SOPA und die Selbstzensur: Kein Wunder, dass die US-Medien schweigen

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Die US-Foren sind voll davon, ebenso die Netzwerke – der Ton wird von Tag zu Tag rauer. Aber nur im Internet. Ende Oktober 2011 wurde der Gesetzentwurf zum Stop Online Piracy Act (SOPA) eingereicht, derzeit debattiert darüber noch der Justizausschuss im Repräsentantenhaus (PDF des Antrags). Die bislang besprochenen Maßnahmen sollen Rechteinhaber dazu befähigen, Websites, auf denen urheberrechtlich geschützten Material ohne Erlaubnis gefunden werden, direkt lahmzulegen. Eine richterliche Erlaubnis soll dazu nicht erforderlich sein. In der Praxis kann das so aussehen: Wird ein unrechtmäßig kopiertes Video bei YouTube entdeckt, können Service-Provider (auch außerhalb der USA) angehalten werden, den Zugang zur Plattform zu sperren. Der exegetische Spielraum der Gesetzvorlage ist monströs – heißt: jeder kann fast nach Belieben frei interpretieren und assoziieren. Die juristischen Folgen für Verweigerer sind hingegen ziemlich eindeutig. Es geht um schwere Straftatbestände.

Obwohl SOPA in den Staaten noch nicht Gesetz ist, üben die Amerikaner bereits seit Wochen Druck auf Europa aus – die westlichen Industrieländer sollen alle an einem Strang ziehen.

Anhänger und Kritiker des SOPA teilen sich in zwei ungleiche Lager auf: Auf der Seite der Befürworter befindet sich das Who-is-Who der amerikanischen Unterhaltungsindustrie (siehe PDF unten). Auf der anderen Seite stehen die Infrastrukturanbieter wie Google, Facebook, Twitter und andere. Das Problem der Letztgenannten besteht darin, dass sie nur Schalter umlegen können und keine Stimme haben – die Gewalt der Meinungsmache aber liegt bei den Studios, Verleihern, Labels und den Medienhäusern. Und genau die halten in den USA seit Beginn der Diskussion offenbar schön die Klappe.

List of SOPA Supporters

Warum diese Funkstille?

MediaMatters hat dazu eine Studie durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht: in praktisch keiner Abendsendung der großen TV-Sender wurde seit Anfang Oktober über SOPA berichtet.

As the Stop Online Piracy Act (SOPA) makes its way through Congress, most major television news outlets — MSNBC, Fox News, ABC, CBS, and NBC — have ignored the bill during their evening broadcasts. One network, CNN, devoted a single evening segment to it.

„The Register“ hat daraufhin bei den Sendern noch einmal nachgebohrt – bekam aber keine Antworten. Warum diese Funkstille? Nun, sollte die Gesetzesvorlage transparent in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, würde Anbetracht der tatsächlichen Ausmaße des Vorstoßes schnell die Stimmung zugunsten der Kritiker kippen. Genau diesen Fehler versucht das TV-Business derzeit zu verhindern. Stellt sich die Frage, wie deutsche Medien mit dem Thema umgehen, sobald es bei uns aktuell wird. Zum Thema „Stop Online Piracy Act“ und „SOPA“ habe ich in den Mediatheken von ARD, ZDF, 3sat, NDR, SWR, WDR und ARTE jedenfalls nichts gefunden. Hier glaube ich allerdings noch nicht an politisches Kalkül, sondern vielmehr an reguläres Desinteresse.

Jetzt könnte man meinen: „Sag ich doch! Blogs sind wichtig! Und Facebook! Nur hier gibt es freie Informationen – vergesst endlich die etablierten Medien!“ Nur so leicht ist das nicht. Die politische Stimmung eines Landes wird nur in einigen Ausnahmefällen vom Internet beeinflusst. Das Gros der Meinungen entsteht in der Kantine, im Café, beim Lesen der Zeitung oder abends vor dem Fernseher. Das Netz kann noch so laut schreien. Betrifft es mich? Interessiert es mich? Das sind die Fragen der Manchmal-Onliner und konsequenten Offliner, die den größten Teil der Wähler stellen. Die Themen müssen in die Öffentlichkeit und dürfen nicht im Netzsilo gefangen bleiben. Als Tagesschau.de kürzlich eine Umfrage zum Thema „Soll Wulff zurücktreten?“ ins Netz stellte, sagten 87,5 Prozent der Teilnehmer entschieden „Ja!“. Infratest machte zeitgleich eine repräsentative Deutschlandumfrage. Ergebnis: Nur 41 Prozent der Deutschen plädierten für Rücktritt. Es gibt keine Internetpolitik – es gibt nur Politik. Und die wird dort gemacht, wo auch über das Renteneintrittsalter, AKW-Ausstieg und die Integration debattiert wird.

