Was für eine Shitshow, Mensch! Wer hätte aber auch erahnen können, dass es keine gute Idee ist, einem von Selbstbesessenheit zerfressenen Multimilliardär eine Plattform zu überlassen, deren Funktion irgendwo zwischen Meme-Tornado und Relais-Station der internationalen Politik oszilliert. Elon Musk hat Twitter in sein privates Königreich verwandelt und er wird nicht müde, jeden – selbst die loyalsten seiner Höflinge – wissen zu lassen, dass ihre Aufgabe als entmündigte Untertanen fortan darin besteht, jegliche Kritik zu unterlassen und seiner Größe zu huldigen. Denn auch wenn die Musk-Monarchie von Pomp, Zeremonie und Wahnsinn geprägt ist, so ist sein Wort doch Gesetz und schon die kleinste Form der Missbilligung führt den armen Sünder sogleich aufs Schafott der Account-Sperre.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Twitter-Nutzer derzeit ihre Abschiedsdrohungen in den Raum werfen. An vielen Stellen lese ich im Netz vergleichbar frivole Meldungen, wie „Es reicht, ich lösch jetzt das Konto!“ oder „Ich habe das Konto schon vor X Tagen gelöscht!“ oder „Noch einmal und ich lösch mein Konto!“. Und ich glaube, nicht allen ist wirklich bewusst, was für eine haltlose Behauptung sie damit aufstellen, denn Konten lassen sich auf Twitter ja leider nicht so einfach löschen. Daher will ich für all diejenigen, die ihr nun Heil in der Flucht suchen möchten, ein paar Tipps an die Hand geben, wie sich zumindest die Voraussetzungen so optimieren lassen, dass eine Loslösung von Twitter ohne anhängigem Trennungsschmerz gelingen kann.
1. Daten sichern
Wer nicht Abschied nehmen möchte, ohne ein Souvenir mitzunehmen, sollte zunächst einmal sein Twitter-Archiv anfordern. Dabei handelt es sich um eine ZIP-Datei, in der nicht nur der komplette, selbstproduzierte Content zu finden ist, sondern auch eine Liste der Follower und Gefolgten. Twitter ist Teil des Data Transfer Projects und verspricht, den Download innerhalb von 24 Stunden zur Verfügung zu stellen. Da die Seite derzeit aber nur noch von personeller Unterbesetzung, Gammelcode, alten Büroklammern und zweifelhaftem Willen zusammengehalten wird, kann dies aber auch länger dauern. Bei mir waren es knapp zwei Wochen.
2. Tweets und Likes löschen
Dieser Schritt ist durchaus optional, doch wer sicher gehen möchte, zumindest öffentlich keine Spuren auf Twitter zu hinterlassen, kann vor dem Abschied seinen Account in eine Tabula rasa verwandeln. Konten, die bisher eher zum stummen Lauschen benutzt wurden, dürften sich mit wenigen Klicks manuell bereinigen lassen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe kommerzieller Anbieter, wie TweetDeleter, Twitter Archive Eraser, TweetEraser und TweetDelete, die den Job erledigen – zum Teil kostenpflichtig, mit einigen Freebie-Optionen. So lassen sich mit TweetDelete zumindest die letzten 3.200 Tweets ratzfatz löschen.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle aber das Gratis-Tool Semiphemeral von Micah Lee, das es als kostenlose Browserversion oder Open-Source-Lösung zum Selberhosten gibt. Empfohlen wird Semiphemeral auch vom CCC Freiburg. Für Python-Kenner existiert es zudem noch eine weitere kostenlose Option.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass gelöschte Tweets zwar aus der Öffentlichkeit verschwinden, aller Wahrscheinlichkeit nach Twitter Inc. jedoch noch Zugriff auf sie hat – was uns zu den DMs bringt.
3. Direct Messages löschen
Dass Direct Messages (DMs) auf Twitter nicht End-to-End verschlüsselt werden, war bekannt. Neu ist hingegen die Tatsache, dass Elon Musk offenbar neurechten Aktivisten ungefilterten Zugriff auf das Backend des Netzwerks gewährt, um Dreck gegen Joe Biden, die Demokraten und alles, was „woke“ ist oder in seinem Leben schon einmal einen Regenbogen gesehen hat, zu heben. Vielleicht wurden dazu private Nachrichten zum Plündern freigegeben (auf Screenshots ist durchaus der entsprechende Menüeintrag zu sehen) – vielleicht auch nicht. Man weiß es nicht.
DMs lassen sich mit wenigen Klicks manuell löschen. Plappermäulchen mit vielen Gesprächspartnern können wiederum ein weiteres Mal auf das Tool Semiphemeral zurückgreifen, das nach entsprechender Freigabe der Berechtigung Nachrichten zumindest der vergangenen 30 Tage in Bulk entfernen kann.
