ULD an Webseitenbetreiber: „Zurück ins Web-Mittelalter!“

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Ganz Deutschland taumelt im Facebook-Fieber! Ganz Deutschland? Nein, ein kleines, naturverbundenes Volk im Norden der Republik bietet der Euphorie die Stirn und kämpft im beherzten Widerstand.

Man könnte darüber lachen, wenn die Lage nicht so ernst wäre. Doch die populistische Facebook-Verbotaktion, die vom Schleswig-Holsteinischen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) initiiert wurde, gewinnt in Deutschland an Fahrt. Aus Kreisen der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung höre ich empörte Worte: „Schon dass niemand im Vorfeld informiert wurde, zeigt, dass da keine guten Absichten dahinter stecken.“ Thilo Weicherts Vorstoß wird klar als politisch motiviert aufgefasst. Im Bundesland wurde kürzlich der Startschuss zum Wahlkampf gegeben.

Doch auch Außenstehende müssen nicht sonderlich analysebegabt sein, um zu verstehen, dass an der juristischen Spontanaktion des ULD etwas mehr als faul ist. Weder die Landesregierung noch irgendein anderes Datenschutzbüro wurde vor der Veröffentlichung der Drohung davon in Kenntnis gesetzt. Es gab keine Anhörungen von Betroffenen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Tatsächlich wurde nach eigenen Angaben (die ich selbst im Interview gehört habe) nicht einmal sonderlich der Kontakt zu Facebook Deutschland gesucht. Man habe eine Mail geschrieben und einen Anruf riskiert, beides sei ohne Reaktion geblieben: „Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es sich um eine Briefkastenfirma handeln muss.“ Als ich erklärte, dass die Facebook-Dependence in Hamburg mitnichten eine Briefkastenfirma sei, man über einen ordentlichen Mitarbeiterstamm an Vertrieblern und einer eigenen PR-Abteilung verfüge, wurde geschwiegen. Im Scherz sagte ich, dass ich ja mal den Kontakt herstellen könne, ich habe da die E-Mail-Adresse der Sprecherin und fragte, ob das ULD daran interessiert sei, dass ich sie weiterleite. Zunächst wurde geschwiegen, dann hieß es: „Das wäre wunderbar.“

Löschen als Antwort auf alles

Das zeigt deutlich, dass hier nur versucht wurde, eine politische Linie durchzudrücken und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Die Pressemitteilung strotzt vor Drohungen und Verboten. Ich kann keinen auch noch so kleinen konstruktiven Ansatz darin erkennen – trotz gesetzlich verankertem Auftrag. Im Landesdatenschutzgesetz / Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Informationen heißt es unter §42, Absatz 3:

Mit der Feststellung von Mängeln und der Beanstandung sollen Vorschläge zur Beseitigung der Mängel und zur sonstigen Verbesserung des Datenschutzes verbunden werden.

Außer der pauschalen Löschung von Social Plugins und Facebook-Pages wurde kein einziger Vorschlag gemacht. Den Rat, einfach die Dinge sein zu lassen, kann ein Datenschützer aber zu jedem Problem geben. Wenn ein Unternehmen fragt, wie es denn am Besten die Adressen der Newsletter-Abonnenten datenschutzgerecht verwahren könne, könnte das ULD ebenso antworten: „Löschen Sie einfach die komplette Adressdatei.“

Noch ein Versuch: „Niemand sollte behaupten, es stünden keine Alternativen zur Verfügung; es gibt europäische und andere Social Media, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Internet-Nutzenden ernster nehmen“, heißt es in der Pressemitteilung. Genau nach einer dieser Alternativen erkundigte ich mich in meinem Interview. „MySpace“, lautete neben „Xing“ eine der Antworten. Meinem Einwand, dass MySpace genauso durch Tracking-Methoden die Nutzer ausspioniere, wurde zunächst mit Schweigen begegnet. Man habe bislang nur Facebook analysiert, hieß es dann. Was wiederum bedeutet, dass sich jeder, der nun von Facebook auf beispielsweise Google Plus umschwenkt, wieder auf juristisches Glatteis begibt. Spätestens, wenn das ULD sich das zweite Netzwerk vorknöpft, werden sie offiziell zu dem selben Schluss wie bei Facebook kommen. Als ich diesen Vorwurf brachte, lautete die Antwort plötzlich: „Wir dürfen ja auch keine Alternativen nennen, weil wir an die Neutralität gebunden sind.“

Zurück in das Internet des Mittelalters

Bleibt eine Frage: Selbst bei aller Faulheit, Inkompetenz oder Hilflosigkeit hätte das ULD noch immer eine Option gehabt: Facebook – zumindest in Schleswig-Holstein – komplett sperren zu lassen. Das wäre das einzig Konsequente gewesen. „Warum haben Sie es denn nicht getan, anstatt nun plötzlich die Nutzer in Haftung zu nehmen?“ – Schweigen.

