Mathematisches Gedankenexperiment: Der Tag, an dem Windows NT ein Kriegsschiff lahmlegte Warum das Teilen durch Null der Schlüssel zu einer anderen Welt wäre

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Am 21. September 1997 durchschiffte der amerikanische Lenkwaffenkreuzer USS Yorktown die Gewässer rund um die Landzunge von Cape Charles, im Osten der Vereinigten Staaten. Es handelte sich um einen Routineeinsatz, eine Reihe von Manöverübung und Tests standen an. Ein Jahr zuvor war das Schiff von der US-Navy in die Testgruppe der „Smart Ships“ aufgenommen worden: Neue und erstmals richtig vernetzte Hard- und Software sollten den Kreuzer nicht nur leistungsfähiger machen, sondern auch beim Personal für Einsparungen sorgen. Insgesamt verfügte das System über 27 per Glasfaser verbundene Workstations, die Wahl des Betriebssystems fiel auf Windows NT – verglichen mit UNIX hatte Microsofts Lösung einfach das schönere GUI.

Während des Manövers fiel plötzlich einem der Besatzungsmitglieder auf, dass das System ein geschlossenes Ventil fälschlicherweise als offen markiert hatte. Kurzerhand gab der Seemann die vermeintliche Korrektur direkt in die Datenbank ein, indem er dort eine Null notierte. Unmittelbar danach drehten alle computergesteuerten Funktionen an Bord durch und schalteten sich nacheinander ab, bis schließlich sogar der Antrieb des Schiffes versagte und der 10.000 Tonnen schwere Kreuzer navigationsunfähig offen auf dem Wasser trieb. Er musste in der Folge von Schleppern in die Flottenbasis in Norfolk zurückgebracht werden. Bei späteren Analysen wurde herausgefunden, dass das System offensichtlich versucht hatte, eine Division durch Null durchzuführen – ein Glitch, der auf die Kappe des Software-Entwicklers geht, der diesen schweren Fehler übersehen hatte.

Eine Division durch Null?
Da klingelt doch was.

In der Schule wurden uns eine Reihe grundsätzlicher, allgemeingültiger Regeln der Mathematik beigebracht, etwa „Punkt vor Strich“, „Was in Klammern steht, wird zuerst ausgewertet“ und natürlich „Niemals durch Null teilen!“. Das Warum hat uns eigentlich nie interessiert, denn schon die Intuition verriet die Sinnlosigkeit des Anliegens: „Wenn sich null Freunde drei Kekse teilen, wie viele bekommt dann jeder?“ Das Ergebnis wäre nutzlos und so wäre es auch die ganze Rechnung.

Eine kleine Einführung in X ÷ 0

Man kann das Verbot auch noch anders verargumentieren: In der Mathematik muss jedes Ergebnis umkehrbar sein: Wer 10 ÷ 5 rechnet, erhält 2. Mit 5 multipliziert ist das Ergebnis wieder 10. Teile ich aber 10 ÷ 0, so erhalte ich ein Ergebnis X. Multipliziere ich X · 0, so landen wir aber immer wieder bei 0.

Das Einzige, was sicher scheint, ist die Feststellung, dass je kleiner die Zahlen werden, durch die ich teile, desto größer wird das Ergebnis. Bleiben wir im Beispiel bei positiven natürlichen Zahlen:

10 ÷ 5 = 2
10 ÷ 2 = 5
10 ÷ 1 = 10
10 ÷ ½ = 20
10 ÷ ¼ = 40
10 ÷ ⅛ = 80
usw.

Je weiter sich der Divisor also der Null annähert, desto höher wird das Ergebnis, der Quotient – so dass wir uns beim Teilen durch Null unweigerlich immer weiter dem nähern, was wir unter Unendlichkeit (∞) verstehen. Genau diese endlose Rechnung versuchte das Windows-Bordsystem der USS Yorktown, ehe es zum Buffer Overflow kam und alle Rechenkapazitäten ausgeschöpft waren. Moderne Software verbietet daher a priori das Teilen durch Null. Sehr schön ist der Wahnsinn, die Unendlichkeit in Zahlen zu fassen, aber noch immer bei mechanischen Rechnern zu anzusehen:

∞ ist keine Zahl, sondern ein Ziel, das in bisherigen Zahlensystemen nie erreicht werden kann. Doch wenn wir uns auf das Konzept Division durch Null einließen, hätte dies folgenschwere Auswirkungen auf… quasi alles! Denn in der Folge hieße dies auch:

∞ + 0 = ∞
∞ + 1 = ∞
∞ + 2 = ∞
∞ + 5 = ∞

Kurzum:
0 = 1 = 2 = 5 usw.

Das Tor zu einer anderen Welt

In dem Moment, in dem ich eine Zahl durch Null teile, verschwinden die Unterschiede, alles wird uniform. Die Logik der Mathematik, die Sprache, mit der wir die Welt systematisch erfassen, würde augenblicklich aufgelöst, denn alle Zahlen sind identisch: Alles ist eins – oder besser Null. Wir betreten eine völlig andere Welt, eine Sphäre, in der das eine gleichzeitig auch das andere ist. Philosophisch gesprochen, wären wir fundamental auf der metaphysischen Ebene angelangt, denn das Wesen der Dinge liegt nun weder außerhalb (Plato), noch im einzelnen Seienden (Aristoteles), denn allem liegt dasselbe Wesen zugrunde. Wir alle wären eins mit allem was ist – in einem Universum, das gleichzeitig ein Wir ist. Es sind Vorstellungen, wie wir sie bislang von den Religionen der Welt vermittelt bekamen, das Einzelne wird zum Ganzen und so weiter.

Das ist der Grund, weshalb Mathematiker der vergangenen Jahrtausende die Division durch Null schlichtweg als unzulässigen Nicht-Gedanken aus der Rechnung nahmen. Wenn wir heute moderne Rechner zur Hand nehmen und die verbotene Division eingeben, bleibt das Tor zur Welt der absoluten Gleichheit verschlossen. „Undefiniert“, steht dort im Display. Oder „ERROR“. Noch jedenfalls.