Zukunft des Journalismus Die News als Produkt

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Am vergangenen Donnerstag durfte ich im DRadio Wissen an einem Gespräch zur Zukunft des Journalismus teilnehmen – Hintergrund war der ebenso plötzliche wie vorhersehbare Insolvenzantrag der Münchener „Abendzeitung“. Jetzt ist es natürlich immer einfach, im Nachhinein zu kritisieren und bloßzustellen: Unzweifelhaft hat die „Abendzeitung“ sowohl technische als auch ökonomische Trends der Branche schlicht verpennt – was umso bedauerlicher ist, da das Redaktionsteam selbst einen hochmotivierten Eindruck macht.

Bezugnehmend auf meinen Post zum Produktmarketing („Was macht eigentlich ein gutes Produkt aus?“) haben wir uns also die Frage gestellt, wie die Definition von Journalismus neu gedacht werden könnte, um künftig nicht nur demokratiestabilisierend, sondern auch halbwegs profitabel operieren zu können. Dabei wird es nicht ausreichen, das Geschäftsmodell des 20. Jahrhunderts in das 21. Jahrhundert zu übersetzen: Wie News entstehen, wie sie verbreitet werden und wie sie konsumiert werden, hat sich dramatisch verändert. Um den Mindchange zu verstehen gehen wir ein wenig in der Zeit zurück…

Die Illoyalität der Leser

Das Dilemma der Medien wurde wohl erstmals im Jahr 2008 explizit formuliert und zwar von einem US-Studenten, der von der „New York Times“ zu seinem Leseverhalten in politischen Angelegenheiten befragt wurde:

“If the news is that important, it will find me.”

Die Generation C („Connected“) wird sich sofort mit der Aussage identifizieren können; die anderen Generationen – und damit sind ältere gemeint – rücken Tag für Tag nach. Doch was sagt uns so ein hurtig hingeworfener Satz eigentlich? Zunächst wird deutlich, dass die Medien (oder besser: die News an sich) offenbar mitnichten an Charma verloren haben. Wir konsumieren heute neun bis zehn Stunden Medien am Tag – daran kann es nicht liegen. Was aber aus den Worten spricht, ist eine frappierende Illoyalität einem bestimmten Medium gegenüber! Nachrichten sind mittlerweile zur Massenware avanciert und häufig komplett austauschbar, so dass die eigentliche Quelle immer zweitrangiger wird. Niemand merkt sich die Quelle oder macht sich gar die Mühe, sich an die Ursprünge der Meldungen heranzutasten.

produktdefinition

Damit sich Leser wieder mit einem Medium identifizieren können, muss es erst zu einem sinnvollen Produkt werden. Im Produktmarketing habe ich drei Elemente identifiziert, die eine Sache erst zu einem runden Produkt werden lassen: Es muss Probleme lösen, es muss funktionieren und es muss zu alledem auch noch ein Erlebnis sein. Gehen wir nun die Punkte im Einzelnen durch.

1. Der Journalismus als Problemlöser

Wenn früher die Aufgabe des Journalismus darin bestand, das gesellschaftliche Informationsdefizit zu lindern, so leben wir heute in Tagen der unüberschaubaren Informationsfluten. Das Ziel kann es nicht sein, an der Quantitätsschraube zu drehen, sondern pointiert die eigentlichen Probleme der Leser anzugehen: das ist zum einen die mangelnde Orientierung innerhalb der Diskurse bzw. eine gescheite Kontexteinordnung. Zum anderen gibt es einen unstillbaren Hunger nach Aktualität in Zeiten des absoluten Zeitmangels. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass der Journalismus aus sich selbst heraus einfach wieder relevanter für den individuellen Leser werden muss.

bear-zeitungViele News-Seiten sind heute vollgestopft (noch schlimmer ist es bei Mobil-Versionen) – von oben bis unten, je mehr, desto besser. Das Ironische daran ist, dass sich zwischen den journalistischen Inhalten immer wieder Elemente finden, die für den Leser wie Arsch auf Eimer passen: und das ist die Werbung. Die Wirtschaft hat es verstanden, zielgenau und damit streuverlustarm den Nutzer ins Visier zu nehmen. Nennen wir Behavioral Targeting als Stichwort. Die Medienhäuser sitzen im Jahr 2014 auf einem gigantischen Berg von Nutzer-Daten. Es fällt ihnen aber nichts Besseres ein, als diese an die Werbeindustrie weiterzuverkaufen, anstatt sie selbst sinnvoll zu nutzen. Wieso wird heute kaum News-Targeting betrieben? Customized News erhöhen Dank Personalisierung die Relevanz für jeden einzelnen. Alter, Interessen, Bildungsniveau, Einkommensstärke – das alles kann beim maßgeschneiderten Targeting berücksichtigt werden.

