Politik auf Facebook:
Ein Clusterfuck der Demokratie Wie durch politische Anzeigen Lügen verbreitet werden

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Donald Trump schlug schnell zurück. Im Rahmen der Ukraine-Affäre hatten die Demokraten im Kongress am 24. September 2019 offiziell die Untersuchung für ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Das Spinning-Team des US-Präsidenten benötigte nur drei Tage, um eine Antwort darauf zu formulieren: Das Impeachment sei eine Ungeheuerlichkeit, die nur von der eigenen Korruption ablenken solle und ein Ausdruck des Schmerzes sei, den die Demokraten seit der verlorenen Wahl noch immer nicht überwunden hätten. Als personifiziertes Ziel wurde Joe Biden auserwählt, zur der Zeit der demokratische Präsidentschaftskandidat mit den besten Erfolgsaussichten.

Während Trump auf Twitter wütete, veröffentlichte seine PR-Truppe ein Video („Biden Corruption“), in dem der ehemalige Präsidentenvize als kaltblütiger Opportunist porträtiert wird. Biden habe zu seiner Amtszeit der Ukraine bewusst eine Milliarde US-Dollar an Finanzhilfen vorenthalten. Das Geld sei erst ausgezahlt worden, nachdem das Land unter Druck den Generalstaatsanwalt Viktor Shokin entlassen habe, der die Geschäfte seines Sohnes Hunter genauer unter die Lupe nehmen wollte.

Das sieht in jederlei Hinsicht finster aus. Das Problem: Der Vorwurf ist nicht haltbar. Wie mehrere Fact-Checker bis heute zeigen: Shokin war 2016 sowohl den USA als und vor allem auch den europäischen Staaten ein Dorn im Auge und zwar aufgrund seiner frustrierenden Tatenlosigkeit bei der Korruptionsbekämpfung. Nach seiner Absetzung, die global für Erleichterung sorgte, gingen die Untersuchungen gegen Hunter Biden weiter, doch bis heute kann der neue Generalstaatsanwalt, Ruslan Ryaboshapka, kein kriminelles Fehlverhalten erkennen.

Facebook ändert die Spielregeln

Das Trump-Team feuerte dennoch aus allen Rohren und stellte den Clip auf mehreren Plattformen online. Auch bei TV-Newssendern wurden Werbeplätze gebucht, nachdem die ersten Factchecks aber die Runde machten, wurde die Ausstrahlung bei CNN gestoppt. Selbst Fox News war die Desinformationskampagne zu heiß und sie zogen den Clip zurück. Blieben die sozialen Netzwerke. Bei Facebook erschien das Video als bezahltes Posting am 3. Oktober 2019. Das war umso ungewöhnlicher, da Facebook normalerweise keine Werbung erlaubt, die nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen beinhaltet:

„Ads, landing pages, and business practices must not contain deceptive, false, or misleading content, including deceptive claims, offers, or methods.“
(Ad Policies, Prohibited Content, Punkt 13)

Judd Legum von Popular Information ging der Sache auf den Grund und fand heraus, dass die Einschränkung tatsächlich noch gilt. Aber nicht länger für politische Persönlichkeiten. Facebook hat die Regeln mitten im Spiel geändert und erlaubt seit Neuestem das Bewerben der verrücktesten Thesen, solange die Ads als politische Anzeigen gekennzeichnet sind.

Not eligible: The content contains a claim that is not verifiable, was true at the time of writing, or from a website or Page with the primary purpose of expressing the opinion or agenda of a political figure.
(Fact-Checking on Facebook)

Richtig gehört: Politische Instanzen können nun auf Facebook legitim behaupten, dass ISIS-Echsenmenschen die Masern-Schutzimpfung mit Autismus-fördernden Stoffen versehen, um aus der flachen Erde eine Kugel zu machen! Diese Botschaft wird von Facebook beworben, solange die Werbegelder dafür fließen. Legum entdeckte eine Reihe weiterer Falschmeldungen, die zum Teil Wochen durch das Netzwerk spülten, ehe die Kampagnen ausliefen. Und weil der Biden-Clip so gut performte, schickte Trumps Social Media-Team wenige Tage ein weiteres Lügenstück hinterher. Video Nummer eins war zu diesem Zeitpunkt bereits über fünf Millionen Mal angeklickt worden.

Seltsamerweise war es nicht der Stab um Biden, der zuerst reagierte. Sondern Elizabeth Warren, die sich ebenfalls im Rennen um den demokratischen Präsidentschaftskandidaten befindet. Warren und Mark Zuckerberg ringen im schwelenden Streit miteinander, seitdem die Senatorin schon vor einiger Zeit für die Zerschlagung übermächtiger Tech-Konzerne in Monopolstellungen plädierte, was Zuckerberg bei einem internen Meeting zu der Aussage verleitete, dass er ihr juristisch die Fresse polieren werde, sofern sie Präsidentin werde und an ihren Plänen festhalte.

Warren behauptet wiederum, die plötzlichen Regeländerungen rühren daher, dass Facebook vor Trumps Zorn eingeknickt sei, da dieser zuvor behauptet habe, dass konservative Stimmen in sozialen Medien strukturell unterdrückt werden.

Mehr oder weniger Macht?

Dieser Streit spiegelt sehr gut den großen Konflikt der digitalen Demokratie wider: Zum einen werfen Kritiker der Plattform eine gefährliche und weltumfassende Omnipotenz vor. Zum anderen kritisieren zum Teil dieselben Beobachter das Netzwerk, nicht hart genug gegen Desinformationen vorzugehen und die wichtige Entscheidung zu treffen, was wahr und was falsch ist. Damit aber würde die Macht weiter wachsen.