Apropos Schalter umlegen – es gibt dennoch eine gute Nachricht: Unternehmen und Einrichtungen wie eBay, Google, Twitter und Wikipedia wollen nach Berichten schon in wenigen Wochen den Ernstfall simulieren. Dann sollen zeitweilig sämtliche Seiten abgeschaltet und stattdessen Banner gezeigt werden, die vor den Gefahren der Zensur warnen. Das könnte – anders als jeder Leitartikel oder News-Bericht – die Meinungen vieler Menschen mit einem Schlag empfindlich beeinflussen.

20 Kommentar

  1. Lieber André,

    eines vorweggeschickt: Ich stimme Deinem Text zu. SOPA ist ein gewaltiges Problem und wir sind gut darin beraten, gegen diesen gefährlichen Unfug und seine Ausweitung auf die EU zu opponieren. Ich möchte jedoch auf folgendes aus Deinem Posting hinweisen – achte auf das fett markierte Wort:

    In der Praxis kann das so aussehen: Wird ein geklautes Video bei YouTube entdeckt, können Service-Provider (auch außerhalb der USA) angehalten werden, den Zugang zur Plattform zu sperren.

    Daten können nicht gestohlen werden. Ich rege an, die Formulierung „unrechtmäßig kopiert“ zu verwenden. Es lenkt die Diskussion in falsche Bahnen, wenn man versucht, die unrechtmäßige Aneignung von Immaterialgütern mit dem, was man in der nichtdigitalen Sphäre als „Diebstahl“ bezeichnet, gleichzusetzen.

    Möglicherweise reibst Du Dir über meinen Einlass jetzt einige verwundert die Augen, aber bedenke: Wenn von einem Server Daten kopiert werden, ist dem Besitzer sein Immaterialgut als solches nicht entwendet worden.

    Denke nur an diese unsägliche „Raubkopierer sind Verbrecher“-Kampagne. Hier wurde gezielt mit „Sie würden auch kein Auto stehlen“ Propaganda gemacht. Was diese Denkweise begünstigt hat, sehen wir zurzeit unter anderem an der Urheberrechtsdebatte. Der Kampfbegriff „Raubkopie“ ist eine dieser Blüten. Nähere Erläuterung hierzu finden Sie im Neusprechblog.

    Um es noch einmal anders zu verdeutlichen: Eine Straftat gemäß § 202a StGB (Ausspähen von Daten) in Verbindung mit § 17 UrhG (Verbreitungsrecht) ist etwas fundamental (!) anderes ist, als eine Straftat gemäß § 242 StGB (Diebstahl).

    Wir müssen da auf unsere Wortwahl achten. Alleine schon um die öffentliche Debatte nicht in Bahnen abdriften zu lassen, die jede sachliche Diskussion von vorne herein stören.

    Gruß
    Peter

  2. Ich glaube diese Menschen werden schnell merken, dass man das Internet nicht mit irgendwelchen realitätsfernen Gesetzen kontrollieren kann.

    Der letzte Absatz hat mich zum Grinsen gebracht. 😀 Da freu ich mich schon drauf.

    Guter Artikel

  3. Sehr guter Artikel! Ich verfolge das Thema schon seit längerem in US Blogs und freue mich dass es auch hier aufgegriffen wird.

    Gut finde ich vor allem den Teil der wieder ins Gedächtnis holt dass wir internetaffinen Wähler wirklich keine Mehrheit im täglichen Politikgeschehen sind.

    Gruß, Torsten

  4. Wenn Google und Co mal für ne Stunde ihre Seite abschalten, wird das Thema zumindest in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Daran kommt dann wirklich kein Berichterstatter vorbei.

  5. Wegen Jugendmedienstaatsschutzvertrag u.ä. umfangreicher Regulierungen habe ich damals meine Webseiten abgeschaltet. Es geht immer nur darum, unliebsames abschalten zu können und kleine Leute zum einhalten von tausenden Verordnungen zu bringen. In Arabien hat jeder eine Satelliten-Schüssel und oft ist es illegal. Wer aufmuckt kann also beliebig abgeholt werden. In Diktaturen macht man also Regeln gegen die jeder verstößt weil die alltäglichen Infrastrukturen de fakto darauf (Satelliten-TV, Bestechungsgelder, Heizöl für Diesel-Autos,…) basieren und kann dann jeden willkürlich verurteilen lassen.

    Google vermasselt die meisten seiner Neben-Projekte. Ob die also wirksam gegen SOPA vorgegangen bekommen, ist fraglich. Die könnten ja die Kontakt-Daten der Abgeordneten als Werbung einblenden wo überall „fragwürdige“ Suchergebnisse zu finden sind:
    … debian-knoppix.torrent… (Google Remarks: SOPA would delete this TORRENT-link. Contact your republican Senator: 0800…. Contact your Congress Man: 0800… ). Leider ist google und sonst niemand schlau genug, die Kontakt-Daten und Sprechstunden der jeweiligen mit dafür sehr gut bezahlten Abgeordneten zu veröffentlichen. Auch Postbriefe mit verbindlichen Fragen werden besser beantwortet als Emails. Die Piraten zeigen mal wieder das sie nur die neuen Grünen sind. Die Piraten hingegen wollen erst gewählt werden anstatt heute und gestern schon ungewählt legal konstruktiv dem Volk direkt zu helfen und dann aus Dank gewählt zu werden weil die was gebacken kriegen statt nur leere Worthülsen von sich zu geben. Piraten verwalten aber anscheinend lieber sich selber als täglich aktiv dem Volk zu helfen. Da kann ich auch gleich FDP oder Stromberg wählen und spare mir die Pensionen für Piraten.

