Hyperlinks in der Realität Ein Aufgesang auf Amazons Fire Phone

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Die Welt des Smartphones scheint endgültig in zwei Lager gespalten, in das der Appleaner und jenes der Googleaner. Dazwischen scheint es kaum Platz für Neues zu geben. Deshalb war es auch nicht weiter überraschend, als kurz nach der Vorstellung von Amazons Fire Phone – trotz der Android-Abhängigkeit – die ersten Medien bereits zum Abgesang ausholten. Das Gerät sei jawohl mitnichten ein „iPhone-Killer“! Aber das hatte eigentlich auch niemand behauptet…

Die Hardware ist solide – aber natürlich kein Hammer. Das 3D-Feature – Entschuldigung: die „Funktion der dynamischen Perspektive“ – wirkt nett, ist aber zum einen nicht wirklich überraschend und zum anderen noch nicht praxiserprobt, so dass der tatsächliche Mehrwert sich erst noch beweisen muss. Alleine Games werden hier über die Zukunft entscheiden. Nein, das Amazon Fire Phone ist revolutionär, aber auf einem ganz anderen Gebiet als der Hardware und zeugt gleichzeitig vom rasanten Wandel von Amazons eigenem Selbstverständnis: die Entwicklung vom Buchhändler zum Versandhaus, zum Hardware-Hersteller und nun zur Entwicklerschmiede. Amazon ist mit der Idee der Kombination eigener Hard- und Software Apple ganz dicht auf den Fersen.

feature-firefly._V349252144_QR-Codes, RFID, NFC oder iBeacon sind Krücken

Amazons wirklicher Geniestreich heißt „Firefly“ und der könnte schon bald die reale Welt revolutionieren. 70 Millionen Produkte, 240.000 Filme und Serien, 160 Live-Shows kann Firefly vom Start weg per einfachem Klick auf den Fotobutton erkennen und identifizieren. QR-Codes, RFID, NFC oder iBeacon sind auch im Jahr 2014 allesamt Krücken zwischen Realität und Technologie – aber keine Brücken. Noch immer sucht man nach Wegen, Teile der Umwelt per Smartphone erfassbar und interpretierbar zu machen. Amazon ist mit dem Fire Phone einen sehr guten Schritt weitergekommen: es macht erstmals die Realität wirklich berechenbar – im ureigensten Sinn des Wortes. Das Gerät nähert sich der Welt visuell und auditiv und zwar unabhängig von technologischen Gegenspielern wie Microsendern und -antennen. Firefly gelingt per Schnappschuss erstmals das Auto-Tagging realer und virtueller Güter.

Dass Amazon ein vergleichbares Feature in sein neues Telefon integrieren würde, hatte sich schon im Vorfeld abgezeichnet. Im Kern handelt es sich beim Fire Phone um ein aufgebohrtes Amazon Dash, mit dem schon seit einigen Monaten US-Amerikaner ihre Küchen mit neuen Lebensmitteln aufstocken können.

Amazon betreibt aggressiven Klickabbau

Das Smartphone will auch gar nicht mehr sein, schon gar kein „iPhone-Killer“. Wie beim Kindle plant Amazon nicht zwangsläufig, langfristig an der Hardware zu verdienen, sondern vielmehr aus unentschlossenen Nutzern loyale Kunden zu machen, die den Komfort und die nahtlose Shopping-Experience schätzen. Die Hardware dient lediglich dazu, diese Erfahrung optimal zu gestalten, daher auch die stark verbesserte Kamera, die selbst im Dämmerlicht verlässlich Gegenstände erfassen soll. Es geht um kristallklare Nahaufnahmen von Produkten in Arbeitszimmern, Supermarktregalen oder Werkstätten – nicht um Panoramafotos vom Grand Canyon. Amazon fokussiert allein den Abbau von Klicks, von Hürden, die den Kunden vom Produkt trennen.

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Dass Amazon-Chef Jeff Bezos gleichzeitig mit der Vorstellung von Firefly auch das dazugehörige SDK in die Welt entließ, zeugt nicht nur von rührseliger Entwicklerliebe, sondern geschäftsmännischer Weitsicht. Firefly könnte im Handumdrehen den stationären Handel in einen einzigen Showroom verwandeln, in dem Kunden zwischen Waschmaschinen, Autos oder Staubsaugern umhergehen und per 1-Click ihren Kauf tätigen. Der Händler liefert, Amazon kassiert die Provision.

Dazu müsste das Amazon Fire Phone aber in die Hände von mehr und mehr Kunden. Dass der Marktstart zunächst alleine in den USA abläuft, hat noch nicht viel zu bedeuten. Amazon sieht den Launch als Testlauf, um das Geschäft langsam hochzuskalieren. Der Bestell- und Kaufprozess ist nur ein Teil des Systems Amazon, daneben gibt es allerlei Logistikfragen, die es zu beantworten gilt. Und noch etwas dürfte eine Herausforderung darstellen. Firefly identifiziert bislang Produkte und Kunstwerke, die Entwickler dürften aber schon in Kürze einige neue Ideen beisteuern, wie zum Beispiel eine intelligente Architektur- oder POI-Erkennung. Und wenn man schon so weit ist… – es dürfte sich um keine Science Fiction handeln, wenn zügig Anwendungen auf dem Fire Phone auftauchen, die auch Menschen erkennen können: „Die feuchten Träume der NSA“, prognostiziert VentureBeat.

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2 Kommentar

  1. Doch müsste nach deinen spannenden Ausführungen, nicht die Konsequenz eher eine App als ein Smartphone sein? Denn die Technologie von Amazon braucht keine explizite „Amazon-Hardware“ und der Erfolg von „Firefly“ wird sich erst dann einstellen, wenn ein signifikant großer Teil des „Marktes“ diese Möglichkeit nutzt – vorher wird der Handel abwarten & Tee trinken…

  2. Jep, das ist in der Tat eine Frage wert: Ich schätze aber, dass – wie oben beschrieben – die Hardware doch zum Teile eine Rolle spielt. Eine Kamera z.B., die Produkte zum Taggen erfassen soll, muss ein wenig anders gestaltet sein, als eine reguläre Smartphone-Fotokamera. Würde mich aber nicht überraschen, wenn es auch bald eine Firefly-App für iOS/Android gibt oder die Funktion in die Amazon-Apps integriert wird.

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