Das ist das eine. Das andere ist die Relevanzgewinnung durch regelmäßige Einordnungen. Das ist der Bonus der Wochenzeitungen, deren Auflagen in den vergangenen Jahren ja halbwegs stabil waren. Was passiert eigentlich in der Ukraine? Während einige Medien sich in hektischen Barrikaden-Livetickern ergehen, zeichnet die „Zeit“ nach, wie es dazu überhaupt kam. Viele Leser verlieren im News-Geballer den Überblick und verlieren schlichtweg das Interesse, da die Geschichte für sie kein Anfang und kein Ende hat. Damit man am Ball bleibt, muss es hin und wieder Pausen der Besinnung geben, um die Entwicklungen einzuordnen.

2. Journalismus, der funktioniert

Damit das Funktioniert!-Gebot eines erfolgreichen, journalistischen Produkts eingehalten werden kann, sind zwei Kernbereiche zu beackern: Es geht zum einen um die Art der Darstellung und zum anderen um die Distribution der Inhalte.

Wie werden Medien heute eigentlich konsumiert? Nun: schnell und effizient. Damit jeder noch so kurz angebundene Leser eingefangen werden kann, müssen Informationen übersichtlich aufbereitet werden. Warum boomen Infografiken? Weil ich in wenigen Sekunden das nachvollziehen kann, wofür ich per Artikel Minuten bräuchte. Dazu wird es zwingend notwendig sein, dass künftig neben den Journalisten auch eben so viele Designer und Entwickler sitzen.


Im Rahmen der Content Distribution ist ständiges Trendscouting nötig, denn sie bedeutet das Aufspüren und Jagen der Lesernomaden. Bringt die Inhalte zu den Nutzern, nicht andersherum! Dazu spielen beispielsweise Technologien eine Rolle, die auf das moderne Konsumverhalten der Nutzer reagieren, anders ausgedrückt: mobil! Mobil! Mobil! Eine weitere wichtige Komponente steuern die sozialen Netzwerke bei, deren Klaviaturen perfekt beherrscht sein müssen. Leider ist es im Jahr 2014 noch immer so, dass viele Medien Facebook und Co. als Pseudo-RSS-Feed sehen und monodirektional in die Stille posten.

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3. Der Journalismus als Erlebnis

Die Zukunft des Journalismus ist digital und damit raum- und identitätslos, richtig? Falsch. Am Beispiel von Starbucks hatte ich gezeigt, wie in Filialen intelligentes Neuromarketing die Kunden zum teuren Kaffeebecher verführt, bei digitalen Medien ist es ein wenig anders, nur heißt der Erlebnisfaktor hier „Interaktion“.

Wer hatte nochmal den schlauen Satz gesagt, dass News keine Seen, sondern Flüsse seien – niemals abgeschlossen und niemals identisch? Nun, keine Ahnung, aber er gilt noch immer. Damit Medien Interaktion mit dem Leser zulassen können, müssen zunächst einige eiserne journalistische Grundsätze in Frage gestellt werden: etwa der nach der bedingungslosen Objektivität, der Abgeschlossenheit und dem zwingend gesichtslosen Autor. Das ist nicht einfach, zumal sich die meisten Medien fatalerweise selbst heute noch davor scheuen, auf ihre Originalquellen zu verlinken und es einfach mal fließen zu lassen.

Damit News wieder zu einer persönlichen Angelegenheit werden, muss man die Leser miteinbeziehen und gut begründete Interaktionsmöglichkeiten schaffen, was gleichzeitig bedeutet, sich über die nötigen Anreizmodelle Gedanken zu machen. Vor allem im hyperlokalen Sektor sind noch nicht alle Ideen ausgereizt. Die 1414-Community von Bild.de scheint mir auch ein guter Kandidat für gelungene Leserinteraktion zu sein.

