Facebook ist einfach zu teuer geworden

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Dieser Protest ist anders, er ist stiller. In der Vergangenheit flammten hin und wieder breite Boykott-Aufrufe gegen Facebook auf. Allesamt waren ebenso populistisch wie ineffektiv. Das Netzwerk hat immer die kritische Masse bei den Nutzerzahlen erreichen wollen, ehe der Vertrieb das Ruder über die Funktionspalette der Plattform übernehmen würde. Das ist wohl bei der geknackten Grenze von 800+ Millionen aktiven Nutzern längst geschehen. Petitionen, Kettenbriefe und Massen-Statusupdates können da nicht mehr viel reißen – zumal Facebook selbst den Ort des Protestes kontrolliert. Bei 100 Millionen Nutzern gäbe es vielleicht noch so etwas wie Ehrfurcht oder Demut vor dem Nutzer. Doch das war im August 2008. Wer kann heute schon in einem Land mit 800 Millionen Einwohnern in Bottom-Up-Manier die Staatsform ändern, wenn Social Media als Kommunikationsmittel ausfällt?

Doch dieser Aufstand ist eben anders. Er geht von einflussreichen Alleingängern aus: „Goodbye Facebook„, schreibt Olaf Kolbrück. „Der Facebook Exodus„, heißt es bei Patrick Breitenbach. „Nix wie raus hier„, warnt Netzpolitik. Dies ist ein überlegter Protest. Facebook plant das allumfassende Lebensarchiv der registrierten Nutzer, von der Krippe bis zum Grab. Damit die Mitglieder nicht selbst Protokoll über ihr Leben führen müssen, hält das automatisierte „passive Teilen“ Einzug:

Facebook’s passive sharing will change how we live our lives. More and more, the things we do in real life will end up as Facebook posts. And while we may be consoled by the fact that most of this stuff is being posted just to our friends, it only takes one friend to share that information with his or her friends to start a viral chain.

Dieser Einwurf von Mashable vergisst bei bereits vorhandener Dringlichkeit sogar einen wichtigen Faktor: Unsere Daten mögen vordergründig hinter Privacy-Walls vor unliebsamen Mitmenschen versteckt sein. Jedoch zu keinem Zeitpunkt vor Facebook Inc. Und es gibt keine Schweigepflicht für Wirtschaftsunternehmen.

Nun lässt sich fragen: „Ist das schlimm? Ihr habt doch auch schon vorher euer Leben auf Facebook geteilt!“ Das ist absolut korrekt.

Daten-Abzocke

Wer sich bei Facebook anmeldet, geht einen Vertrag ein: Ich darf das Netzwerk benutzen, dafür bezahle ich mit einem Häkchen bei den Nutzungsbedingungen und der Datenschutzerklärung. Es ist ein friedfertiger Vertrag. Niemand kramt im Portemonnaie nach der EC-Karte oder im Hirn nach der PIN-Nummer. Das macht es ja so einfach. Ich bezahle bereitwillig mit meinen Daten und bekomme dafür einen Service: „Anstatt umständlich Foto-Mails an mehrere Freunde zu verschicken, erstelle ich ein Facebook-Album“, mögen die einen sagen. „Anstatt in Übersee anzurufen, kann ich einfach den Facebook-Chat anwerfen“, finden vielleicht andere. Ich bezahle mit meinen Daten – und bekomme eine Leistung, etwas, das für mich Wert besitzt. Facebook benutzt diese Daten, um bei den Werbekunden den Streuverlust zu minimieren und auch das wird den Kunden mitgeteilt und ist gut so.

Doch was Facebook nun einführt, ist eine radikale Preiserhöhung: Man fordert mehr Persönliches, mehr Details aus dem Alltag, mehr Hintergründe zur Person. Es ist ein Daten-Wucher, Preis und Leistung werden im laufenden Betrieb völlig aus dem Verhältnis gerissen. Und wie wir sehen, wird einigen Nutzern Facebook einfach zu teuer. Die neuen Funktionen schaffen für die Mitglieder kaum bis keine Mehrwerte.

