Die Erwartungen waren hoch – rückblickend betrachtet waren sie zugegebener Weise viel zu hoch. Schuld an der Verhältnislosigkeit war Rupert Murdoch, als er vor rund sechs Monaten ankündigte, das internationale Pressewesen revolutionieren zu wollen: „Neue Zeiten verlangen nach einem neuen Journalismus“, hieß es dann auch an diesem Mittwoch. News Corp hat die bislang einzige Zeitung von Band rollen lassen, die exklusiv auf dem iPad verkauft wird. „The Daily“ (iTunes) ist ein täglich erscheinendes 100-Seiten-Monster, das hauptsächlich von der „Magie der Technik“ zehren soll – ein Statement, das es mir im ersten Moment kalt den Rücken runter laufen ließ.
Doch räumen wir zunächst einige Fragen aus dem Weg. Apple war vom ersten Tag der Ideenfindung am Projekt beteiligt. Murdoch ließ es sich nicht nehmen, Steve Jobs mit Komplimenten zu überschütten. Er wirkte beinahe, als bekäme da ein ausmanövrierter Top-Manager von einem Jahrzehnte älteren Branchenimperator den Preis für sein Lebenswerk überreicht (die Neuerfindung der Computer- und Medienwelt), kurzum: es rief Grusel hervor. Apple sitzt also im Boot, allerdings nur zur Anfangsphase, da das iPad heute noch über die nötige Reichweite am Markt verfügt. In ein, zwei Jahren, wenn die anderen Tablet-Hersteller nachgezogen haben, wird sich dies ändern, verkündete Murdoch, ohne den zerknirschten Apple-Mann Eddie Cue auch nur eines Blickes zu würdigen. Technisch dürfte die Öffnung für andere Plattform kein größeres Problem darstellen, da der meiste HTML5-Content von „The Daily“ aus dem Browser abgerufen werden kann (die App selbst ist nur rund 45 MB schwer).
Apples zweites Geschenk an diesem Tag bestand aus einem neuen Abomodell für die Kunden. War es bislang nur möglich, Apps einmal käuflich zu erwerben und gegebenenfalls per In-App-Shopping weitere Inhalte hinzuzuladen, so gibt es nun die Möglichkeit der Laufzeitverträge. Im Fall von „The Daily“ betragen die Kosten 0,99 US-Dollar pro Woche oder 39,99 Dollar pro Jahr – eigentlich ein Schnäppchen. News Corp hat insgesamt 30 Millionen Dollar in die Entwicklung des iPad-Blattes gepumpt, die laufenden Kosten für die betreuende 100-Mann-Redaktion werden auf wöchentlich rund 500.000 Dollar geschätzt. Murdochs Augen funkelten, als er diese Zahlen verkündete und so schob er gackernd hinterher: „Kein Papier, keine millionenschweren Druckerpressen mehr! Wir geben die Einsparungen an den Leser weiter.“ Murdoch vermittelt den Eindruck, als würden allein die günstigen Produktionskosten das Experiment einer Tablet-Zeitung rechtfertigen – der Druck des anhaltenden Leser- und Werberschwunds spielte offenbar keine Rolle.
Werfen wir nun also einmal einen Blick auf den „neuen Journalismus“. „The Daily“ ist ein Konglomerat von Populärressorts: Breaking News sind nach eigenen Aussagen dabei, doch gleich danach kommen Star-Klatsch, Sport, Pop-Kultur, Unterhaltung, Spiele, das Wetter und ein wenig Meinung. Das täglich anfallende Pensum von 100 Seiten Content dürfte für die Redaktion leicht zu bewerkstelligen sein, immerhin bestehen viele der „Stories“ beinahe ausschließlich aus Bildunterschriften – Fotos und Videos geben den Ton an. Als Donner-Feature werden da vor allem die 360°-Lichtbilder angepriesen, die allerdings bei der Live-Vorführung den Absturz der kompletten App zur Folge hatten. Auch an das soziale Netz wurde gedacht, so dass sich „web-friendy“ Seiten per Twitter und Facebook teilen lassen. Zudem wurde stolz angemerkt, dass es ein Leichtes sei, jede beliebige Story mit passenden Tweets anzureichern: „Im Celebrity-Bereich ist es doch ideal, die Twitter-Konten der Stars einzubetten – so erzählen sie ihre Geschichte selbst!“, hieß es da. Ist dies also der neue Journalismus?