Neben dem News-Erlebnis steht aber auch das persönliche Erlebnis im Vordergrund. Ich war immer ein großer Fan von DerWesten auf Twitter; selbst als ich in den Norden zog, blieb ich ihnen treu. Warum? Nicht, weil sie besonders schnell oder besonders innovativ sind. Ich nenne den Account gerne als Paradebeispiel persönlicher Kommunikation im Social Web, weil sie immer da sind: „Guten Morgen!“, „Guten Mittag!“, „Guten Abend!“, „Schlaft schön!“. Die „WAZ“ wird Teil des Nutzeralltags und damit Teil der Medienroutine. Durch die persönliche Ansprache und simulierte Nähe wird das Medium für die Leser zu einer emotionalen Angelegenheit, was nicht nur sympathischer, sondern schlichtweg auch sinnvoller ist, als jedes Loyalty-Program.

Ideenleere ist der Spielplatz des Teufels

Man sieht: Es steht und fällt mit der Leserbindung. Ich will kein Abo, das mich nach einem einmaligen Entschluss für Jahre verpflichtet. Da hilft auch kein iPad Mini oben drauf: „Ich will relevante Nachrichten, die ich da lesen kann, wo ich möchte und gescheite Feedback-Kanäle!“ – das wäre die Bilanz. Ich halte den produkt- und damit leserzentrierten Ansatz für einen der zielführendsten. Die freie Wirtschaft fährt mit derlei Angeboten ziemlich erfolgreich und das Dilemma der Medien besteht nun zu alldem darin, dass sie ins Digitale müssen, wo bereits Unternehmen sitzen, die in all der Zeit bereits gigantische Reichweiten aufbauen konnten.

Medium X: „Hey, wollt ihr nicht Werbung bei uns schalten?“
Unternehmen Y: „Haha. Wir haben mehr Fans auf Facebook als ihr – und alle decken sich 100 Prozent mit unserer Zielgruppe.“
Medium X: „‚Haha‘?“
Unternehmen Y: „Nein.“

Es gibt kein Allheilmittel, kein Superrezept. Aber Ideenleere ist der Spielplatz des Teufels. Die meisten Medienhäuser experimentieren ja bereits mit unterschiedlichen Konzepten. Axel Springer spielt als digitale Newsschleuder mit Paywalls, Burda probt den E-Commerce, Gruner + Jahr macht irgendwas mit Communities und die „Zeit“ wird lokaler und bildungsstärker.

Das ist doch schon mal was. Wenn bei all dem künftig der Leser wieder in den Vordergrund rückt, könnte es sogar richtig was werden.

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Teasergrafik: Flickr / Florian Lehmuth (CC BY-SA 2.0)
Bärbild: Flickr / Jenny Downing (CC BY 2.0)
Samebutnotequal: Flickr / See-ming Lee (CC BY 2.0)

2 Kommentar

  1. Für mich wird Journalismus jedoch nie einfach nur „ein Produkt“ sein. Es geht um mehr als nur die Befriedigung der Kundenwünsche und den daraus resultierenden Gewinn. Aber Sie haben Recht, darum geht es auch.
    Das Fazit, das ich daraus ziehe ist vor allem dies: Wir Medienmacher müssen unseren Lesern zuhören, wir müssen mit ihnen sprechen und ihnen auch erlauben, mit uns zu interagieren und Einfluss auf „ihre“ Medien zu haben. Ich denke zum Beispiel, das Leser heutzutage nicht mehr damit zufrieden sind, einfach einen guten Artikel zu lesen. Sie wollen die Kommentare anderer dazu sehen und teilweise auch selbst ihre Meinung sagen.
    Wir machen ja auch ein Magazin, Print sogar, bei dem es eben um Interaktion geht. Wenn es uns nur ums Geschäft ginge, würden wir eine App machen. Aber wir denken eben, dass man Interaktion auch drucken kann und das es ein Interesse an / einen Markt für das +3 Magazin mit Meinungen und Diskussionen zu gesellschaftlich relevanten Fragen gibt. Natürlich nur in enger Verknüpfung mit Online und Social Media.
    Aber gerade für uns als kleines Unternehmen ist es elementar, ganz genau auf die Bedürfnisse unserer Zielgruppe zu hören. Wir können mit unserem Budget nicht Probleme mit Geld bewerfen und hoffen, dass sie sich lösen, sondern jede Lösung muss ein kreativer Prozess sein.

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