Ich habe nur noch wenige Stunden, ehe ich den Zug steigen muss, um in Berlin einen Vortrag zu halten – und damit nur knapp bemessene Zeit. Allerdings war ich es auch, der vor einigen Wochen Googles Ambitionen in Sachen Social Web kritisierte und der Suchmaschine vorwarf, sich wie ein technokratischer Soziopath zu gebärden. Also schulde ich es Google, die jüngsten Bemühungen entsprechend zu honorieren und kurz einen Blick auf das Google+ Project zu werfen, das soeben vorgestellt wurde.
Also, wer bislang hoffte, dass Google den sperrigen Nobilitierungsbegriff „+1“ (im Sinne von „Gefällt mir“) fallen lassen würde, dürfte ein wenig enttäuscht sein. Ab heute ist alles „+“ bei Google. Das „+ Project“ ist ein soziales Netzwerk nach Baukastenprinzip, dem das Unternehmen nach und nach neue Funktionen beifügen möchte. Schick sieht es auf jeden Fall schon einmal aus. Hier die Module im Überblick:
Circles
Schon seit Monaten geistert die angebliche Google-Idee von „Circles“ durch das Netz: Jetzt ist sie Realität geworden. Der Dienst erlaubt es, Freundeskreise (oder Feindeskreise), mit denen man verbunden ist, in einzelne soziale Inseln aufzuteilen und zu bedienen: die Uni-Kumpels kommen in diesen Circle, die Kollegen von der Arbeit in einen anderen. Als ich davon erfuhr, schoss mir sofort die Frage in den Kopf, wie viele solcher sozialen Kontaktgruppen der Durchschnittsnutzer überhaupt hat. Sind es drei? Oder fünfzehn? Auf jeden Fall eine spannende Frage.
Sparks
„Sparks“ ist ein fetziger Terminus, der Lust auf mehr macht. Dahinter steckt ein Aggregator-System, das je nach Vorliebe das Internet nach relevanten Inhalten durchforstet und dann gebündelt präsentiert: eine Art Google Reader auf bestimmte Themenbereiche gemünzt. Neben Text-Content spürt Sparks auch Videos auf.
Hangouts
Laut Google sind die heutigen Instant-Messaging-Dienste nicht nur rückständig, sondern schlichtweg nervig. Wie es in Wirklichkeit aussehen sollte? Nun, „ungezwungen“ eben. „Hangouts“ sind Videochat-Hubs, die man bei Langeweile betreten kann. Die Circles-Freunde können jeden Gast zu Kenntnis nehmen und dazu stoßen – oder es einfach lassen. Im Grunde lässt Google damit den guten alten IRC-Chat wiederauferstehen – nur eben mit Video. Es könnte interessant werden, wenn „Hangouts“ ähnliche Allüren wie Chatroulette entwickelt.
Huddles
Mit „Huddles“ hebt Google das „+ Project“ direkt auf die mobile Ebene. Der Dienst ist ebenfalls im Netzwerk verankert und damit auch in der heute gelaunchten Android-App verfügbar. Seine Aufgabe: die Kontaktaufnahme zu den „Circles“ zu erleichtern. „Huddles“ ist ein Gruppenchat für unterwegs. Google erklärt damit nach eigenen Angaben der SMS den Krieg. Und ich dachte immer, dass die SMS seit zwei, drei Jahren eh schon ausgedient hatte…
Instant Upload
Auch dieser Dienst ist im Mobilsektor angesiedelt und erlaubt es Android-Nutzern, einmal aufgenommene Fotos direkt zu Google+ zu schießen.
Das soll es erst einmal gewesen sein. Google+ ist derzeit per Invite Only zu betreten, daher kann ich mir keinen Gesamteindruck verschaffen. Zur Stunde sieht die Kiste für mich nach einer modular zerstückelten Plattform aus. Ob am Ende Erfolg oder Misserfolg stehen wird, ist unklar. Klar ist jedoch, dass Google mit der Ankündigung für viel Häme in der Community gesorgt hat: „Googles Launch von Google+ ist – wieder einmal – zutiefst peinlich. Facebook wird mit den Augen rollen“, titelt der Business Insider. Tatsächlich gibt sich Google von der erstaunlich naiven Seite, als habe das Unternehmen in dem vergangenen halben Jahrzehnt in einer Blase gelebt. Wer Googles volle Ankündigung zum Dienst liest, erfährt, was Fremdschämen wirklich bedeutet.
Aber, lassen wir uns davon erst einmal nicht aus der Ruhe bringen. Google hat sieben Jahre (!) aufzuholen (seit dem Start von Facebook). Ein paar Wochen können wir der Suchmaschine daher noch Zeit geben. Aber nur ein paar.
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