Yeah, Kraken! Es ist Zeit, dass endlich einmal jemand aufsteht, um Seeungeheuer zu rehabilitieren. Die Diffamierungskampagne gegen den Octopus (Octopus vulgaris) geht schon viel zu lange. Mittlerweile ist er von der Kryptozoologie in die Enzyklopädien geschwommen; wir wissen, was er so macht, wenn er einige Kilometer unter der Meeresoberfläche schmatzend am Grund kauert. Deshalb besteht der Kickoff zur Image-Rettung der Octopoden auch aus einem Donnerschlag des Wissens. Nämlich den
Zehn Eigenschaften, die den Octopus cool machen:
- Der Krake (umgangssprachlich mit grammatikalisch weiblichen Geschlecht) hat seinen Namen aus dem Skandinavischen. Er bedeutet soviel wie „entwurzelter Baum“.
- Er ist mit acht Armen – nicht „Tentakeln“ – ausgestattet
(einer davon dient den Männchen der Fortpflanzung). - Er hat blaues Blut.
- Er kann eine Spannweite von bis zu zehn Metern erreichen.
- Er zählt zu den schlauesten Meerestieren. Seine Intelligenz reicht an die von Ratten heran.
- Er besitzt drei Herzen.
- Er denkt mit neun Gehirnen (eines für jeden Arm und das Haupthirn).
- Er ist zum sekundenschnellen Farbwechsel fähig.
- Er hat einen evolutionsbiologischen logischen Augenaufbau: die Netzhaut ist vorne.
- Er kann giftig sein.
Octopoden haben nur ein Problem: Sie sind potthässlich. Kopffüßler hatten in der Welt noch nie einen einfachen Stand, während des Mittelalters wurden sie als Salzwassermonster lanciert, die mit gigantischen Armen Schiffe zerbrechen und Matrosen zum Grund des Meeres reißen. Der Octopus ist daran aber unschuldig, das waren die furchtbaren Tiefseekalmare, die zwar um Längen größer – aber auch dümmer sind.
Umso erleichterter bin ich darüber endlich verkünden zu können, dass sich der Octopus in den vergangenen Jahren langsam aber stetig wachsender Beliebtheit erfreut. Vor allem im Internet wird fleißig an der Resozialisierung des Kraken gearbeitet. Heute gibt es eine Reihe Blogs, die sich ausschließlich Themen mit acht Armen widmen. Der Octopus hat sich in die Herzen der Menschen gesaugt und fungiert immer häufiger als Inspirationsquelle in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Welche das sind, habe ich in einer vorläufigen Top 5-Liste zusammengefasst.
Top 5: Wissenschaft
Da der Octopus ohne Schuppen und Schale auskommt, ist er ein extrem biegsames Geschöpf. Die Beweglichkeit verdanken die Arme ihren fünf Muskelsträngen, von denen sich vier an der Außenwand sowie einer im Inneren befinden. In dem Video rechts sehen wir ein 232 Gramm schweres Exemplar (Octopus macropus), das es schafft, durch ein etwa 2,5 Zentimeter großes Loch zu flüchten. Im April dieses Jahres haben italienische Wissenschaftler das Potential eines solchen Körperaufbaus entdeckt und arbeiten nun an Silikonarmen, die mit elektroaktiven Polymeren ausgestattet sind, um irgendwann herkömmliche Mini-U-Boote durch Octo-Roboter ersetzen zu können. Viel Glück.
Top 4: Bildende Kunst
Wer Lust auf hypnotische Fraktalkunst hat, sollte unbedingt einmal bei Phil Lewis vorbeischauen. Die Regel für Fraktale stammt ja von Benoît Mandelbrot und ist eigentlich relativ einfach nachzuvollziehen: „Ein Fraktal ist eine Menge, deren Hausdorff-Dimension größer ist als ihre Lebesgue’sche Überdeckungsdimension.“ Wie sich bereits ahnen lässt, ist der Octopus das perfekte Tier, um eine solche Formel zu verbildlichen, was Lewis auch erkannt hat. Dabei hat er in einer schlicht faszinierenden Schritt-zu-Schritt-Anleitung festgehalten, wie das Kunstwerk entstanden ist.
