Produktmarketing: Warum nicht alles supergeil ist und Starbucks mehr Fans als Spiegel Online hat

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2014 ist anders, ein wenig zumindest. Der heiße Scheiß des Jahres ist Content-Marketing und hier speziell: Storytelling. Storytelling und der Tipp: „Jedes Gespräch ist sinnlos, wenn die Botschaft fehlt.“ Das ist alles richtig – auch richtig gut! Jüngstes Beispiel ist wohl der EDEKA-Coup mit dem hippen Brummbär Friedrich Liechtenstein: Ein Viralfeuerwerk, auf das man in Deutschland zurecht auch mal stolz sein kann. Doch der Betrachtungswinkel ist zu flach eingestellt und hängt an der Oberfläche, denn die Frage, ob EDEKA mit der Kampagne tatsächlich auch nur einen jungen Kunden (so die erklärte Zielgruppe) zum Griff ins Regal mit den Eigenmarken bewegen kann, wird öffentlich erst gar nicht gestellt. Und ein Häkchen hinter den Terminus „Erfolg“ gibt es erst, wenn der Azubi tatsächlich den Umweg in Kauf nimmt und am Aldi vorbeiläuft, um im Super-Supermarkt EDEKA endlich sein Portemonnaie zu rocken. Bislang heißt der absolute Gewinner des Friedrich Liechtenstein-Videos „Friedrich Liechtenstein“ und der Spätsommer wird zeigen, ob es tatsächlich ausreicht, Produkte mit dem Adjektiv „super“ auszustatten und es dabei zu belassen. Dann nämlich wird Amazon mit frischen Lebensmittel den stationären Handel angreifen.

Social Media sind Werkzeuge. Das Mindset aber bestimmt das Produkt, manchmal der Preis. Social Medians sind Community-Architekten, Vertrauensagenten, die an der Produktnadel hängen. Denn wenn das Zentrum instabil, also untauglich, ist, führt jede noch so ausgefeilte Markenstrategie ins Leere. Und gerade wir Deutschen sind Meister darin, alles zu hinterfragen, zu justieren und zu optimieren – nur nicht das Produkt.

Was ist ein gutes Produkt?

Die Antwort auf die Frage „Was zum Teufel macht eigentlich ein gutes Produkt aus?!“ ist dreifach zu beantworten, wobei alle drei Faktoren unterschiedlich gewichtet sein können, jedoch nie auch nur ein Element fehlen darf. Und so wird etwas zu einem guten Produkt,

  1. weil es ein Problem löst.
  2. weil es funktioniert.
  3. weil es ein Erlebnis ist.

Wenn ein Produkt trotz ausgefeiltem Kommunikationsplan nicht zündet, liegt es oft daran, dass es entweder Probleme löst, die niemand hat, es unzuverlässig ist oder dem Kunden nicht das Gefühl gibt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als wäre das alles nicht schwierig genug, müssen diese drei Fragen das Produkt immer wieder in den Prüfstand rufen. Variety seeking, Sie verstehen… Verdeutlichen wir das Zusammenspiel zwischen Produkt und Kommunikation an einem Beispiel.

Nur richtiger Urlaub ist teurer

Was für Deppen geben eigentlich sechs Euro für einen Kaffee aus und gehen zu Starbucks? Nun, genau solche Leute, die einen Sinn für sich darin sehen. Dass der eigentliche Kaffee dabei eine eher periphere Rolle spielt, beweisen bis heute unzählige Blindtests, wie zum Beispiel auch dieser hier von Jimmy Kimmel:

Also noch einmal: Warum zahlt jemand angesichts geschmacklicher Indifferenz freiwillig mehr für Kaffee als für Druckertinte? Gruppendruck? Mangel von Alternativen? Geistige Beschränktheit? Nein, die Antwort ist ziemlich einfach: Weil sie sich zum Preis von gerade einmal sechs Euro für einige Minuten in den Urlaub verabschieden können.

