – im Gegenteil: Sie bezahlen sogar dafür 😉

  8. @Sascha:

    > Haben alle 50 deutsche Social Medians ehrenamtlich gearbeitet?

    Jep, so ist es. Und zwar nicht „gearbeitet“, sondern mitgemacht.

    > Haben auch die anderen Agenturen/Berater ohne Bezahlung mitgewirkt?

    Das weiß ich nicht. Die ausführende Lead-Agentur hat sicherlich Geld dafür bekommen.

    > Ist das eine neue Form von Bundesfreiwilligendienst?

    Nicht, dass ich wüsste.

    > Oder war die Aufmerksamkeit und Ehre daran teilzugaben eine immaterielle, die persönliche Eitelkeit befriedigende Zuwendung?

    Ich weiß nicht, wie es bei den anderen war, aber ich fand es spannend, Einblicke zu bekommen. Die 50 Social Medians haben auch keine Beratung gemacht, sondern die DB einfach nur testweise mit ein paar Tweets (jeweils vielleicht 10) zugeballert. Die Aktion war freiwillig, wir wurden nicht um Rat / Hilfe / Bewertungen / Feedback gefragt. Wer wollte, konnte aus Eigeninteresse später an einem lockeren Gespräch teilnehmen. Fertig.

    Fragen beantwortet? 🙂

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