Da der Protest in Schleswig-Holstein bislang lachhaft gering ausfiel, laufen sich nun schon die Datenschützer in anderen Bundesländern warm: Hamburg lässt das Verbot bereits prüfen, Niedersachsen hat reagiert und auch Rheinland-Pfalz kommt ins Grübeln. Derweil lässt unser Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar verlauten: „Ich finde, dass das erst mal eine gute Initiative ist, weil hier dann auch exemplarisch geprüft werden wird, inwieweit man sich mit solchen Positionen durchsetzen kann.“

Egal, was am Ende dabei herauskommt: die Botschaft macht bereits Angst. Schon löschen die ersten Behörden ihre Facebook-Pages (und zwar ohne rechtliche Prüfung und selbst dann, wenn sie nicht aus Schleswig-Holstein stammen) und verwischen alle Spuren, die einmal in das Social Web führten. Die Drohung des ULD bombt Deutschland zurück in das Internet des Mittelalters.

Unsicherheiten und Ressentiments werden geschürt

Ein großer Teil meiner täglichen Arbeit macht Lobbyarbeit aus: intern, wie extern. Ich reise durch die Republik und erzähle den Leuten von dem Internet und seinen neuen Möglichkeiten. Darüber, wie Dienste genutzt werden können, um Service zu verbessern, näher an die Kunden zu rücken und wie sich ohne viel Aufwand maßgeschneiderte Lösungen entwickeln lassen.

Wenn ich am Anfang eines Vortrags oder Workshops einmal in die Runde frage („Wir sind ja unter uns, Sie können also frei reden.“), wie man denn zu Netzwerken wie Twitter oder Facebook stehe, heben sich 80 Prozent der Arme im Raum: „Doof!“, „Unnötig!“, „Gefährlich!“. Wenn ich den Grund für diese Einschätzung wissen möchte, erfahre ich, dass „der Datenschutz“ der Grund für Aversion ist. „Wie viele von Ihnen haben sich denn die Bedingungen schon einmal durchgelesen? Und wie viele von Ihnen haben Facebook überhaupt einmal ausprobiert?“ Das ist der Moment, in dem vier bis sechs Arme in der Luft verbleiben.

Das ist nicht ungewöhnlich, schon gar nicht, wenn man den breiten Rahmen in der Bundesrepublik sondiert. Vorbehalte sind allerorten; Gleichgültigkeit ist selten. Emotionale Abwehrhaltung hingegen omnipräsent. Doch es ist kein auswegloses Ziel, das ich verfolge. Manchmal – zuweilen auch Wochen später – erhalte ich Anrufe von Teilnehmern, die sich überwunden hätten. Die sich über das neue, direkte Feedback der Kunden freuen und plötzlich mit Ideen für Kampagnen und Dienste aufwarten, auf die ich selbst niemals gekommen wäre.

Das ULD hat jedoch mit einem Schlag die Experimentier- und Innovationsfreude in diesem Gebiet zunichte gemacht.

Nutzer abmahnen, Politik ignorieren

Zwei Parteien, die eigentlich hätten reagieren müssen, wurden im Rahmen der Drohungen nicht einmal angesprochen: Facebook und die deutsche Politik. Es steht außer Frage, dass Facebook – ebenso wie Google, Microsoft oder irgendein anderes Unternehmen, das im Netz (auch) auf Werbeeinnahmen setzt – grobschlächtig in der Grauzone der Gesetze wildert. Doch das Problem betrifft nicht nur soziale Netzwerke: Illegal verhalten sich nach derzeitiger Gesetzlage eigentlich alle Website-Betreiber, sobald sie eine Seite in das Netz stellen: Durch Analyse-Software, das Schalten von Werbung, beim Einbinden von externen Bildern, Videos, Badges und Gravataren machen sie sich bereits strafbar, da hier IP-Adressen an Dritte weitergegeben werden. Tatsächlich steht schon derjenige mit einem Bein im Knast, der seine Seite auf einem Apache-Server laufen lässt, da dieser standardmäßig die vollen IP-Adressen der Besucher mitprotokolliert.