Der Alltag ist trist, grau und hektisch. Die Starbucks-Markenarchitekten setzen dem einen Boxenstopp des entspannten Vergessens entgegen. Die Hookline ist „Kaffee“, was aber die Leute aber mit ihrem Becher tatsächlich kaufen, ist eine Auszeit, die Starbucks mit allen Mitteln des Neuromarketings inszeniert: „Die Wörter casi cielo bedeuten: fast (wie der) Himmel“, ist in einer Bohnenbeschreibung zu lesen. Andere Sorten heißen Aged Sumatra, Papua New Guinea, Sun-Dried Ethiopia und Colombia. Dazu kommt ein perfektes Raum-Storytelling, das in einer Liga mit dem der Apple Stores oder Abercrombie & Fitch spielt. Es ist ruhig, der Mitarbeiter freundlich und persönlich, die duftende Atmosphäre gedämpft – genauso wie das Licht und der Ton. Flickr und Instagram quellen über von Starbucks-Fotos. Es sind Reisepostkarten an die Daheimgebliebenen. Warum sieht man so viele Hipsters mit MacBook Airs auf den Sesseln und Sofas lümmeln? Weil sie sagen: „Schau, ich kann es mir leisten, im Paradies zu arbeiten.“ Starbucks-Kunden zahlen für diese Erlebniswelt; auch, wenn es die meisten nicht einmal wissen.

Mehr Facebook-Reichweite als Spiegel Online

Starbucks hat heute mehr deutsche Fans auf Facebook als Spiegel Online. Oder „Stern“, „Focus“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Welt“ zusammengerechnet. Man stelle sich vor, Medien würden auch mal auf die Idee kommen, in die User Experience zu investieren! Der Grund, weshalb Kunden sich freiwillig mit Unternehmen wie Starbucks vernetzen, besteht zum einen in der Hoffnung auf Coupons und zum anderen darin, das Erlebnis am heimischen oder mobilen Display zu reproduzieren. Jedes gelesene Posting ist ein Stück Würfelzucker, das direkt ins Belohnungszentrum weitergereicht wird. Kunden lesen keine Werbung. Sie lesen das, was sie interessiert. Und manchmal ist es Werbung. Anders ausgedrückt: Kein Like-Button macht ein Produkt besser. Das Produkt muss die tragende Säule jeder Strategie sein.

Nicola since 1972 (CC BY 2.0)

Machen wir also den Produktcheck:

Starbucks löst Probleme.
Beim Blick in die verzerrten Stressgesichter von Büroarbeitern und Shoppern haben unzweifelhaft alle eine Pause verdient. Jeder kann eine Auszeit gebrauchen.

Starbucks funktioniert.
Der Oasenbesuch läuft reibungslos ab. Der Kaffee ist erträglich und – hey! – der Typ hinter dem Tresen kennt sogar meinen Namen!

Starbucks ist ein Erlebnis.
Ohja. Und für sechs Euro kann ich nicht mal mit Rainbowtours nach Lloret de Mar fahren!

Gut gemacht, kann holistisches Digital Social Marketing erfolgreich zur beitragen, das Produkt weiter an die Bedürfnisse anzupassen, Funktionsabläufe zu optimieren und den Kunden eine Bestätigung vermitteln, dass sie eine gute Entscheidung getroffen haben oder treffen werden. Hierzulande verharrt Social Media Marketing aber eben auch im Jahr 2014 noch zu lange beim letzten Punkt: verführen, überreden, bekehren. Das ist das häufigste Thema und auch der Grund, weshalb die hiesige Szene in der Selbstreflexion verhaftet ist. Das eigentliche Produkt taucht in den aktuellen Debatten kaum auf. Warum hat EDEKA kein spezifisches Produktsortiment für junge Leute, wenn sie diese ins Visier nehmen? Warum kann ich für meinen ersten Singlehaushalt nur Fritten im anderthalb Pfund-Beutel kaufen? Wieso erklärt ihr nicht schon am Regal, warum ich als Sechzehnjähriger kein Bacardi kaufen darf? Wieso gibt es keine vordefinierten Azubi-Fresspakete für die Mittagspausen? Wieso macht ihr am Samstag schon so früh dicht? Wieso liefert ihr nicht?

produktdefinition

Es wäre dem Land, der Wirtschaft und den Kunden zu wünschen, dass das Social Web künftig der Katalysator für Change Management auf Produkt- und Unternehmensebene wird. Dazu müssen Community Manager aber näher an das Produkt und Produktmanager näher an die Community rücken. Also, worauf wartet ihr?

Foto 1: Flickr: Fabrizio Sciami (CC BY-SA 2.0)
Foto 2: Flickr: Nicola since 1972 (CC BY 2.0)

12 Kommentar

  1. Genau deswegen rennen die User auch zu Starbucks oder kaufen sich ein iPhone. Sie kaufen keinen überteuerten Scheiss Kaffe, sondern Urlaub und spielen dann nicht auf ihrem viel zu langsamen und zu kleinen iPhone, sondern sie erleben was mit ihrem Statussymbol…
    Das trifft natürlich nicht auf alle zu, aber die Masse lässt sich so verleiten.

