Social Media und Tech heute: So, jetzt erst einmal ein Päuschen?

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Empfinde nur ich es so oder dreht sich die Erde wirklich langsamer? Aus den hektischen Fluktuationen der Tech-Welt ist in den vergangenen Monaten ein seichtes Wabern geworden; mittlerweile ebenso unauffällig wie uninspirierend. Es scheint, als seien alle Nischen gedeckt, der Markt an allen Enden und Ecken gesättigt: Mark Zuckerberg, Larry Page, Tim Cook genehmigen sich zuprostend den Digestif – Jeff Bezos arbeitet noch im Rauchersalon, kommt aber gleich nach. Die Karten sind verteilt, die Schäfchen sind im Trockenen – was kann jetzt noch schief gehen?

Ich vergleiche diese Phase mit der Zeit von 2008 bis 2010, als noch Rock’n’Roll im Innovationsmarkt herrschte und es noch Chancen und überraschende Wendungen gab oder zumindest geben konnte. Kommt das iPad (oder das „Apple Slate“, wie wir damals noch dachten), kommt es nicht? Wird es Navigation für Android-Smartphones geben und was sagen die Kartenanbieter dazu? Was macht Hitler im App Store? Woran arbeitet Facebook gerade (und woran StudiVZ nicht) und wird es endlich eine Blogger-Gewerkschaft geben?

Mainstream ist offenbar das Gebot der Stunde, der Geek von damals ist mittlerweile im Nerd-Chic bei Starbucks angekommen. Es ist uns eigentlich egal, was aus StudiVZ geworden ist, die Navigation ist heute im Handy integriert. Und die Blogger? – Naja, die Kiste ist auch gegessen, seitdem Trackbacks ausgestorben sind (die Essenz der Blogosphäre und des Zusammenhalts) und etablierte Medien nun locker-flockig beschriebene Seitenkanäle betreiben. Schon im Juli regte sich Gawker-Autor Adrian Chen darüber auf, dass Stories mangels echter Nachrichten in Tech-Magazinen und -Blogs erst künstlich aufgebläht und dann platt gewalzt werden: „Make it stop! This is the most boring shit ever.“ Social Media-Guru Brian Solis verkündete einen Monat später das Aus von Social Media 1.0 und erinnerte daran, dass die aufkeimende Müdigkeit bei Wirtschaft und Nutzern zwangsläufig zum Normalzustand werden musste; und nun die kostbaren Verbindungen mittels Mehrwerten gepflegt werden müssten.

Ich habe versucht, mein subjektives Empfinden mal faktenorientiert zu ergründen. Das ist gar nicht so einfach. Nehmen wir Social Media, was passiert da derzeit? Google hat den Markt betreten, ja – aber eher halbherzig, wie die eigenen Entwickler mittlerweile zugeben. Das Netzwerk bietet eine klasse Alternative zu Facebook, das als maßloser Monopolist heute per se den Unmut der Nutzer auf sich gezogen hat. Doch mit Google Plus wurde das Rad nicht neu erfunden, es wurde getweakt und designt und wie wir später sehen sollten, wäre Zuckerberg auf die Integration eines Videochats auch alleine gekommen. Darüber hinaus waren die Unternemensseiten bei Google Plus bislang eine herbe (da eine kreativlos zusammengeschusterte) Enttäuschung. Facebook hält sich in den Medien, aber weniger durch neue Features als durch Zuckerbergs Allmachtsansprüche und erzürnte Datenschützer. Der Videochat ist also integriert – was kann jetzt noch kommen? Der Markt scheint bereits so konsolidiert, dass kleine Mitbewerber keine Chance mehr haben. Quora, Amen, Chime.in? Dead on Arrival. Jetzt ist Pinterest die Sau, die durch das Dorf getrieben wird – doch seien wir ehrlich: die Aussichten sind eher wolkig als heiter. Und wer macht sich schon die Mühe, das Wetter zu beobachten?

Was kommt nach dem iPad?