Gelöschte Nachrichten werden allerdings lediglich vor den Augen ihres Urhebers verborgen. Weiterhin Zugriff darauf haben die entsprechenden Gesprächspartner sowie natürlich Twitter selbst, das nach intransparenten Protokollen internen Zugriff darauf gewährt. Doch vielleicht stellt ein zunächst leeres Postfach ja doch eine kleine Hürde da.
4. Drittanbieter-Apps die Berechtigung entziehen
Bevor endlich der Button zum Deaktivieren des Accounts geklickt werden kann, fehlt noch eine Sache, die gerne vergessen wird: Apps von Drittanbietern, denen in der Vergangenheit zum Teil weitreichende Rechte eingeräumt wurden. Je nach Alter des Accounts und Experimentierfreude seines Besitzers können da schon mal ein paar Dutzend zusammengekommen sein. Twitter listet sie in den Account-Einstellungen auf. Einer Anwendung nach der anderen müssen nun sämtliche Zugriffsrechte entzogen werden. Warum das wichtig für einen Account ist, der sowieso bald gelöscht wird? Das erzähle ich jetzt.
5. Account deaktivieren
Der eigene Twitter-Account kann nicht gelöscht werden. Löschen kann ihn, wenn überhaupt, nur Twitter selbst. Um diesen Prozess anzustoßen, muss das Konto zunächst in den Einstellungen deaktiviert werden. Was bedeutet das? Sobald ein Account deaktiviert wird, wird er für dreißig Tage in eine Art Schlafmodus versetzt. Eine ausreichend lange Zeitspanne, so meint Twitter, um darüber gründlich nachzudenken, ob ein Verlassen der Plattform wirklich die richtige Entscheidung war. Sofern sich der Nutzer innerhalb dieser Frist wieder einloggt, gibt es eine warme Begrüßung, eine automatische Fristverlängerung sowie die nonchalante Frage, ob das jetzt nicht eine ideale Gelegenheit sei, das Konto wieder zu reaktivieren. Es ist also wichtig, dreißig Tage lang nach der Deaktivierung die Finger vom Konto zu lassen. Dies ist auch der Grund den Rechteentzug bei den Drittanbieter-Apps: Einige von ihnen können sich selbständig in die Accounts einloggen, was im schlimmsten Fall die Dauer der Wartezeit immer wieder verlängert.
Nach dreißig Tagen, so verspricht es Twitter, wird das Konto endgültig deaktiviert und der Nutzer hat nicht länger Zugriff auf das Konto. Ob tatsächlich eine vollständige Löschung stattfindet oder nicht, lässt das Unternehmen offen und spricht wahlweise davon, dass die Informationen „in unseren Systemen“ oder „in unseren Produktionstools“ nicht länger verfügbar seien. In den Formulierungen sind so viele Hintertüren eingebaut, dass man sich zurecht fragen kann, ob da überhaupt noch eine Wand steht.
Zum Schluss: Bitte den Account nicht löschen
Nachdem wir nun allen Schritten gefolgt sind, die hoffentlich zumindest zu einer permanenten Deaktivierung des Accounts führen, möchte ich an dieser Stelle noch eines anfügen: Bitte den Account nicht löschen. Denn nach Ablauf der dreißig Tage wird Twitter den Zugriff auf das eigene Konto sperren und im selben Zuge unmittelbar den bisherigen Accountnamen für die Öffentlichkeit zur Registrierung freigeben. Je nachdem wie etabliert das Konto war, wo es erwähnt und verlinkt wurde, können somit Dritte ohne Probleme die Identität des ehemaligen Besitzers annehmen und damit wirklich allen Unsinn anstellen.
Ich würde daher davon abraten und schlage hingegen Folgendes vor: Anstatt den fünften Schritt der Deaktivierung einzuleiten, würde ich das Avatar- und Cover-Bild entfernen und den soweit vollkommen entseelten öffentlichen Account in ein geschütztes Konto umwandeln. Damit bleibt es weiterhin existent, seine Inhalte (die zuvor gelöscht wurden) sind aber nur noch für die Follower sichtbar. Wer seine Tweets schützen möchte, kann dies in den Einstellungen mit einem Häkchen tun. Diese Mechanik erlaubt es dann auch, Links für andere Profile im Netz in der weiterhin sichtbaren Bio zu hinterlegen.
Natürlich gibt es auch hier auf dem Weg in die Zukunft wieder Stolpersteine. Namen von Accounts, die lange Zeit inaktiv waren, können unter Umständen von Twitter wieder für die Nutzung durch Dritte freigegeben werden. Bis dahin vergeht aber hoffentlich eine lange Zeit und die Gefahr des akuten Identitätsdiebstahls hat sich halbwegs minimiert.