    @Piksa: Laut ACTA usw. sind es Straftatbestände und nicht wie Ex-Frau vs. Ex-Mann oder Ex-Mitarbeiter gegen Ex-Arbeitgeber Zivilrecht. D.h. die Polizei kommt und nimmt alles mit. Der Zoll ist die Polizei des Finanzministers und sucht auf Baustellen nach illegalen nicht sozialversicherten Arbeitern. Wegen MP3-Patenten (Sisvel, Italien usw. glaube ich) werden vom Zoll auf der IFA dann asiatische Stände um illegale MP3-Player leer-geräumt anstatt das auf den Playern draufsteht wie viel die legale Nachlizensierung kosten würde wenn Aldi oder sonstwer 100.000 Player importiert. Das Du Immaterialrecht (Beleidigung, Copyright,…) nicht mit Materialrecht in einen Topf werden willst mag ok sein. Aber abgeholt und weggesperrt und alles mitgenommen wird trotzdem. Siehe taz vor ein paar Wochen und die kleinen DVD-Verkäufer und das Philips-Patent für Presswerke. Die große Firma hat Juristen. Der kleine Blogger oder Programmierer ist existenzvernichtet und wird dann VON DIR als Armutsrentner durchgefüttert.
    Das nach einem Close-Down eines Bloggers oder angeblichen Copyright-„Verbrechers“ die Paypal(US-Firma in Luxemburg, Ebay-Tochter)-Konten vom Blogger oder sonstwem und Skype(US-Firma in Luxemburg, Microsoft-Tochter)-Konten gesperrt und alle seine Kunden bzw. Kontakte vorgeladen oder als Copyright-Content-Consumer oder warum auch immer auch verfolgt werden, sollte Dir auch klar sein.

    Wegen der Formulierung: Ich würde „unlizensiert angeboten“ o.ä. nutzen. Weil rot-grün und Clinton schon 1999 Lizenzserver hätten aufbauen müssen. AOL hätte geholfen. Dann wären alle neuen Kinofilme und TV-Serien seit 1999 längst per Internet lizensierbar und Netflix, Sky-UK, Hulu, … wären auch von hier problemlos kaufbar. RTL kriegt für die Synchronisierung dann einen Nachschlag wenn ich zuerst die US-Serie kaufe und dann die deutsche Tonspur nachkaufe.
    Das Lizenz-Server problemlos existieren und funktionieren zeigen täglich die Radiosender und ihre ISRC(?)-Nummern für alle Musikstücke.

  6. Mich ärgert die Kurzsichtigkeit der Medien wirklich sehr, schliesslich würde SOPA gerade die Medien(Schaffenden) enorm beinflussen und SOPA würde das Leben vieler Online-Redakteure sicher deutlich erschweren. Meiner Meinung nach ist SOPA undemokratisch und ein inakzeptabel grosser Eingriff in die persönliche und die Meinungsfreiheit. Schade ist auch dass viele US-Firmen die Anfangs noch gegen SOPA waren aus Angst um ihr Image feige einen Rückzieher gemacht haben. Nun liegt es an uns das Thema frischzuhalten und in die Öffentlichkeit zu tragen, hoffen wir dass sich die Medien des Themas doch noch annehmen bevor es zu spät ist und das Internet as we know it nur noch eine vage Erinnerung ist!

  7. Danke André für Deinen Artikel!
    Im Ohr hatte ich den Begriff „SOPA“ schon einmal, konnte ihn jedoch nicht gleich wieder zuordnen.

    Das es wieder zu einem solchen „Angriff“ der großen Medienimperien kommen würde war klar und auch das sie ihre ganze Macht einsetzen würden um ihn durchzusetzen.

    Worüber ich jedoch am meisten erstaunt bin, dass es bisher so ruhig geblieben ist in der Netzgemeinde. Wir sind eigentlich diejenigen welche so phantasievoll neue Wege finden um unsere Meinung auszudrücken, Regime zu stürzen oder Aufklärung zu betreiben.

    Ich hoffe inständig, dass wir es auch diesmal wieder schaffen uns gemeinsam aufzurichten gegen den erneuten (An)Eingriff auf das freie Netz. Sicher, die Urheberrechtsfragen und deren Durchsetzung sind noch immer nicht geklärt, aber ein Freifahrtsschein für das Blockieren oder Löschen jeglichen Inhaltes ohne überparteiliche Absegnung ist ein Schreckensszenario sondergleichen.

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