Ansgar Heveling, der analoge Troll und Anti-Web-Demagoge, den man nur im Internet kennt, sitzt auf seiner Polemik. Und dort bleibt er sitzen. Wo soll er auch hin? Heveling prophezeit den High Noon inmitten einer zerrissenen Gesellschaft: Auf der einen Seite, der konservative Biedermann, der mit Pickelhaube auf dem Kopf im rustikalen Wohnzimmer bei Pils und Maggi-Suppe sitzt und Fernsehen schaut. Auf der anderen Seite der pubertierende Stimmbruch-Nerd, der mit Pickeln im Gesicht auf dem Boden seiner Single-Wohnung lümmelt, Chips und Cola in sich hineinschüttet und Katzenbilder auf Facebook teilt. Die letztgenannte Fraktion bezeichnet er auch als eine „verlorene Generation“, die diesen Zustand selbst zu verantworten hat. Den Kriegszustand zwischen beiden Parteien benennt er in US-Word-Dropping-Methode wiederum als „Clash of Civilizations“ – ohne Probleme ist diese Vokabel der Politikwissenschaft auch als „Kampf der Zivilisationen“ zu übersetzen.
Ich will nicht über Heveling sprechen, dem heimlichen Dschungelcamp-König der CDU, oder über seinen Ton und seine skurrilen Absichten. Sondern über sein Anliegen: den „Clash of Civilizations“ – das klingt wüst, das klingt roh, das klingt unausweichlich. Zum Glück sind die Fronten ja geklärt: Die Spaltung geht mitten durch die Gesellschaft und eines Tages werden sich die zwei Gruppen mit Fackeln und Mistgabeln in den Straßen bekriegen. So zumindest lautet die Voraussagung des Ansgar-Orakels.
Genau das ist aber schon verkehrt. Dies wird kein Zweiparteienkrieg, sondern – mindestens – ein Vierparteienkrieg. Und jede Fraktion spielt dabei ihre ganz besondere Rolle und verlagert dementsprechend die Position der Scharmützel auf dem Schlachtfeld digitaler Medien.
Demographie eines Krieges
Der Nutzer
Hier ist er: der Netzfreak, der Facebooker. Er kennt den Biedermann nur von Wikipedia. Nutzer folgen keinen bösen Absichten, sondern werden von einem Ziel geleitet: „Wer bietet mir möglichst viel, für möglichst wenig?“ Der Mehrwertgedanke ist allgegenwärtig, die gesamte Entwicklung des Social Webs folgt evolutionären Bedingungen. Ein Dienst ist kostpflichtig? Raus. Ein Dienst ist redundant? Raus. Ein Dienst bietet miese Usability? Raus. Ein an sich guter Dienst bietet miese Bezahlmöglichkeiten? Raus. Die Selektion geschieht kontinuierlich, sowohl horizontal als auch vertikal. Nutzer gehen so vor, weil sie es können. Und das kann man moralisch bewerten – muss man aber nicht, weil es irrelevant ist. Den Rahmen der Aktionen gibt das Angebot vor: die Dienstanbieter, die Inhalteanbieter und die Politik. Ihre Macht ist ausschlaggebend beim Entdecken der Grenzen.
Der Biedermann
Der Biedermann ist von Natur aus lokal verankert, schaut nicht gerne über dem Tellerrand, findet Privatfernsehen doof, schaltet aber ein, weil die ersten drei Programme auch Käse sind. Sein Credo: „Ich bin in Rente, lasst mich alle in Ruhe.“ Der Biedermann hat durchaus Kenntnis vom Nutzer, der in seinen Augen für Amokläufe, Diebstähle, Kinderpornos und Vergewaltigungen unter Jugendlichen maßgeblich verantwortlich ist. Der Biedermann ist CDU-Anhänger, stellt eine einflussreiche Wählerschicht dar und hat ein Bild von Wilhelm II. in der Küche hängen.
Die Unternehmen
Hier muss zwischen Dienstanbietern und Inhalteanbietern unterschieden werden. Beide folgen aber der Logik: „Wer gibt mir möglichst viel, für möglichst gar nichts?“ Dienstanbieter stellen die Infrastruktur für Inhalte. Inhalteanbieter produzieren Content und haben die freie Wahl, ob sie die Angebote der Erstgenannten in Anspruch nehmen oder nicht. Beide Unternehmensarten sind dennoch sehr mächtig und profitieren von denselben Nutzern. Die einen können den Schalter umlegen und den globalen Datentransfer stoppen. Die anderen können die Infrastrukturdienstleister austrocknen, indem Content komplett verwehrt wird. Dies kann jedoch nur geschehen, solange Gesetze diese Möglichkeit stützen (siehe SOPA-Hintergründe).
Die Politik
Die Politik ist Zuschauer bei den Kämpfen der beiden Unternehmensarten und gut darin, die Nutzer bei Zweifeln in Haftung zu nehmen. Die Teleologie der Politik ist bestimmt durch die Frage: „Was gibt es heute Mittag in der Kantine?“ Die Spielregeln der Medienschlacht sind veraltet, es gibt kein probates Mittel, die Situation zu überblicken, geschweige denn zu steuern. Das Leistungsregister der Politik umfasst folgende Einträge: Mangelhaftes Datenschutzgesetz. Mangelhaftes Urheberrechtsgesetz. Mangelnde Internationalisierung der Anstrengungen. Mangelnde Globalisierung des Denkens. Ausbleibende Vorausschau.
Der „Kampf der Zivilisationen“ ist in Wirklichkeit ein vierpoliger „Weltkrieg der Zivilisationen“, der maßgeblich vom Pulverfass der Unternehmen und einem Brandstifter ausgeht: der Politik. Sie hat es versäumt, ordentliche Vorgaben in einem digitalen Zeitalter zu machen und schaut nun auf das zerschlagene Porzellan, das IT- und Content-Giganten (und im Fahrwasser zweifelsohne auch die Nutzer) hinterlassen haben. Dass konservative Politiker in diesen Tagen die guten alten Zeiten der analogen Harmonie herbeisehnen und sich dabei die Unterstützung der Biedermänner erhoffen, ist nur logisch. Aber auch gefährlich. Wie sagt man so schön?“ Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Die Selbstentmachtung der Politik hat Anfang des 21. Jahrhunderts ihren Höhepunkt in fast allen Bereichen des gesellschaftichen Lebens erreicht. Und die neue Strategie im Überlebenskampf lautet nun offenbar bei einigen, sich für die Vergangenheit zu rüsten.