Wenn ich meine Ernüchterung bis zu diesem Punkt nicht verbergen konnte, so werde ich den Versuch jetzt völlig aufgeben. Ich bin enttäuscht. „The Daily“ ist ein poppiger Content-Cluster, der sowohl auf inhaltlicher als auch auf technischer Klickibunti-Ebene versucht, ein möglichst großes Publikum einzufangen. Dass das Redaktionelle einen strukturell durcheinandergeworfenen Eindruck macht, war fast zu erwarten. Doch ich habe mir in erster Linie auch etwas von der technischen Umsetzung versprochen. Eine Sharing-Funktion für ausgewählte Seiten macht aus „The Daily“ noch lange keine „Social Media-Zeitung“, wie es uns Meedia verkaufen will. Mit Verlaub, das ist pillepalle und wird heute von jeder News-App unterstützt (von Flipboard will ich gar nicht reden). Der Web 2.0-Anspruch der Zeitung rührt hauptsächlich von ihrem Logo her, dessen Design erstaunlich an jenes des YouTube-Signet erinnert. „The Daily“ löst sich nicht vom etablierten Format, auch, wenn wir hier durch die Seiten virtuell blättern. Das alleine reicht nicht, um das Potenzial eines iPads auszuschöpfen. Wired hat schon vor rund einem Jahr (!) ein Feature-Feuerwerk gezündet, das diesem weit überlegen war:
Hundert Seiten Content und das Einfallsreichtum war beim lang etablierten Cover-Flow erschöpft, was dann auch 1:1 mit entsprechend ruckeligem Ergebnis umgesetzt wurde. Wo bleibt die Leserbeteiligung, bidirektionales Engagement? Wo ist der Location Based Content, der wunderbar mit dem Tablet-GPS zusammenspielt und endlich die News in unsere Nachbarschaft holt? Wo sind die Alert-Funktionen und wo die Öffnung zu Inhalten Dritter?
„The Daily“ ist eine solide Tablet-Zeitung. Doch das soll die längst überfällige Medienrevolution sein, die das überkommene Printgewerbe ablösen soll? News Corp ist das drittgrößte Medienimperium der Welt. Und die kommen uns mit Sudoku auf dem Touchpad? Ich denke, da geht noch mehr. Die positive Nachricht ist: Mit dem heutigen Tag hat Apple indirekt angekündigt, das Abomodell auch anderen Verlagshäusern zur Verfügung zu stellen. Vielleicht finden die ja den Mut, einen Schritt weiter zu gehen.
5 Kommentar
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Hmm…
ersteinmal DANKE für diesen wunderbaren Beitrag, der deine eigene Meinung gut wiederspiegelt.
Ich bin gesapannt ob es soetwas auch mal in Deutsch gibt, oder noch besser für etwas anderes als Tablets. Den diesen „Ach ich bin so toll“-Frühstücksbrettern nehme ich das gehypte „Gott ist das geil“-Image (noch) nicht ab.
Aber was soll man erwarten. Tablets sind Spielzeug, nicht mehr und nicht weniger. Sicher kann man sie hier und dort auch im geschäftlichen Bereich einsettzen, aber bis das Schule macht, wird noch ein wenig Zeit ins Land gehen. Das Klickibunti-Zeug, wie die hier beschriebene „The Daily“, ist doch wie gemacht füt Tablets, mit denen man 12-13-Jährige wunderschön beeindrucken und faszinieren kann. Wer aber ein wenig tiefer reingeht merkt schnell, dass bei den Tablets die Arbeitsmöglichkeiten rar werden, ebenso wie bei Netbooks<13 Zoll.
Naja, die hohen Herren werden es schon wissen, was sie da tun.
Danke nochmal.
Korbinian