Dem deutschen Büchermarkt geht es prächtig. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde ein Umsatzwachstum von 2,2 Prozent erzielt, allein im Sommermonat Juni konnten die Verlage hier ein Plus von 6,8 Prozent (!) verzeichnen. Ein stattliches Ergebnis mitten im Jammertal der Wirtschaftskrise, das in dieser Größenordnung nur wenigen Branchen vergönnt ist. Auf der Frankfurter Buchmesse 2009 knallten jedenfalls die Champagnerkorken, wohingegen das IT-Volk auf der CeBIT damit bemüht war, im Rahmes eines gigantischen Motivationsseminars die Mitglieder verzweifelt auf bessere Zeiten einzuschwören.
Das zeigt: Papier ist nicht out, der Geruch von Druckerschwärze, schöne Lesezeichen, Taschenbücher zum Mitnehmen – all das hat die Jahrtausendwende völlig unbeschadet überstanden. Der Kreis der Offline-Leser wächst stetig weiter, eine Entwicklung, die wohl so niemand vermutet hätte. Darin ist auch das Selbstbewusstsein der Bücherverlage begründet. Ein Umsatteln auf E-Books? Kann man machen – muss man aber nicht, lautet das Motto von Belletristik und Sachbuch. In einer selbst initiierten Studie von Oktober tastete sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eher neugierig als getrieben an das Thema Electronic Publishing heran: „Wir wollten wissen, wie nachhaltig die aktuelle E-Book-Welle ist“, heißt es da. Das Fazit fiel mit der Aussage „E-Books: Umsatzzwerge mit Wachstumspotenzial“ eher nüchtern aus.
Wenn von E-Books oder ihren Readern die Rede ist, wird häufig zunächst an „Harry Potter“ und den Kindle gedacht, auch beim Publikum hält sich da die Begeisterung in Grenzen. Verständlicherweise. Mehr als ein Buch gleichzeitig kann niemand lesen, warum also ein elektronisches Gadget mit tausend Titeln einstecken, wenn ich doch Literatur gestochen scharf, batterieunabhängig und mit unvergleichlicher Haptik völlig komplikationslos genießen kann. Um es kurz zu machen: Ob E-Books in naher Zukunft auch im klassischen Buchverlagswesen ein Erfolg werden, ist eine eher zweitrangige Frage. Eine dringende Abhängigkeit besteht jedenfalls nicht.
Online-Ableger der Zeitungen: Ein schönes Zubrot
In einem anderen, branchennahen Sektor, sieht die Sache jedoch völlig anders aus. Hier lautet die Devise „Information statt Unterhaltung“ und gemeint ist der Journalismus, der sich derzeit davor fürchtet, seinem unabwendbaren Untergang entgegen zu wanken. Der Niedergang des Pressewesens – ich denke, so kann man es bereits ausdrücken – ist keine direkte Folge der Weltwirtschaftskrise und ist auch nicht von den Journalisten zu verantworten. Die Wurzeln liegen viel weiter zurück und sind eng mit dem Siegeszug des Internets verknüpft. Als man in den neunziger Jahren auf die Idee kam, das Netz als dekoratives Beiwerk, praktisch als digitale Außenwerbung zu nutzen, entstanden erste Online-Ableger der Zeitungen. Man hoffte, hier Stories anzuteasern, Kompetenz zu beweisen, um damit die Leser zum Kiosk zu locken. Das Konzept ging auf, allerdings anders als erwartet. Als sich das Internet vom Web 1.0 in das Web 2.0 wandelte, war es Zeit für eine erste Bilanz und die Ergebnisse konnten sich wirklich sehen lassen. Zwar stagnierten die Print-Auflagen, die Online-Zugriffszahlen stiegen jedoch kontinuierlich und da auch die Werber ihren Beitrag leisteten, konnten die Inhalte entsprechen vermarktet werden. Ein schönes Zubrot.
