Kinder, Kinder: Was die VZ-Netzwerke jetzt noch tun können – außer aufzugeben

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Der Mittwoch war ein schwarzer Tag für die VZ-Netzwerke – obwohl man es wohl auch schon selbst geahnt hatte. Das neue IVW-Ranking wurde veröffentlicht und wieder einmal zeigte sich ein Einbruch bei den Benutzerzahlen; nicht ins Bodenlose, aber immerhin doch schon wieder um knapp 18 Prozent – und das in nur einem Monat. Im Jahresrückblick wirkt die Entwicklung gleich noch dramatischer: Waren es im Mai 2010 noch über 466 Millionen gezählte Visits, so ist VZ nun bei 274,5 Millionen angekommen. Das ist mehr als bitter.

Die Gründe des Absturzes sind offenkundig: Nicht nur VZ verliert jeden Tag wertvolle Mitglieder, auch andere deutsche Netzwerke folgen dem Abwärtstrend, sei es Wer-kennt-wen (minus 14 Prozent) oder Gutefrage.net (minus 15 Prozent). Der Name des Profiteurs ist wohlbekannt, Facebook saugt rasant das Engagement der Deutschen in sich auf, fast jeder zweite Bundesbürger ist bereits Mitglied: die Wachstumskurve scheint unaufhaltsam.

Was macht man also, mit einer einstmals pulsierenden VZ-Community, die nun aufs Abstellgleis geschoben wird? Gute Frage. Die VZ-Netzwerke sind heute eine redundante Klamotte, ein Facebook in Rot, wobei die Klonerei ursprünglich volle Absicht war: man wusste es halt selbst nicht besser. VZ stand immer im Windschatten der Amerikaner, die vor ein, zwei Jahren aber noch wenig gefährlich schienen. Immerhin war es ein US-Produkt und niemand konnte wissen, wie oder ob überhaupt ein solcher Dienst in Europa Abnehmer findet. Als StudiVZ noch voll im Saft stand, konnte Holtzbrinck leidenschaftlich von der arroganten Netzkeule Gebrauch machen. Wer erinnert sich nicht an die Serienabmahnungen, die deutschen Kleinseitenbetreibern geschickt wurde, weil sie das verbotene Kürzel „VZ“ im Domainnamen nutzten? Vom regelrechten „VZ-Krieg“ war seinerzeit die Rede.

IVW-Statistik VZ-Netzwerke

Als Facebook an Fahrt in Deutschland gewann, wurde für VZ die Luft schnell dünn. Man verklagte sich gegenseitig und das deutsche Netzwerk führte im stillen Kämmerlein kosmetische Operationen an der Produktbezeichnung durch, um doch noch die Nummer eins bleiben zu können – zumindest vorläufig: So wurden aus SchülerVZ, StudiVZ und MeinVZ kurzerhand die VZ-Netzwerke, die als Community-Trio sich in den IVW-Charts gemeinsam an die Spitze klammerten. Als ich diese Theorie damals auf Basic Thinking öffentlich äußerte, dauerte es keine halbe Stunde, ehe sich der VZ-Pressesprecher meldete und sich mit harten Worten gegen die Anschuldigung wehrte. Wie auch immer: dieser Aus-3-mach-1-Trick funktioniert nicht mehr.

Was VZ heute fehlt, ist die Nische. Facebook ist längst nicht mehr das, was es ursprünglich sein sollte (ein Tummelplatz für US-Studenten), sondern ist nun ein globales Gebilde, das beinahe jede soziale Gruppe einschließt. Das am schnellsten wachsende Segment im Netzwerk besteht aus Damen über 50! VZ behält dennoch die breite Aufstellung bei und betreibt damit einen Kampf gegen Windmühlen. Mittelfristig können die VZ-Netzwerke nur überleben, wenn sie sich ihren Platz – einen Platz – wieder erobern und ein solches Vorgehen setzt eine Spezialisierung voraus. Zugegeben, es gibt nicht viele Communities, denen das gelingt: Die Entertainment-Plattform MySpace ist isoliert und damit hirntot (siehe Hintergrund) und Ping – Apples Versuch einer Closed-Box-Community – hat nie mit dem Leben begonnen.