Wäre dem ULD daran gelegen gewesen, hier tatsächlich eine neue Marschrichtung einzuschlagen und endlich für Klarheit zu sorgen, hätte es eine böse Botschaft Richtung Berlin formuliert. Oder gleich dem Webmaster von www.schleswig-holstein.de eine dicke Rechnung über 50.000 Euro schicken sollen. Hier finden sich unter anderem eingebettete YouTube-Videos, die bei Seitenaufruf ungefragt die Nutzerdaten an Googles US-Server weiterleiten.

17 Kommentar

  1. Ich bin gerade etwas verwirrt: Warum hätte das ULD dem „Webmaster von http://www.bundeskanzlerin.de eine dicke Rechnung über 50.000 Euro schicken sollen“? Weder ist das ULD für diese Seite zuständig, noch finde ich auf der Seite den Like-Button.

    Und den Satz verstehe ich auch nicht:

    „Das ULD hat jedoch mit einem Schlag die Experimentier- und Innovationsfreude in diesem Gebiet zunichte gemacht.“

    Warum?

  2. Hi Markus – danke für die Fragen.

    Zu Nr. 1: Du warst zu schnell. Die Domain habe ich 5 Minuten nach der Veröffentlichung angepasst. Wie ich am Ende schrieb: Vieles könnte zu einer Strafe führen. Dazu zählt z.B. auch das Embedden von YouTube-Videos, wie sie hier zu finden sind: http://www.schleswig-holstein.de/Portal/DE/Startseite/ArchivSH/jugendForscht/110519_JugendForscht.html
    Die Daten der Nutzer werden an dieser Stelle automatisch an Google und damit an US-Server weitergeleitet. Boom.

    Zu Nr. 2: Die ULD-Warnung hat zu großem Raunen bei vielen geführt: „Seht ihr? Ich hab’s doch schon immer gesagt, dass Facebook und Co. per se böse sind!“ Hier wurden nur die negativen Seiten kommuniziert und Leute wie ich haben nun wieder viel Überzeugungsarbeit zu leisten, dass es sich durchaus lohnt, ins Social Web einzusteigen. Die Pressemeldung hat vielen einfach nur Angst gemacht, so dass sie nun pauschal die Finger davon lassen.

  3. Den Wink mit dem Zaunpfahl der „bis zu 50.000“ Euro Strafe war etwas dämlich, wie es hier bereits kommentiert wurde: http://netzpolitik.org/2011/kommentar-trotz-schonheitsfehler-richtig-so-uld/

    Vermutlich wird es auf ein paar Musterverfahren gegen große Anbieter hinauslaufen, um vor Gericht mal klären zu lassen, ob das ULD zuständig ist und/oder die Gesetze einfach nicht mehr zeitgemäß sind.

    Einen Untergang des Abendlandes würde ich damit nicht ausrufen. Da kommen sicher noch viel schlimmere Dinge in der Zukunft. Wenn ein solcher Fall der Diskussion dient, dass wir ein neues Datenschutzrecht brauchen, dann finde es zumindest nicht unnütz. Im Moment gibt es ja eher Rechtsunsicherheit. Die überwiegende Mehrheit der Juristen ist der Meinung, die Like-Buttons sind nicht rechtsmäßig, aber niemand weiß, ob jetzt jemand dafür zuständig ist.

    Und trotzdem möchte ich auch zukünftig Youtube-Videos in meinem Blog einbinden, ohne Strafe zahlen zu müssen.

  4. Ja, das ULD macht nur seinen Job und ist nun einmal von politischen Vorgaben abhängig. Dennoch halte ich es für völlig fehlgeleitet, auf die Nutzer loszugehen und weder die Politik noch Facebook zu adressieren.

    Diese jetzige Vorgehensweise macht nur Angst und zerstört einiges von dem Vertrauen, das mittlerweile aufgebaut wurde. Dass Weichert ankündigte, er werde „selektiv“ gegen Website-Betreiber vorgehen, macht die Sache noch unheimlicher.

  5. Mal abgesehen von der Diskussion (die mich täglich in den Stuhl beissen lässt und weiter an Fahrt in die „falsche“ Richtung gewinnt) .. feine Behörden-Screens die mehr als tausend Worte sagen. 😉

  6. Mir ist nicht ganz klar, was die Aktion des ULD mit dem Wahlkampf in S-H zu tun hat.

  7. soll sich doch die ULD mit Facebook beschäftigen, die Firma sitzt in Irland (zumindestens gehen meine Facebook Zahlungen dahin). Drei österreichischen Studenten ist die Kontaktaufnahme gelungen.