Die Verlagshäuser investierten weiter in ihre Online-Auftritte, Foren kamen hinzu, Videobeiträge, aufwändige Online-Aktionen – und die Nutzer sprangen darauf an. Für sie waren die Inhalte dank der Werbung vom ersten Tag an gratis verfügbar und ein solches Angebot nutzt man ja gerne. Der Weg war vorgegeben…
Doch dann kippte das harmonische Bild und fiel – schon vor der Krise – endgültig aus dem Rahmen. Wenn am Bau eines Autos Hunderte beschäftigt sind, so ist es heute die Aufgabe von Tausenden, dieses dem Käufer via Werbung schmackhaft zu machen. Der Marketing-Sektor hat einen gigantischen Wasserkopf bekommen, Texter, Designer, Konzepter, Projektmanager und CDs sind Tag für Tag damit beschäftigt, Alleinstellungsmerkmale für alte und neue Produkte zu finden oder notfalls zu entwickeln. Werbung ist dementsprechend teuer und als die Fließbänder zum Erliegen kamen und die ersten Mechaniker zuhause bleiben mussten, wurden die Marketing-Budgets der Unternehmen zusammengestrichen (Ausnahme bildeten einige intelligente Firmenchefs, die einen progressiven, antizyklischen Ansatz wählten, doch das ist eine andere Geschichte).
Sinkende Werbeerlöse – sinkende Qualität der Beiträge
Wenn Vermarkter von Online-Medien heute mit ihren Kunden über TKPs oder Provisionen von Online-Verkäufen verhandeln, wird mit Zähnen und Klauen gekämpft. Die Anzahl der konkurrierenden Online-Magazine ist gigantisch. 1999 waren nur eine handvoll von ihnen im Netz vertreten, zehn Jahre später sind wohl mehrere dutzend Etablierte, die sich um den Kuchen scharen. Die Macht einer Zeitung in diesen Gesprächen rührt einzig und alleine (trotz aller Pläne) von ihren Page Impressions her – Klicks also, die Nutzer während ihren Portalbesuchen tätigen. Dies ist die Währung des Marktes. Als Folge wurden – beispielsweise bei Spiegel Online – die Artikel über mehrere Seiten gestreckt, bei den Boulevard-Medien herrschen hingegen die klickreiche Bildergalerien vor.
Doch während die sinkende Qualität der Beiträge in Kauf genommen und immer weniger Geld in die Redaktion investiert wurde, gab und gibt es im bestehenden System keine Hoffnung auf baldige – oder überhaupt eine Besserung. Eine Lösung wäre es, die Leser endlich zur Kasse zu bitten, doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und ein geiziges dazu. Jahrelang hatten die Verlage ihre Nutzer mit Gratisinhalten verwöhnt. Niemand zeigt sich heute dazu bereit, für Artikel zu zahlen und solange nicht alle unisono an einem Strang ziehen, werden die Verlagshäuser diese Entscheidung auch nie durchsetzen können. Wird Spiegel Online kostenpflichtig, stürmt das Publikum Focus Online die Bude und es ist fraglich, ob Burda sich dann noch an das Versprechen erinnern wird, Paid Content einzuführen.
Hier kommen nun die E-Books in Spiel. Wenn Nutzer nicht bereit sind, für Inhalte zu bezahlen, die sie in gewohnter Form am Bildschirm präsentiert bekommen, so vielleicht doch für Inhalte, die sie in der Bahn, im Café oder auf der Couch lesen können. UMTS-Reader beziehen ihre Inhalte über das Mobilfunknetz praktisch in Echtzeit vom Internet. Diesen Luxus der Flexibilität könnten sich Leser einiges kosten lassen. Sie haben noch keine Erfahrung in diesem Bereich und warum nicht 3,80 Euro im Monat abdrücken, um jederzeit auf die aktuellste Ausgabe des Stamm-Magazins zugreifen zu können? Der Gegenstand bleibt derselbe – kostenpflichtig wird lediglich die Art des Zugriffs.