Die Preiserhöhung geschah ohne Vorankündigung, ohne Absprache mit den Kunden, die bereits den Vertrag unterschrieben hatten, wohlwissend, dass diese mangels ausgereifter Alternativen in Abhängigkeit gefangen sind. Das soziale Netzwerk, das die gesellschaftliche Interaktion und den gemeinsamen Austausch von Inhalten über alles stellt, verfällt bei geschäftlichen Entscheidungen zusehends in autistische Starre. Selbstredend wurden nicht nur die Nutzer im Dunkeln gelassen, sondern auch die Politik, die beim Flickenteppich Datenschutz schon lange das Nähen aufgegeben hat. Die Kommunikation geschieht bei Facebook heute alleine im Vertriebsbüro.

Die Daten-Gier hat auf einen Schlag den Nutzer-Netzwerk-Vertrag, dessen einzige Kopie auf Facebooks Servern gespeichert ist, aus den Angeln gehoben: Wer kein überteuertes Lebens-Dashboard abkaufen will, kann ja immer noch gehen.

Dabei fällt mir ein: Ich hatte schon vor einiger Zeit (damals noch bei BT) etwas über Privacy bei Facebook geschrieben:

22 Kommentar

  1. Du hast Recht. Facebook verlangt mehr, viel mehr. Nur hat sich eines meiner Ansicht nach nicht geändert: was ich teile und ich nicht teile, entscheide noch immer ich als Nutzer.

    Mir schmeckt auch nicht alles was Facebook tut oder wie Facebook bestimmte Dinge tut. Ich lade z.B. nahezu keinerlei Bilder auf Facebook, da mir die Urheberechtsregelungen in den Nutzungsbedingungen nicht passen und ich nutze z.B. auch die mobile App nicht, da diese Zugriff auf meine SMS verlangt, ohne, dass ich dies abschalten kann.

    Der Nutzer wird doch durch Facebook nicht gezwungen Dinge zu teilen, zu veröffentlichen. Auch zwingt mich niemand Facebook oder irgendeinen anderen Dienst zu nutzen.

    Ich finde es richtig, dass Datenschutzbelange angesprochen werden und in gewisser Weise auch Druck ausgeübt wird. Leider scheint sich die Politik hier nicht sonderlich stark zu engagieren und wenn dann mAn eher in die falsche Richtung.

    Wieso lese ich solche oder ähnliche Artikel nicht über Google? Was macht Google denn bitte anders als Facebook?

    Ich will damit nicht sagen dass alles richtig ist, aber ich kann auch diese Grundlagendiskussion nicht mehr nachvollziehen. Lasst Mark doch alles ändern und postet einfach nichts mehr, ladet keine Bilder hoch und nutzt keinen Like-Button… denn nochmal: keiner zwingt irgend jemanden etwas bei Facebook zu posten!

  2. Richtig und wichtig, zum „neuen Facebook“ ein entsprechend kritisches Resümee zu verfassen. Dazu wie gewohnt gut geschrieben und recherchiert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen nach wie vor aber auch die zahlreichen Applikationen innerhalb Facebooks. Und auch die Rolle von Google(+) darf im Zusammenhang mit der notwendigen Abwägung „Risiken vs. Möglichkeiten“ nicht unerwähnt bleiben. Meinen Standpunkt gibt es ausführlich in der Kolumne des Top-Magazins „Schöne neue Netzwelt“ (Seite 26-28) http://goo.gl/WRaH5

  3. Inzwischen brauche ich meine Bilder nicht mehr bei FB hochzuladen. Das tun meine Kontakte, und sie markieren mich gleich darauf. ich brauche auch Schule und Wohnort nicht angeben. Das machen meine Kontakte.

    ja, ich werde gefragt, ob das veröffentlicht werden darf. Aber selbst wenn ich ablehne, FB hat die Info. Auch ohne dass Zuckerberg mich ‚dazu zwingt‘. Es ist immer bequemer, und immer unheimlicher. Im wahrsten Sinne des Wortes. Oder wie man auf englisch sagt: Creepy. Auch dass im Wortsinnes korrekt.