Kommen wir zur Hardware. Das iPhone 4S war in puncto Hype ein Flop (in wirtschaftlicher Hinsicht sieht das ganz anders aus), wie eigentlich alle Smartphones seit Beginn des Jahres: sie sind mittlerweile austauschbare Notwendigkeiten und keine Gadgets, deren Produkteinführungen man sehnlich erwartet. Androids Penetrationsrate nimmt berechenbar zu – ebenso berechenbar, wie Adobe den Kampf um Flash im mobilen Netz verlieren musste. Auf die Frage „Was kommt nach dem iPad?“ ist bislang keine Antwort gefunden worden. Die Chinesen kommen kaum mit der Produktion von Tablets hinterher – Verlage und Unternehmen preisen die Geräte als den heiligen Gral, als den Abschluss einer Entwicklung. War es das denn wirklich? Der PC, das Smartphone, der Tablet-Rechner? Noch auf dem Sterbebett soll Steve Jobs von komplettintegrierten TV-Lösungen aus dem Hause Apple geschwärmt haben, doch offenbar ist dies nur ein schwaches Vorbild für Zukunftsjäger. Logitech fiel kürzlich ein, dass man ja eigentlich doch keine Lust darauf habe. Viele Kunden, die in den vergangenen Monaten im HDTV,- SmartTV- und 3DTV-Rausch zugegriffen haben, dürften erst einmal ähnlich denken.

Und sonst? Wikileaks dümpelt vor sich hin und Anonymous schafft es in den Drohvideos noch immer nicht, den Namen „Facebook“ anders als „Fazeehbuk“ klingen zu lassen. Im Frühjahr keimte dann die Hoffnung, dass das Internet live und in Farbe tatsächlich Welten verrücken konnte. Die Revolutionen in Nordafrika waren zwar sicherlich eine Folge des Internets. Nachdem aber im März Evgeny Morozovs aufschlussreiches Video vom Cyber-Utopismus auftauchte (in dem er argumentierte, dass Nutzer in Ländern, die denen es bislang keinen Zugriff auf die Technologie gab, statt der Freiheit erst einmal Pornographie im Netz suchen), wurde man aber auch mit dieser Beurteilung schnell vorsichtig.

Die Tech-Welt wird erwachsen und wir genießen den Fortschritt. Die Schlagzeilen werden nicht länger von Features, sondern stattdessen von ihren Resonanzen bestimmt. Wie gehen wir mit der von uns geschaffenen Technologie eigentlich um? Da gibt es illegale Fanpages, über die es zu berichten gilt. Oder Impressumsgebote für Facebook-Seiten und Klarnamenverbote. Der Bundestrojaner zählt auch zu den Kehrseiten dieser Entwicklung. Und wenn man mal nichts zu erzählen hat, gibt es immer noch Hacker, die Datenbanken knacken und Nutzerkonten leerräumen. Vorzugsweise bei Sony.

Bitte nicht falsch verstehen: ich genieße diese Ruhe. Das Rattern und Klappern von Tweets und Feeds wird ein wenig leiser, während wir uns in der Phase der konkreten Anwendung befinden. Es waren ja auch ziemlich wilde Zeiten und diejenigen, die sie mitbegleitet haben, haben sich das Päuschen redlich verdient. Aber dennoch bin ich neugierig, was nächstes Jahr auf der Speisekarte stehen wird. So ein ganz kleines bisschen. Irgendeinen Tipp?

Bild 1: Flickr – Fotograf: stincodiporco
Bild 2: Flickr – Fotograf: peterhellberg

1 Kommentar

  1. Ich würde mir da keine großen Hoffnungen machen. Daß wir tagein tagaus mit neuen technischen Must-Haves bombardiert werden, ist der Marktlogik geschuldet. Ich weiß genau, wenn ich mich zurücklehne und mal gerade nichts neues mehr ins Gesciht gedrückt bekomme, dann liegt das nur daran, daß ich mich bewußt ausklinke und somit auch nicht mehr am Nerv der Zeit bin.

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