Top 3: Comics
Großes Kapitel. Octopoden in Comics? Groooßes Kapitel. Wie groß es wirklich ist, zeigt Poulpe Pulp („poulpe“ – frz. „Octopus“, „pulp“ – eng. „Groschenroman“) in einer imposanten Sammlung historischer Octo-Comics. Die Cover-Parade reicht zurück bis in das Jahr 1928 und umfasst sowohl Fantasy- als auch Science Fiction-Titel, denen jedoch alle eines gemeinsam ist: Sie sind völlig durchgeknallt. Hier entschleiert sich der tabulose Hass der Vorgängergenerationen auf die Kraken, die eigentlich in Ruhe Austern schlürfen wollen, aber immer wieder von vollbusigen Amazonen, fliegenden Zorro-Pirat-Hybriden, Bürgern Alaskas und Astronauten geärgert werden und dann dementsprechend zurückschlagen (zum Beispiel im rassistisch anmutenden Dschungel-Camp).
Dass es auch anders geht, zeigt die achtjährige Zoe, die gemeinsam mit ihrem Papa Mike ein Pro-Octo-Blog aufgesetzt hat und in ihren „Angry Octopus Comics“ dem lieben, aber zeitweilig angenervten Krakentier mit dem Wachsmalstift eine rührende Persönlichkeit verleiht.
Top 2: Tierschutz und Schulen
1998 – kurz nach seiner Entdeckung – wurde bekannt, dass der Pacific Northwest Tree Octopus (Octopus paxarbolis) vom Aussterben bedroht ist. Diesem etwa 30 Zentimeter großen Gattungsexemplar ist es möglich, sowohl im Wasser zu leben als auch auf Nadelbäumen. Seine natürliche Heimat ist der bewaldete Küstenstreifen Nordamerikas, in dem die Anzahl seiner Feinde (in erster Linie Vögel sowie die Modeindustrie, die Baumkraken zu Hüten verarbeitete) damals exorbitant zunahm. Seinerzeit wurde ein großer Aufruf im Internet gestartet, den auch „Greenpeas.org“ unterstützte.
So, bevor die Stirn überrunzelt wird, lösen wir das lieber einmal auf: Der „Pacific Northwest Tree Octopus“ war einer der ersten Internet Hoaxes. Dank seiner hervorragenden pseudakademischen Verbrämung fielen reihenweise Schüler auf den Aufruf herein, wie uns Wikipedia verrät, wird der Baum-Octopus noch heute herangezogen, um in Schulklassen Medienkompetenz zu vermitteln. Doch im Herzen lebt der Pacific Northwest Tree Octopus. weiter: in Zeichnungen, Bildmontagen und Stofftierverschnitten. Kletter weiter, kleiner Baum-Octopus!
Top 1: Musik
Den Beweis, dass ein Octopus auch richtig Gefühle haben kann, erbringt schließlich Geek-Rocker Jonathan Coulton, der am Tag der Geburt seiner Tochter seinen Job schmiss, um als Podcast-Musiker Karriere zu machen – was er wohl letztendlich auch geschafft hat. In „I crush everything“ (Lyrics) geht es um einen depressiven Riesenoctopus, der am Meeresgrund elegisch sein Dasein fristet, während die Schiffe mit seiner Geliebten über ihn hinweg ziehen. Den Song schrieb Coulton ursprünglich für seinen Yale-Kumpel John Hodgmans (der „PC-Man“ aus der Apple-Werbung) und dessen gesammelte Irrelevanzen mit den Namen „Little Gray Books“. In einem Interview sagte Coulton über den Song:
It’s a good example of what was wrong with the way we are exploring the ocean, because we go down there with these lights and these noisy machines, and it’s actually entirely possible that the giant squid is a very shy and retiring creature, even though it is a giant squid. And of course we haven’t seen one, because like, we go down there with a brass band every time. And so that image of the giant squid who is afraid of loud noises sort of stuck with me.
Ich hoffe, dass ich nach diesem kleinen, und nicht zu sentimentalen, Ausflug in das Reich der Kopffüßler für ein wenig Klarheit sorgen konnte. Vielleicht hat es gereicht, den Leser dazu zu bewegen, ihn bei der nächsten Begegnung mit einem Octopus mit Hoch- und nicht Verachtung reagieren zu lassen. Mein Gott, sie können doch nichts dafür, dass sie perfekt sind! Und jetzt, zum Abschluss, quasi als Belohnung, zeigen wir Kraken, so wie wir sie alle kennen und wofür wir eigentlich den Artikel angeklickt haben. Sehen Sie, wie Kraken einen Hai zerfetzen, Marmeladengläser öffnen und ein kleines Forschungs-U-Boot angreifen.
3 Kommentar
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Also, das nenne ich aber mal einen Artikel. Toller Ort hier! Sehr schön und mit Herz gemacht.
Aber sagt, von wem ist das Titel-Bild, der bunten Oktofant, da oben?
Oder hab ich was überlesen?
Super Internetpage – Habe klitze kleine Frage. Mein Ego ist auch momentan dabei meinen kleinen Weblog zu schreiben und ich finde dein Template toll. speichern?