Liebe Piraten…

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Noch einmal meinen Glückwunsch zur erfolgreichen Berlin-Wahl; und eine zweite Gratulation schiebe ich Anbetracht der jüngsten ZDF-Umfrageergebnisse gleich hinterher. Aber das war es erst einmal. Gerade mal ein Länderparlament wurde gestürmt, da beginnen auch schon erste Zersetzungserscheinungen: Was ist da los bei euch?

Eine Reaktion zum Staatstrojaner erfolgte erst heute, knapp zehn Tage nach der Bekanntmachung des Fundes durch den CCC. Es gab wichtigere Dinge zu erledigen, richtig: Die Pressemitteilung zum Welternährungstag beispielsweise, eine entzückte Nabelschau Anbetracht neuer Mitglieder und ein seminaristischer Umtrunk in der Jugendherberge von Kassel – da war und ist viel Bewegung in der Partei.

Etwa auch die NPD-Affäre, die Dank halbherziger Distanzierungen große Kreise zog. Erst mussten Personalfragen wegen zu transparentem „Geheimnisverrat“ geklärt werden („Stunkmatrose über Bord!“), so dass wenige Stunden später das erste Rentnerblog seine Einschätzungen über die Piraten unter der Überschrift „Nazis an die Front“ kundtun konnte. Daraus: „Die Piratenpartei entwickelt sich immer stärker zum Sammelbecken heimatloser Rechtsradikaler. Die derzeitige Diskussion um zwei Parteimitglieder, die früher bei der NPD waren, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.“ (Screenshot der Meldung) Voilà.

1. Zeit für Bildung – nach innen und außen

Beim ZDF-Politbarometer vergangene Woche traten einige interessanten Fakten zutage: 47 Prozent der Piraten stehen hinter dem Instrument der Online-Durchsuchung. Nur bei der CDU ließen sich mehr Anhänger der Rechnerspionage auftreiben. Dass damit 47 Prozent der Piraten Meinungen entgegen des selbst aufgestellten Parteiprogramms vertreten („Die freie Meinungsäusserung ist ein Eckpfeiler unserer Demokratie und darf nicht durch Onlinedurchsuchungen untergraben werden. Das Missbrauchspotenzial dieser Technik ist so immens, dass die Verantwortbarkeit nicht gegeben ist.“), dürfte nicht nur mich verwundert haben. (Update: siehe Hinweis – der im Übrigen von der Partei hätte öffentlich kommuniziert werden müssen!).

Offenbar ist es euch bislang nicht gelungen, eure Inhalte sowohl den Wählern als auch den eigenen Mitgliedern richtig beizubringen. Womit wir auch schon beim Thema wären: Bildung. Politik bedeutet Lobbyarbeit und Aufklärung. Ihr habt es bislang versäumt, den Menschen die Relevanz eurer Inhalte und die Zusammenhänge hinter den Dingen aufzuzeigen. Wie wollt ihr überhaupt dem Argument begegnen, wenn Herr Schmitz von um die Ecke sagt: „Wieso soll das schlimm sein? Ich habe doch nichts zu verbergen!“ Themen werden zwar besetzt, die Leute aber im Wohnzimmer vor den Fernsehern hängen gelassen.

2. Zeit für Gegenvorschläge

In der neuen Pressemitteilung zur Strafanzeige gegen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann tauchte es wieder auf. Ihr „rügt die Arroganz der Macht“. Mein Gott, das ist eben Politik, was will man da noch in kindlicher Empörtheit rügen? Ich glaube, einige von euch haben es noch nicht mitbekommen, aber die Anti-Zeit ist vorbei. Von euch werden nun konkrete Lösungsvorschläge erwartet, die konstruktiv zu den Diskursen beitragen. Entscheidet: Ja!, Nein! oder ein Kompromiss-Jein! zum Staatstrojaner. Wer die Politik in diesem Land mitbestimmen will, sollte sich nicht darauf versteifen, die Entscheidungen anderer mittels schwacher Lippenbekenntnisse zu boykottieren. Wie lauten die Gegenvorschläge?