  2. Hallo Andre,

    schöner Artikel. Viele dieser Fragen habe ich mir auch schon gestellt. Insbesondere die letzte Frage, die du aufwirfst. Und da ich viel mit „älteren“ (35+) Geschäftsführern von Oligopolisten aus Nischenbereichen der Elektrotechnik zu tun habe, habe ich immer viel von diesem „Zeug aus dem Internet“ erklären müssen – ohne dass es verinnerlicht wurde. Heute erkläre ich weniger, sondern verschicke immer nur den Link zu einem Video….: http://www.youtube.com/watch?v=sHsPyymMZ4s

  3. Sehr ich auch kritisch. Wie supergeil ist denn Edeka wirklich, wenn Schein und Sein mal etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Arbeitsbedingungen, Zeitarbeitskräfte, Bedingungen für das Verkaufspersonal und, und, und. Amazon wird da ja auch kräftig aufs Korn genommen. Was die Mindestlöhne anbelangt, braucht sich der Jeff Bezos-Konzern vor den Handelskonzernen in Deutschland nicht verstecken. Und ja, auch der stationäre Lebensmittel-Einzelhandel ist angreifbar. Spätestens wenn die grünen Fahrzeuge von Amazon Fresh durch Deutschlands Straßen rauschen, wird man sehen, ob nicht auch die Bastion der Supermärkte angreifbar ist.

  4. ich habe von Kaffee herzlich wenig Ahnung, aber warum fragt man nicht ob der Kaffeepreis die 7 Dollar gerechtfertigt ist? Oder um es zu vereinfachen: ein höherer Preis gerechtfertigt ist.
    Ich kann eine Flasche Wein von Blanchet für 3 Euro kaufen oder einen hervorragenden sagen wir, Grauburgunder für 9 Euro erwerben. Der dreifache Preis ist hier gerechtfertigt. Warum wird dies bei Kaffee ausgeschlossen?
    Natürlich spielt auch hier noch eine größerer emotionale Komponente hinein, aber so völlig losgelöst vom Produkt kann die in der Regel nie sein.

  5. Ich finde die Logik hinter der Starbucks-Analyse interessant, kann aber den aufgezählten Fakten nicht folgen. Ich komme jeden Morgen an der Starbucks-Filiale am Münchner Hauptbahnhof vorbei, und die ist immer rappelvoll, da ist immer eine Schlange, dort ist es weder gemütlich, noch strahlen die (unterbezahlten) Studenten hinter dem Tresen Gelassenheit oder gar Fröhlichkeit aus. Ich glaube, der Grund für den Starbucks-Hype ist ein ganz anderer, viel banalerer. Der Kauf eines Kaffees – inklusive der damit verbundenen Hürden – vermittelt das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlen möchte. Bei Apple sehe ich in der Kundenansprache große Ähnlichkeiten. So ist es im Apple-Store in München nicht möglich, ein iPhone zu kaufen, ohne zuvor einen Beratungstermin mit einem Applestore-Mitarbeiter vereinbart zu haben, selbst wenn man gar keine Beratung wünscht, zum Beispiel weil man sich bereits online informiert hat. Dasselbe beim Kundendienst: Beim iPad meiner Frau war das Netzteil kaputt, also musste sie einen Beratungstermin abmachen, um sich im Store ihr Ersatzteil abzuholen. Als sie zehn Minuten zu spät kam, wurde sie gerüffelt. Für ein Produkt von offenbar minderwertiger Qualität, das keine sechs Monate nach Kauf den Geist aufgab. Das ist in meinen Augen ein schmaler Grat, auf dem sich da die Markenbotschafter bewegen. Früher war „Marke“ ein Signal für eine bestimmte Produktqualität, heute wird es immer mehr für eine bestimmte Lebenswelt hergenommen. Und die kann sich halt auch mal wieder ändern.

  6. Man kann nicht alle Edeka-Läden als veraltet und fern jeglicher jüngeren Zielgruppen bezeichnen. Der Edeka im Frankfurter Ostend zum Beispiel, zwischen Agenturen im hippen Umfeld angesiedelt, hat sich voll auf diese Zielgruppe eingestellt. Gleich am Eingang gibt’s eine Kühltheke mit frisch zubereitetem Obstsalat, grünen Salat und sonstigem Convenience Food. Es gibt mitten im Supermarkt diverse Inseln mit Tischen und Barhockern, an denen man frisch zubereitete Speisen direkt essen kann. An der Fischtheke Sushi, an der Fleischtheke gibt’s Schnitzel und sonstige Mittagstisch-Gerichte etc. Und obwohl der Supermarkt riesig ist, fühlt man sich wohl und kann in Ruhe essen. Also auch Edeka kann ein tolles Ambiente bieten.

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