Verpasste Chancen – Warten auf Phase 2
Die Idee ist vielversprechend, doch es gibt berechtigte Zweifel, ob sie sich wirklich so umsetzen lassen wird. Es gibt aber nichts zu verlieren: Für einen Test müssten die Verlage nicht tief in die Tasche greifen, sondern lediglich eine geeignete Schnittstelle zur Verfügung stellen. Dennoch hat sich zum Start des Amazon Kindle in Deutschland nur die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu diesem Schritt entschlossen.
Damit wurde die erste Chance, den Umsatz wieder in den Griff zu bekommen, vertan. In den Staaten boomt der Markt mit E-Books, Amazon hat mittlerweile das dritte Modell vom Kindle nachgeschoben, auch andere US-Hersteller zaubern Geräte aus dem Portfolio und haben darüber hinaus auch eine geeignete Vertriebsstruktur für Bücher im Rücken (Barnes & Noble mit dem Nook beispielsweise). In Deutschland wurde viel Zeit verloren. Schuld an dem verspäteten Marktstart des Kindle tragen hierzulande auch die Telcos T-Mobile und Vodafone, die durch völlig überzogene UMTS-Gebühren Amazon das Geschäftsmodell zunichte machten. Im Endpreis des Kindle sind für den Kunden sämtliche Mobilfunkgebühren für E-Book-Downloads inbegriffen: Cent-Beträge, da die elektronische Literatur nur wenige Kilobyte schwer ist.
Somit wurde die erste Phase verschlafen. Erst jetzt kommt auch in Deutschland selbst Bewegung in die Sache, einige heimische Hersteller, wie Txtr, haben eigene Reader angekündigt – doch zu spät. Am Horizont steht schon die Ablösung bereit, sowohl Microsoft als auch Apple werden im kommenden Jahr den Markt mit mobilen Computern gründlich aufrollen: Tablet-PCs, leistungsfähige Notebooks mit Touch-Display, werden schon Anfang 2010 den Ton angeben. Kunden werden sich dann entscheiden müssen, ob sie mit einem einfachen Reader (mit Graustufen-Bildschirm und knappen Speicherplatz) oder einem tragbaren, Multimedia-tauglichen Flachbildschirm mit ordentlicher Rechenpower Vorlieb nehmen wollen. Ich jedenfalls würde zu diesem Zeitpunkt jedem Interessierten empfehlen, die Nachrichtenlage weiter zu sondieren und den Kauf eines Readers noch ein wenig aufzuschieben. Nach einer Umfrage, die wir auf Basic Thinking gestartet haben (313 Teilnehmer), wollen 16 Prozent auf ein Tablet warten; 21 Prozent der Befragten gaben übrigens an, elektronischer Literatur generell keinen Mehrwert abgewinnen zu können. Doch selbst, wenn die Tablets kommen, an der Entwicklung – und vor allem am Potential – der E-Books wird dies nichts ändern. Ich kann nur hoffen, dass die Verlage bei Phase 2 ein wenig hellhöriger werden und mit mehr Experimentierfreude ans Werk gehen. Es geht um nichts weniger als den Zukunft des Journalismus.
Interview zur Technik
Zum Abschluss noch ein Interview, das ich vor einigen Tagen bei CliqFM (MP3) zum Thema Reader und E-Books gegeben habe. Das Gespräch beginnt gleich in den ersten Minuten.
1 Kommentar
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Sehe ich naturgemäß anders. Ich denke, dass die eBook-Umfrage – für die Branche ungewöhnlich deutlich – gezeigt hat, dass der Strukturwandel, oder sagen wir besser, die Akzeptanz von eBooks, überhaupt nicht in Frage steht. 37 Prozent aller Novitäten sind bereits eBooks und gleichzeitig machen 80% der Verlage weniger als 1% Umsatz damit. Trotzdem bauen die Verlage konsequent íhre Digitalstrategie aus, noch bevor geeignete Reader am Technikhimmel auftauchen. Das Thema ist also noch vor dem ersten Kindle im Markt angekommen. Ein gutes Signal.