Die Bundesnetzagentur (BNetzA) ist unsere oberste Regulierungsbehörde und daher gerade auch in Zeiten tobender Energiekriege eine der wichtigsten Instanzen. Doch sie erledigt ja noch so viel mehr, denn sie ist für den kompletten Wettbewerb aller Netzmärkte in Deutschland zuständig: Gas, aber auch Elektrizität, Telekommunikation, Post und Eisenbahnverkehr. Sie macht die vollständige wettbewerbliche und technische Aufsicht und kümmert sich zudem als quasi letzte Instanz um Verbraucherschutz und Beschwerdemanagement. In den vergangenen 25 Jahren ist die BNetzA so zu einer Riesenbehörde mit fast 3.000 Mitarbeitern herangewachsen. Sie hat zehn Außenstellen und 25 den jeweiligen Außenstellen zugeordnete Standorte.
Plötzlich „Digital Services Coordinator“
Und jetzt soll sie auch noch für die Einhaltung des Digital Services Act (DSA) sorgen. Nebenher, sozusagen, soll sie die zentrale Beschwerdestelle für illegale Inhalte etwa in sozialen Netzwerken werden – eine genaue Definition des verbotenen Contents steht noch aus und unterliegt derzeit auch der politischen Debatte.
„Nie war eine starke Plattformaufsicht so wichtig wie heute“, mahnte Autominister Volker Wissing (FDP) bei der gestrigen Einweihung. „Wir sehen eine zusehende Verrohung des Diskurses im Netz. Gewaltaufrufe, Bedrohung Andersdenkender, antisemitische Hetze – das sind Grenzüberschreitungen, die Auswirkungen im realen Leben haben und die wir niemals akzeptieren können. Auch die Plattformbetreiber tragen Verantwortung und müssen gegen rechtswidrige Inhalte vorgehen.“ Und damit wurde die BNetzA – wohl per Fax, zwei Unterschriften und drei Stempeln – offiziell und feierlich zum neuen Digital Services Coordinator (DSC), zur zentralen Koordinierungsstelle für die Durchsetzung des DSA in Deutschland. Dies geschah übrigens am selben Tag, an dem die Behörde auch noch den lang erarbeiteten Entwurf für faire Verteilung von Netzkosten veröffentlichte; ein brisantes Thema, bei dem sich seit Monaten jeder zweite Stammtisch die Köpfe einschlägt.
Toi! Toi! Toi!
Ich glaube, genau das ist gemeint, wenn Kritiker von „verkrusteten Strukturen“, „behördlichem Gerangel“ und „unübersichtlicher Bürokratie“ sprechen. Ich verstehe nicht, wie man einer einzelnen Behörde einen Kompetenzhorizont zuspricht, der von der täglichen Füllstandskontrolle der nationalen Gasspeicher in energiearmen Kriegswintern über die Genehmigung von Briefmarkenpreisen für den Postkartenversand und der fairen Behandlung von Flixtrain durch die Deutsche Bahn bis hin zur Sanktion von Hitlergrüßen auf TikTok reicht. Das neue Team wird einfach in die bestehende Aufgabenlandschaft hineingedübelt, die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, die Landesanstalt für Medien NRW, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit und das Bundeskriminalamt haben ihre Hilfe angeboten, sollte es zu Unsicherheiten kommen. Toi! Toi! Toi!
Warum wird in Deutschland das Digitale immer wieder so krass nebenbei abgefrühstückt? Warum werden Gelegenheiten der Neuaufstellung nicht genutzt? Warum werden Kompetenzen nicht gebündelt, warum machen wir aus Laien nicht spezialisierte Profis vom Fach? Ist es uns der Kampf um die Legitimität der Demokratie – denn um nichts Geringeres geht es beim Digital Services Act – inmitten extremistischer Hetze, Verschwörungserzählungen und russischer Propaganda einfach nicht wert? Warum wollen wir unseren Umgang mit dem Netz, seinen Chancen und Problemen nicht endlich professionalisieren? Warum prüft eine Behörde, die Ende der Neunziger nur deshalb gegründet wurde, um die privatisierte Post und Telekom vom Druchdrehen abzuhalten, jetzt Mordaufrufe im Netz, die vom Plattformbetreiber nicht gelöscht werden? Warum hat Deutschland 35 Jahre nach der Erfindung des WWW – wenn schon kein dediziertes Ministerium – keine Bundesoberbehörde für Digitales?
KI? Klar, kein Problem!
Und ich wünschte, meine ratlosen Fragen fänden hier ein Ende. Doch zu all dem gesellt sich eine zweite Meldung, die gerade die Runde macht. Denn es gibt ja noch den „AI Act“: das Brüsseler Brainchild zur Regulierung einer Technologie, die in weiten Teilen aus den USA und China kommt. Auch diese neue „Verordnung für Systeme mit Künstlicher Intelligenz“ (KI) will in nationales Recht überführt werden, zwölf Monate bleiben dazu Zeit. Also… wer soll in Deutschland künftig KI überwachen, wird regulatorische Kontrollinstanz im Umgang mit kritischen Stimmimitaten, Bildmanipulationen, Deep Fakes und auch all den daran hängenden urheberrechtlichen Fragen werden?
Richtig. Wenn es nach der Expertenanhörung im Digitalausschuss des Bundestags geht: die Bundesnetzagentur. Denn wer sich mit Funklöchern, Eisenbahnrecht und der deutschen Versorgungssicherheit auskennt, der ist ja quasi dazu prädestiniert, künstliche Intelligenz für ein ganzes Land zu bändigen!
Übrigens: Ich habe den BNetzA-Chef Klaus Müller in Bezug auf Digital Services Coordinator selbst gefragt, ob er sich den x-ten zwangsverordneten Job zutraut und er antwortete einsilbig. Was auch viel heißen kann.