Tatort Facebook: Über den Fanpage-Giftschrank und die Berliner Waschlappen (inkl. 4 Tipps)

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So schnell kann es gehen: Vom beruhigenden „Honig-Urteil“ zur bundesweiten Facebook-Schelte brauchte Bundesagrar- und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) nur wenige Stunden – ein wahrer Tausendsassa der politischen Landschaft! Aigner ruft sowohl die Bundesregierung als auch Abgeordnete dazu auf, ihre Präsenzen auf Facebook zu löschen und alle Spuren zu verwischen: Man solle „mit gutem Beispiel vorangehen“.

Um Aigner war es nach ihrem Brief an Mark Zuckerberg („Sehr geehrter Herr Zuckerberg“) in den vergangenen Monaten eher ruhig geworden. Ja, sie hatte ihr Facebook-Profil medienwirksam getilgt – aber bitte: danach war die Sache erst einmal gegessen. Der Grund, weshalb die Ministerin nun noch einmal nachlädt, ist die Tatsache, dass ihr Parteikollege und unser Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vergangene Woche zur gemeinsamen Kuschelstunde mit Facebooks Chef-Lobbyisten Richard Allen geladen hatte. Es gab Küsschen links, Küsschen rechts und einen warmen Händedruck, der letztendlich Aigners Wut heraufbeschworen hatte. Datenschutz, Verbraucherschutz, Cyber-Crime und politischer Netzaktivismus – das Internet hat in der deutschen Politik bis heute noch keinen festen Ressortplatz gefunden, weshalb das Geschacher um die populären Themen jedes Mal von vorne losgeht. „Jetzt bin ich dran!“, dachte sich da Aigner und drückte auf den „Senden“-Button, der dafür sorgte, dass alle Ministerien ihre dringende Warnung vor Facebook bekamen.

Ich weiß nicht, wie es den geneigten Lesern geht, aber mit dieser Aktion ist mir nun völlig die netzpolitische Orientierung in puncto Facebook abhanden gekommen: Einige fordern Verbote, die anderen wollen lieber Sanktionen gegen Fanpage-Betreiber, wieder andere setzen auf Selbstkontrolle und den übrigen Teilnehmern der Debatte ist es völlig egal, was da passiert. Von Bayern bis Schleswig-Holstein spannt sich ein rhetorisches Ping-Pong-Spiel aus dem kein Deutscher mehr schlau wird – das jedoch ausländischen Zuschauern ein hohes Unterhaltungsniveau bietet. Abstimmungen gibt es nicht zwischen Behörden auf Länderebene, nicht innerhalb der Koalition und offenbar nun nicht einmal mehr zwischen Parteikollegen.

Ich möchte nun zum xten Mal kurz und knapp auf die Bedeutung von Social Media eingehen, ehe ich der Politik vier simple Tipps gebe, wie man nun die Karre aus dem Dreck ziehen kann: Social Media ist kein Trend, sondern eine laufende Entwicklung, die es nicht erst gibt, seitdem Facebook in deutscher Sprache verfügbar ist (2008). Es ist kein Spielzeug, das man ein- und ausschalten kann, sondern ein bereits seit Jahren fest etabliertes Instrument der Demokratie. Wissenschaft (Kollaboration und Diskussion), Wirtschaft (neue Vertriebswege in der globalen Gesellschaft) und Politik (Mitbestimmung und Bürgernähe) kommen ohne Netzwerke wie Facebook nicht mehr aus. Daher:

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  1. Anstatt populistische Maßnahmen zu ergreifen und die Stammtische Deutschlands mit polemischen Pressemitteilungen für kurzfristigen Stimmenfang zu versorgen, setzt euch auf eure Hintern, greift zum Telefon und fangt endlich an, kooperativ vorzugehen. Jeder, der meint, Facebook würde sich daran stören, wenn ein, zwei Bundesländer aufschreien oder wenn eine cholerische Ministerin kurz vor Mittag einem Journalisten „Du! Du! Du!“ in den Artikel diktiert, hat nicht die Welt verstanden, in der wir leben. Das ULD hat nicht einmal die Nachbarn aus dem Landtag über das Vorgehen informiert, Aigner spricht mit Friedrich per Pressemitteilung – was für eine Lachnummer! Die Kooperation muss über Ländergrenzen und die deutsche Staatsgrenze hinweggehen. Setzt den Scheiß in Brüssel auf die Tagesordnung, wenn es euch so wichtig ist: Wir bezahlen dafür schließlich Steuergelder.
  2. Das Problem des Datenschutzes ist nicht Facebook, sondern das Gesetz. Ich bin das Datenschutzgesetz und das Telemediengesetz jetzt mehrmals durchgegangen: Da steht nichts von sozialen Netzwerken, von Fanpages und „Likes“. Überhaupt: Was sind „Telemedien“? Etwa die „neuartigen Rundfunkempfangsgeräte“ der GEZ? Die vorliegende Gesetzeslage ist völlig veraltet. Anstatt sie jedoch den bestehenden Realitäten anzupassen, geschehen Interpretationen auf Grundlage von schwammigen Paragrafen aus dem Dämmer grauer Vorzeit. Die Folgen sind Prozess-Lotterien verbunden mit Investitionsunsicherheiten und einem dicken Hals bei allen Nutzern. Bringt endlich ein europäisches Datenschutzgesetz, das auch ohne erfahrene Nostradamus-Exegeten auskommt.
  3. Wenn es eine gescheite Straßenverkehrsordnung gibt, braucht man auch noch Verkehrsteilnehmer, die sich damit auskennen. Anstatt die Medien vollzujammern und Eltern und Kindern mit „Feuer, Feuer, Ungeheuer!“ eine Heidenangst vor den neuen Medien einzujagen, sorgt lieber dafür, dass es mündige Netizens gibt – und das fängt in der Schule an: Medienkompetenz, ist das Stichwort. Kinder müssen nicht nur lernen, wie man Dinge bedient, sondern auch, wie es um die Zusammenhänge dahinter bestellt ist. Die Tatsache, dass da draußen eine Menge pubertierender Teenager ihre Suffabende auf Facebook dokumentieren, ist schlicht und ergreifend auf einen Mangel an Bildung zurückzuführen. Ein Mangel an spezieller Bildung. Der Medienkonsum steigt pro Kopf und Tag, aber unsere Lehrpläne machen immer noch den Eindruck, als seien sie in der Vorwendenzeit zusammengeschustert worden (im Grundschullehrplan von Hessen kommt zum Beispiel nicht einmal das Wort „Internet“ vor).
  4. Jetzt wo ein gescheites Gesetz steht, das sowohl Anbieter als auch die Nutzer verstehen, geht es darum, die Einhaltung zu kontrollieren. Das ULD hat sich aus „Ressourcengründen“ bei der Analyse erst einmal nur Facebook vorgenommen: „Die anderen Netzwerke folgen ja noch.“ Bis es soweit ist, scheuchen sie uns von Plattform zu Plattform. Wer A sagt, muss auch B sagen können, was soviel bedeutet, dass die Betreiber zumindest das Gefühl haben müssen, dass die Konformität ihres Angebots regelmäßig von staatlicher Stelle überprüft wird. In Hamburg läuft ein Dutzend Kontrolleure an der Elbe herum, um illegale Angler ausfindig zu machen. Dass Facebook seinerzeit einmal den gesamten Content der Nutzer für sich selbst beanspruchen wollte, hat keinen Schutzmann gejuckt.

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Wer mit den Big Playern spielen will, muss auch „big“ denken und alle Konsequenzen mittragen. Davon ist Deutschland noch Jahre entfernt. Dass bislang jeder einzelne Vorstoß der Berliner Jammerlappen-Runde reines, vordergründiges und auf den eigenen Vorteil bedachtes Ministergetöse ist, beweist auch eine Tatsache ziemlich eindeutig. Wenn Facebook in Deutschland wirklich illegal operieren würde, gäbe es ja einen ziemlich klaren Ausweg: sperrt facebook.com. Aber zu soviel Engagement reicht die Profilneurose dann wohl doch nicht.

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