    Und nein, Google ist nicht wirklich besser…

  4. Ich möchte einmal eine Gegenmeinung einwerfen. Nicht weil ich unbedingt daran glaube (überhaupt nicht), sondern um den Betrachtungspunkt zu ändern. „Uns“ Europäern wird ja immer wieder unterstellt, wir würden erst einmal nur die Risiken betrachten. Der „gemeine US-Amerikaner“ fragt: was gibt mir FB zu dem Preis?
    Ich bekomme eine vollständige digitale Schuhschachtel meiner Erinnerungen. Facebook sieht sich als virtuelle Couch und die kann ich immer und überall mitnehmen wenn ich umziehe. Ein Backup kann ich mir sparen, genauso das Einkleben in ein Fotoalbum. Wenn ich „Glück“ habe, dann ist nach meinem Ableben die digitale Entwicklung so weit fortgeschritten, dass man aus meinen gesammelten Erinnerungen ein ewig lebender Avatar abgebildet werden kann. Die Körperlichkeit wird immer unwichtiger (vgl. „Neuromancer“), die Kommerzialisierung ist mir sowieso egal denn darauf basiert meine komplette Lebensumgebung.
    Teilen von Wissen und Information ist generell die Zukunft. Wenn andere mein Wissen haben, dann können sie weiterer Dinge damit entwickeln die mir dann zu Gute kommen. Es spornt des weiteren an immer bessere und neuere (gute) Gedanken zu entwickeln. Das ist doch der Preis wert, oder?!
    Und die (relativ gesehen) wenigen Daten-Missbrauchsfälle bei welchen Menschen zu Schaden kommen sind als geringfügig anzusehen, im Vergleich zu den Möglichkeiten der Gesamtheit. Eigentlich sind das nachvollziehbare Ansichten.
    Ganz teilen möchte ich sie trotzdem nicht.

  5. Re: „Man fordert mehr Persönliches, mehr Details aus dem Alltag, mehr Hintergründe zur Person.“

    Wie kommst du darauf? Wer nichts Privates bei Facebook posten will, muss dies auch in Zukunft nicht tun.

    Re: „Die neuen Funktionen schaffen für die Mitglieder kaum bis keine Mehrwerte.“

    Hast du die neuen Funktionen (Timeline / Open Graph) schon im Praxisbetrieb erlebt? Falls nicht: Wie kannst du Aussagen über einen Mangel an Mehrwert treffen?

  6. Noch was anderes nebenbei: Mehrere Bekannte haben ihr FB-Konto gelöscht und sind zu G+ gewechselt, was aus Datenschutzsicht wohl der noch größere Wahnsinn sein dürfte. Da wo FB relativ beschränkt ist, hat Google weit mehr Möglichkteiten. Googlemail, Toolbar, Adsense, Adwords, Picasa, RSS-Reader, Kalender und und und bieten dem Konzern weit mehr Möglichkeiten als sie FB je haben wird.

    Dabei sind beides Konzerne, die in einem Land sitzen, wo es kein Datenschutzrecht gibt. Mir kann niemand erzählen, dass diese gebündelten Daten nicht irgendwo landen, wo sie nicht hin sollen. Und die Werbebranche wird dabei noch der harmloseste Empfänger der aufbereiteten Daten sein.

  7. Pingback: Inter-Borg
  8. viel interessanter ist doch auch, dass unter dem artikel erstmal schön dick & fett der „facebook-like-button“ prangt haha.
    soviel dazu.

  9. @Katze: Da hast du absolut Recht. Bei mir kannst du allerdings so kommentieren. Bei Molly Wood (Cnet) braucht man schon Facebook Connect. 😉

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