Doch VZ hat ein Alleinstellungsmerkmal, das tatsächlich als Nische taugen könnte: Schüler. Als die Netzwerke im Frühjahr 2009 noch einzeln ausgewiesen wurden, machte SchülerVZ einen stabilen Eindruck. Es gibt Zahlen aus dem vergangenen Jahr, nach denen rund 5,6 Millionen Schüler (über zwölf Jahren) angemeldet sind – das sind 84 Prozent der insgesamt etwa sieben Millionen deutschsprachigen Schüler. Anstatt mit Facebook und damit mit der Welt zu konkurrieren, könnte sich VZ explizit auf die jungen Nutzer konzentrieren. Genaugenommen scheint man hinter den Kulissen die Kurskorrektur auch schon vorzunehmen. Wer aufmerksam die Postings im VZ-Blog liest, stellt schnell fest, dass viele Aktionen und Features bereits der jüngsten Generation gewidmet sind:

  • VZ-Netzwerke klären auf: Schnitzeljagd im schülerVZ am Safer Internet Day (Link)
  • VZ-Netzwerke fördern Medienkompetenz: „schülerVZ macht Schule“ (Link)
  • klicksafe und schülerVZ veröffentlichen Leitfaden für junge Onlinenutzer (Link)
  • schülerVZ und co2online suchen den Energiesparmeister 2011 (Link)

Lässt sich daraus nicht bereits eine gewisse Tendenz ableiten? SchülerVZ könnte künftig als sicherer Hafen für alle jungen Deutschen dienen, ein kontrolliertes Community-Biotop, das – anders als Facebook – auch den strengeren deutschen Datenschutzbestimmungen Folge leistet. Von Tag zu Tag wird Facebook erwachsener und mit jeder Marke, die eine neue Fanpage eröffnet, auch immanent geschäftlicher. Wenn mehr Energie in den Ausbau der Schüler-Community fließt, könnte VZ sein Überleben sichern: SchülerVZ als erste Adresse für alle ABC-Schützen. Ein breiter Kampf auf allen Fronten scheint dagegen mehr als aussichtslos. Sollte Holtzbrinck keine Korrektur der Strategie vornehmen, ist davon auszugehen, dass noch binnen dieses Jahres das Handtuch geworfen werden muss.

9 Kommentar

  1. Und wieder mal haben „die Deutschen“ den Anschluss verpasst, wegen den ganzen Inneren Streitereien welche nicht hätten sein müssen. Anstatt Gegeneinander zu kämpfen und kaputt zu machen hätten „die Deutschen Netzwerke“ eher zusammen gegen FB kämpfen sollen.

    Aber wie schon so oft in Deutschland, ist der Futterneid aus dem eigenen Stall größer als gegenüber Amerikanischer Konkurrenz. Manche scheinen immer noch zu glauben das Deutsche Entwicklungen eine Rolle spielen würde im Bereich Internet in Konkurrenz mit den USA. Das wäre vielleicht so, wenn die Deutschen als Einheit gegen die Konkurrenz aus den USA vorgehen würde und nicht wie bisher jeder für sich als Einzelkämpfer.

  2. Wenn man sich die VZs genauer ansieht, bleibt tatsächlich nur SchuelerVZ mit einer gewissen Berechtigung übrig. Nur: Ziemlich ab dem Alter, zu dem sich die Kinder offiziell erst anmelden dürfen, wandern sie auch von dort wieder ab und zu Facebook. Zumindest Gesamtschülerinnen und Gymnasiasten haben dann ab 13, 14 Jahren die ersten Auslands-Sprach-Austausche – und von denen kommen sie mit einem Facebook-Account zurück, weil sie nur so mit ihren Gastgebern in Kontakt bleiben.
    Dazu kommt: welches Mädchen will mit 14 noch im gleichen Netzwerk sein wie ihr 11-jähriger Bruder?
    Ich bin also nicht so optimistisch wie du, was diese Zielgruppe angeht, sondern sehe es eher bei den 6-10-jährigen, also den Grundschülerinnen. Und da ist der selbstgewählte Jugendschutz vor. Eine Falle, aus der VZ nicht rauskommen wird. Und das, obwohl zumindest in Großstädten gerade die 8-10-jährigen die sind, die sich noch neu anmelden (so meine umfangreiche Privatempirie).

  3. Optimistisch bin ich im Bezug auf diese ganzen Netzwerke kein bisschen, eben weil das ja nun mal Standard ist das die Deutschen regelmässig solche „Trends“ verschlafen.

  4. @Wolfgang: Das Problem ist, dass deutsche Kinder erst ab 12 Jahren im Social Web „geschäftsfähig“ sind. Das wird bei der Account-Anlegung auch gewissenhaft abgefragt.

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