Facebook selbst beteuert immer wieder, ein Wohltäter der Globalisierung zu sein, der das Miteinander fördert und Minderheiten eine Stimme gibt. Tatsächlich ist das Netzwerk aber in erster Linie seinen Anteilseignern verpflichtet; was sich immer schwieriger gestaltet, da Facebook von einem PR-Desaster in das nächste fällt. Daher hat sich das Netzwerk dazu entschlossen, die Schleusen vollends zu öffnen und die Verantwortung der politischen Wahrheitsfindung komplett den Nutzern und übrigen Medien zu überlassen.

In einer Rede vor der Georgetown University verteidigte Mark Zuckerberg dieses Vorgehen am Donnerstagabend. In einem seltsam pseudo-philosophischen Referat hob er zum Loblied auf das hohe Gut der freien Meinungsäußerung an, die erst dort ihre Grenzen finde, wo Leib und Leben unmittelbar bedroht seien. Jeder staatliche Einfluss auf den Umgang im Internet sei abzulehnen, da sonst diktatorische Strukturen wie in China drohten. Und die Risse, die heute weltweit durch die Gesellschaften gehen, seien auch dem Umstand geschuldet, dass dank Facebook die Schwachen nun endlich eine Stimme bekommen haben. Das müsse man in einer Demokratie aushalten.

Was Zuckerberg verschweigt: Hasspostings und kontinuierliche Falschinformationen können durchaus zu Gewalt führen, selbst in Abwesenheit eines unmittelbaren Aufrufs. Der stete Tropfen alternativer Fakten ist der Takt der Selbstradikalisierung, die sich beim Überlaufen Bahn brechen kann. Ebenso erwähnt er mit keiner Silbe, dass Facebook die politischen Lügen dankbar vermarktet und daran gut verdient. Trump alleine hat im ersten Halbjahr 2019 mehr als elf Millionen US-Dollar für Anzeigen bei Facebook und Google ausgegeben. Auch bei deutschen Parteien steigen die Ad-Budgets.

Und letztlich verliert Zuckerberg kein Wort darüber, dass Facebook selbst ein gigantischer Sensationskatalysator ist. Dass Diskurse durch intransparente Algorithmen künstlich verschoben, verstärkt oder abgeschwächt werden. Dass die irrsten Thesen durch das meiste Engagement und die höchste Sichtbarkeit belohnt werden. Dass sich Hass und Brainfuck akkumulieren. Die Flatearther, Impfgegner, Klimawandelleugner und Nazis haben durch Facebook keine Stimme bekommen. Sie haben eine warme und gut ausgepolsterte Echokammer bekommen, in der sie sich gegenseitig die Legitimation für ihre denkwürdigen Ansichten geben können. Und jede dieser Blasen ist eine gewinnbringende Werbefläche innerhalb des Netzwerks.

Also, was machen wir jetzt? Welche Wege gibt es, das Dilemma aufzulösen?

Ich sehe da zwei Möglichkeiten:

1. Facebook deaktiviert das Microtargeting bei politischen Anzeigen

Zuckerberg sagt, dass politische Ads in erster Linie Ansichten und Meinungen widerspiegeln, die mitnichten nur auf Facebook disseminiert werden, sondern auch in traditionellen Medien. Das stimmt. Es gibt aber einen bedeutenden Unterschied: den Horror eines jeden Werbers – den Streuverlust. Während sich klassische Medien an eine grob umrissene Klientel wenden, richten sich Anzeigen auf Facebook auf eine feinstgranular definierte Zielgruppe: Etwa den 22-jährigen, heterosexuellen Studienabbrecher aus Bad Salzuflen, der sich online für Extinction Rebellion stark macht, der sich vor einem halben Jahr von seiner Freundin getrennt hat und seit drei Monaten mit Vaping experimentiert. Der als Ex-Praktikant in einer Druckerei Gelegenheitsjobs macht und seine ganze Familie, bis auf seine Schwester, die in Bielefeld Interdisziplinäre Medienwissenschaft im dritten Semester studiert, auf Facebook holte, weil er sein privates Kontaktbuch für die Plattform öffnete.

Bei Facebook Ads gibt es aufgrund des intelligenten Microtargetings keine kritische Öffentlichkeit für Botschaften, sondern nur willige Empfänger. Tribes können gezielt mit Propaganda geimpft werden. Somit existiert – anders als bei klassischen Medien – keine Kontrollinstanz, die sich normalerweise aus dem Streuverlust speist. Wenn Facebook auf der Plattform politische Lügen und Fake News als begründete Anliegen verkaufen will, sollte es gezwungen werden, das gesamte Publikum über die Legitimität der Botschaften entscheiden zu lassen. Zugelassen sind dann nur noch die Justierschrauben beim Alter der Empfänger (wahlberechtigt) und der geografischen Region. Erst diese Öffentlichkeit könnte einen fairen Selbstreinigungsprozess in Gang setzen, den Facebook ja nach eigenem Bekunden auch gestärkt sehen will.

2. Facebook erlaubt ab sofort keine politischen Anzeigen mehr

Damit wäre das Problem tatsächlich auf einen Schlag behoben. Doch es forciert ein weiteres Problem, denn zuvor müsste es klare Regeln geben, durch die abzuleiten ist, ab wann politische Botschaften als solche zu definieren sind. Wo endet Umweltschutz als persönliche Leidenschaft? Und wo beginnt eine Kampagne für die Grünen?

Man sieht, das Dilemma ist nicht einfach zu lösen. Aber so, wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter. Bleibt Facebook dem Entschluss treu, politischen Instanzen – völlig blind und taub für die kommunizierten Botschaften – ein Megafon zu vermieten, werden die gefährlichen Tendenzen innerhalb der Gesellschaften weiter zunehmen. Und die Demokratien weiter erodieren.

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