Basisdemokratische Mitentscheidungen und außerparteiliche Transparenz sind eine tolle Sache, aber irgendwann will der Wähler auch ein tragfähiges Konzept sehen, das mit einer Stimme verkündet wird. Wenn dies nicht geschieht, schießt der Wettbewerb vor und nimmt euch schneller die Butter vom Brot, als ihr „heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems“ sagen könnt.

3. Zeit für Fokussierung

Als die Piratenpartei noch klein war, wurde immer wieder versichert: Wir äußern uns nur in den Fragen, zu denen wir auch etwas zu sagen haben. Diese Einstellung wurde leider in den vergangenen Monaten abgelegt. Man merkt eine wachsende Verunsicherung angesichts fehlender Kompetenzen im Ressortspektrum der etablierten Politik – und sieht stattdessen hilfloses Herumstochern in fachfremden Gefilden.

Bleibt fokussiert, besinnt euch auf eure Kompetenzen und unterlasst jeglichen panischen Aktivismus. Alles andere kommt mit der Zeit. Dazu gehört es auch, diese Nischenbesetzung klar und deutlich zu kommunizieren – auch gegenüber den Medien, die alles versuchen werden, euch auf das offene Feld zu locken. Und wenn es dann doch soweit ist, denkt daran: Wer Interviews wie diese beim NDR gibt, ist leider auch nicht in der Lage, die etablierte Politik und ihre Kapriolen zu verspotten.

Den Namen „Piraten“ für eine Partei zu wählen, ist eine schlaue Überidentifikation. Doch was bringt es, wenn sie nur von denen verstanden wird, die euch sowieso gewählt haben oder wählen würden? Wenn ihr keine reine Protestbewegung sein wollt, ist jetzt Zeit für Taten. Oder wie Fefe es ausdrückt:

KEINE SAU INTERESSIERT WAS IHR LEBT. Es geht um die Zukunft, nicht eure Vergangenheit! Eure Vergangenheit interessiert nur Leute, die euch eh schon gewählt haben. (…) Es geht darum, ein Thema zu besetzen, klare Ansagen zu machen, und dabei die Leute mitzunehmen. Mit ein paar Sätzen zu zeigen, dass man verstanden hat. Genau niemand interessiert sich für „haben wir ja schon immer gesagt“. Jaja, ihr habt schon Bluescreens gehabt, als Altmaier noch Fax benutzte. Ist noch nicht bei euch angekommen, dass Hipster-Gehabe unsympathisch und unbeliebt ist? Keiner will das hören! Ich als Wähler will Entwicklung sehen, nicht Rechthaberei. Keine Sau will hören, was ihr alles schon immer gesagt habt. Die Leute wollen sehen, dass ihr euch Gedanken gemacht habt. Habt ihr aber nicht.

Bei anhaltendem Lampenfieber der Piraten besteht die Gefahr, dass der Support auch bei den Hardcore-Fans schrumpft und die Partei nur noch als moralisches Gegenprogramm ohne eigene Handlungsoptionen gesehen wird. Selbst Ulrich Wickert, den ihr derzeit auf eurer Facebook-Page als Promi-Supporter neuerlich feiert, ist bei genauem Hinhören nicht pro Piraten sondern contra Etablissement.

Denkt dran: Zwischen überzeugten Wählern, die euch Stimmen geben, damit ihr gewünschte Positionen vertretet und Protestwählern, die euch Stimmen geben, damit sie die anderen nicht bekommen, besteht ein großer Unterschied.

2 Kommentar

  1. Ein schöner Artikel, der wohl das aktuelle Hauptproblem der Piraten treffend beschreibt. Das Interview-Video vom NDR ist aber auch bitterböse geschnitten – ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Aussetzer bei den etablierten Parteien gesendet würden, weil es dann keine Interviewzusagen mehr gäbe für den Sender. Es wär mal spannend, erste Interviews der Grünen zu sehen und zu vergleichen. Die hatten bestimmt auch Lampenfieber. Davon abgesehen ist ja der aktuelle Trend von 10% für die Piraten ziemlich eindeutig, scheinbar verzeiht man ihnen noch solche Patzer.

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