Es gab einige, die fanden die Beerdingung des Michael Jackson „gelungen“, „würdig“ – „unvergesslich“ gar. Es war ein Ereignis megalomanischen Ausmaßes, der Tod seiner Pop-Majestät! Und später würde man seinen Kindern davon erzählen können: „Ja, Jean-Fynn. Ich war dabei.“ Als ich die Live-Berichterstattung der US-Sender verfolgte, von denen jeder mindestens zwei NewsCopter erst über der Trauerhalle und dann über dem Staples-Center kreisen ließ, kamen mir andere Adjektive in den Sinn. Die eigentliche Abschiedszeremonie glich einem Stapellauf der musikalischen Best Buddies und hätte Jacksons Prunksarg nicht auf einer konvexen Brücke vor der Bühne gestanden, wäre der Anlass schnell in Vergessenheit geraten.
Ich schätze, es ist eine typisch amerikanische Routine, zur Beerdigung das Leben des Verstorbenen nicht durch Worte, sondern seine Taten Revue passieren zu lassen. Wenn den Ex-NRA Chef Chartlon Heston („You can have my gun when you can pry it loose from my cold, dead hand!“) das Zeitliche segnet, wird es ein Defilee aus Waffennarren geben, die nach der Zeremonie die Gewehre anlegen und mehrere Salutschüsse in den texanischen Himmel abgeben. Bill Gates letzte Geleitworte könnten von einer computergenerierten Stimme stammen, die sich für ihre Erschaffung bedankt und dann das Lebenswerk des Redmonders mit begleitender PowerPoint-Präsentation referiert. Es ist auch vorstellbar, dass nach dem Ableben von Dick und Mac McDonald – einmal in den 70ern und einmal in den 90ern – die Mitglieder der Trauergemeinde um das jeweils frisch ausgehobene Grab standen, weinten oder sich still tröstend in den Armen lagen, um am Ende einen bunten Regen aus Einwegservietten, Plastikstrohhalmen und BigMac-Kartons auf den Sarg zu werfen, ehe ein als Clown kostümierter Minibaggerfahrer das Loch wieder mit Erde auffüllte.
Es soll nicht abwertend klingen, immerhin macht es durchaus Sinn, den Moment der Abschiednahme mit lebhaften Erinnerungen zu verbringen, anstatt – wie beispielsweise bei deutschen Beerdigungen üblich – das vom Pastor oder Pfarrer in einem Schnellhefter gespannte DIN-genormte Standard-Tremolo über sich ergehen zu lassen.
Doch meine Verwunderung über die amerikanischen Performance-Begräbnisse kennt seit heute eine neue Stufe. James Maury ‚Jim‘ Henson, im Leben jenseits der Geburtsurkunde von allen nur Jim Henson genannt, war der Erfinder der Muppets, die kurze Zeit später Hauptakteure der gleichnamigen Show wurden. Es waren über 30 Charaktere, allen vorweg Kermit der Frosch, Miss Piggy, der Fozzie Bär, Scooter und natürlich Statler und Waldorf, das ältere Herrenpärchen, das ich gerne einen Abend einmal von Ex-„Stern“-Chef Michael Jürgs und Heiner Bremer interpretiert vorfinden möchte. Henson starb am 16. Mai 1990 an einer verschleppten Lungenentzündung in New York und was dann geschah, dürfte einige unserer Landsleute Anbetracht der vermeintlich pietätlosen Inszenierung einer Künstlerbeisetzung bis heute erschaudern lassen: die Muppets stürmten die Messe. Auf Wikipedia lesen wir:
Auf Hensons Beerdigung spielte eine Dixieland Jazz Band „When The Saints Go Marching In“. Harry Belafonte sang „Turn the World Around“, das er erstmals in der Muppet Show gesungen hatte. Am Ende traten sechs der Muppet-Puppenspieler auf die Bühne und sangen mit den Stimmen ihrer Charaktere ein Medley von Jim Hensons Lieblingsliedern, ehe zum Abschluss alle Puppenspieler singend mit ihren Muppets auf der Bühne standen.
Höhepunkt der Feierlichkeiten war ein Auftritt von Big Bird, der große, gelbe Muppet-Vogel, der hierzulande auch unter dem Namen Bibo bekannt ist. Caroll Spinney (75) haucht bis heute der Figur ihr Leben ein (hier eine Kurzdokumentation). Damals sang Spinney aka Big Bird auf der Hauptbühne der Messe „Bein‘ Green„, ein elegisches Statement, dass 1970 erstmals von Kermit dem Frosch in der Sesamstraße gesungen wurde und von der Unfähigkeit und dem daraus resultierenden Schmerz berichtet, sich nicht in die Gesellschaft einfügen zu können. Henson (als Kermits Stimme) selbst hatte damals den Song intoniert. Als ich das zottelige Schnabeltier inmitten der Kirchengäste entdeckte, packte mich zunächst das blanke Entsetzen. Doch nach der dritten Wiederholung wurde ich milde. Zu sehen, wie ein rund 2,50 Meter großer gelber Vogel seinem Schöpfer in aufrichtiger Trauer seinen Tribut zollt, ist ein Erlebnis, von dem ich später meinen Kindern erzählen werde: „Ja, Jean-Fynn. Ein richtiger Vogel.“
Dass ich mit meiner Einschätzung der Veranstaltung nicht alleine bin, zeigen auch die vielen Kommentare, die auf YouTube mittlerweile zu dem Video eingegangen sind. „I find this immeasurably sad“, schreibt momorg. Ein raynelycan kommentiert: „Good night, Mr. Henson. Thank you for everything.“ Doch die überzeugenste Bewertung des Abends, der so lange in Vergessenheit lag, kommt von SugacaneNinja und lautet: „Giant Birds should not be able to stir such emotions in me!“ Lebe wohl, Michael. Lebe wohl, Jim. Und auch ihr, Dick und Mac McDonald. Lebt wohl.
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