    Und wenn wir schon verbieten, weshalb nicht Google, die schicken die Daten (z.B. Analytics) auch in die USA und machen Werbung damit (Adwords, Adsense).

    Gedruckte Internetverzeichnisse wie in den 90ern wären doch ein Lösung – keine Cookies, keine IP-Adressen.

    Mal sehen was Anonymous dazu sagt.

    Grüsse Walter

  8. Hallo Andre,
    guter Beitrag. Hab ihn auf meinem Blog verlinkt.
    lG
    Alex

    p.s. mich wundert, warum die Reaktionen aus der Social Media Community noch so verhalten sind.

  9. Guten Tag.
    Also wenn ich das hier mal überfliege, scheinen hier einige zu sein, die sich mächtig mit der Materie Internet auskennen. Ist vielleicht jemandem der hier Anwesenden aufgefallen, dass das Internet insgesamt an Attraktivität verloren hat, seit es diesen Social Media Quatsch gibt. Wer ist eigentlich als erster auf die Idee gekommen, dass es Sinn macht, das gesamte einst freien Web in einen von Staatsorganen und sonst wem voll kontrollierbaren Bereich einer einzigen Firma mit Namen Facebook zu verlagern? Wer glaubt denn allen Ernstes, dass er einen Apfel oder eine Birne mehr verkauft, weil er mit seinem Scheiß jetzt bei Facebook ist. Jeder der eine eigene Webseite betreibt, kann es an seinen Zugriffszahlen ablesen, normale Webseiten werden weniger oft besucht, weil der Schwarm sich nun verlagert hat zu Facebook. Also bringt dieser ganze Hype unter dem Strich nichts – außer völlige Transparenz des Surfverhaltens, zur freien Auswertung durch Dritte. Übrigens zeichnet ein Apache Server sehr wohl sämtliche Zugriffsdaten auf – aber erstens nur bis zur maximalen Größe der Logdateien (überschreibt also die alten Daten von vorne an wieder) und 2. gibt er sie keinesfalls jemand anders in die Hände, als dem root persönlich. Und was die Auswertung durch alle mir bekannten Statistikprogramme angeht, hören die alle da auf, wo Facebook mit seinen Aufzeichnungen anfängt. Früher hat sich jeder über Sicherheitslücken und Privacy Mängel in Windows Betriebssystemen beschwert, die so winzig waren, dass nur Freaks sie hätten ausnutzen können und heute nimmt das jeder gelassen hin, was da mit Facebook abgeht. Wo ist das Bewusstsein, das technische Verständnis und die Kritikfähigkeit der Benutzer hin verschwunden? Ich schätze 90 % aller die sich heute im Netz bewegen, wissen nicht mal annähernd, wie das Internet, webseiten oder ihr Computer funktionieren. Diese Menschen müssen zur Not auch von Staats wegen geschützt werden, vor Missbrauch ihrer Daten durch irgendjemand. Übrigens, ich bin Musiker, seit 15 Jahren schaue ich mir die Entwicklung im Netz an und verzichte gerne auch weiterhin auf Facebook. Facebook ist für mich jenes Horrormärchen, das verspricht, die goldene Kuh, die schon im freien WWW keine Milch mehr abgab, wäre jetzt bei Facebook im vollen Umfang zu melken. Vielmehr ist es für mich einfach ein amerikanisches Rüstungsprojekt, welches seit 2004 und auch in Zukunft keine Gewinne nachweisen muss, um laut Schätzung genau so viel Wert zu sein, wie der Bayer Chemie Konzern. Meine Herren, jeder der mal an einem Chemiewerk von Bayer vorbeigefahren ist, und einen Sinn für Physik hat, kann sich doch leicht ausmalen, dass es sich bei dieser Schätzung, bei allem Wohlwollen für die Bedeutung des Internets, nur um einen Sack virtueller, heißer Luft handeln kann. Und wenn das die Zukunft des Netz sein soll – kann ich persönlich in Zukunft dankend auf das ganze Internet verzichten. Mir reicht es nämlich schon in jedem Linienbus von 5 Kameras gefilmt zu werden. Ich bin also dafür, besonders die Jugend vor absoluter Verblödung in Sozialen Netzwerken zu schützen, und wenn es dieses Bewusstsein beim User nicht gibt, zur Not auch von Gesetzes wegen. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

    Netten Gruß
    Marco Cancian,
    Producer & Sound Engineer
    Mönchengladbach

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