Offizielle Facebook-Malware: Seamless Sharing bringt Blogger auf die Palme

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Die Fraktion der Befürworter bröckelt – und zwar jetzt auch in den Staaten! US-Amerikaner sind gut darin, Innovationen in Dingen zu sehen, vor denen die Alte Welt zunächst zurückschreckt. So war es auch kein Wunder, dass unzählige Blogger und IT-Channels aus den Staaten applaudierten, als Facebook im September das „Frictionless Sharing“ vorstellte – eine Funktion, die den Like-Button praktisch überflüssig macht, da Inhalte künftig rein automatisch geteilt werden sollen. In Deutschland erzitterte seinerzeit kurz das Web; das Thema Datenschutz sitzt uns allen seit Monaten in den Knochen.

Doch nun beginnt das Roll-Out des Features im Netzwerk und man kann ein deutliches Umdenken bei den Innovationsanhängern feststellen. Sowohl Cnet als auch ReadWriteWeb teilen erstmals Prügel Richtung Facebook aus. Ein paar O-Töne:

  • „Facebook’s Open Graph scheme is totally ruining sharing.“
  • „Violation of reasonable user expectations.“
  • „It is hijacking of your navigation.“
  • „Facebook is acting like malware.“
  • „I’m afraid to click any links on Facebook these days.“

Der Hintergrund: Facebook ermutigt Publisher, Spieleschmieden, Film- und Musikanbieter ihre Angebote durchweg auf „sozial“ umzustellen. Der Content wird dabei in App-Silos verpackt, in deren Rahmen jede Aktion der Nutzer aufgezeichnet, gespeichert und unumwunden in der jeweiligen Timeline gepostet wird: „Lisa hört gerade diesen und diesen Song.“, „Peter liest diesen und diesen Artikel.“ Während unsere Datenschützer unisono aufschreien und die nächste Stufe der Totalüberwachung befürchten (was nicht der Fall ist, denn heute liegen die Daten eh bereits vor – nun werden sie aber erstmals sichtbar), so stößt man sich in Übersee an zwei anderen Dingen:

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  1. Aus der Nutzerempfehlung, die der Like-Button einmal repräsentierte, wird der monotone Automatismus eines pseudosozialen Vollzugs. Bislang wurden Inhalte geteilt, wenn man ihnen eine gewisse Relevanz beimaß und die Aufmerksamkeit der Freunde pointiert darauf lenken wollte. Nun wird alles passiv verbreitet. Aus dem Digital Footprint wird ein Digital Bodyprint, die Timelines quellen vor unbewusst geposteten Meldungen über: „Sharing and recommendation shouldn’t be passive. It should be conscious, thoughtful, and amusing — we are tickled by a story, picture, or video and we choose to share it, and if a startling number of Internet users also find that thing amusing, we, together, consciously create a tidal wave of meme that elevates that piece of media to viral status. We choose these gems from the noise. Open Graph will fill our feeds with noise, burying the gems“, so Molly Wood von Cnet. Vor wenigen Jahren dachten Facebook-Mitglieder, dass sie mit Farmville-Benachrichtigungen der Kollegen hart geschlagen seien. „Frictionless Sharing“ aber ist Farmville in n-facher Potenz. Es bleibt ein Grundrauschen (das eher ein Drönen ist) von 800 Millionen Nutzern.
  2. Trotz des schweren Vorwurfs der globalen Timeline-Verschmutzung wiegt das zweite Argument gegen das Auto-Sharing ungleich schwerer: Facebook wird zur größten Malware-Schleuder: „Monika liest gerade diesen Artikel“, heißt es auf der Pinnwand. Wer jedoch dem angegeben Link folgt, landet nicht bei der Story, sondern bei einer Dialogbox, die zur Installation der News-App aufruft. Hier gibt es Elemente der Justierung (etwa, wer die passiv geteilten Inhalte sehen darf) und auch indirekt einen nicht weiter benannten Opt-Out-Mechanismus (Klick auf „Abbruch“): „Got that? In order to do what you originally wanted to do when you clicked on a link, you have to click cancel on the menu that popped-up when you clicked on that link. That’s not unintuitive, that’s counter-intuitive. That it’s proven so wildly effective and feels like it caught people unaware makes it feel like an action taken in bad faith by Facebook – like you were tricked“, schreibt ReadWriteWeb. Nutzer werden getäuscht, da sie plötzlich andere Inhalte geboten bekommen, als ihnen eigentlich versprochen wurde: „That hijacking of your navigation around the web is the kind of action taken by malware. It’s pushy, manipulative and user-hostile.“

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Es ist nicht verkehrt, kurz die Begrifflichkeiten zu sortieren: Mit 800 Millionen Nutzern ist Facebook ein privatwirtschaftlich geführtes Meta-Internet mit eigenen Regeln. Und was nach den bisherigen Plänen hier passieren wird, ist die Einführung eines Trojanischen Pferdes: „Ein Trojanisches Pferd (kurz Trojaner) ist eine Kombination eines (manchmal nur scheinbar) nützlichen Wirtsprogrammes mit einem versteckt arbeitenden, bösartigen Teil, oft Spyware oder eine Backdoor. Ein Trojanisches Pferd verbreitet sich nicht selbst, sondern wirbt mit der Nützlichkeit des Wirtsprogrammes für seine Installation durch den Benutzer.“ (Wikipedia) Doch hier – auf Facebook – heißt die Malware „Feature“.

Der Effekt des ungewollten Opt-Ins wird für Millionen von Nutzern eintreten, das Frictionless Sharing wird viral eingeführt und Publisher freuen sich auf die ebenso geballte wie gleichmäßige Verteilung ihres Contents. Molly Wood ruft daher zum Boykott der Funktion auf: „Keep copy-paste alive, I beg you: please don’t install these ’social reader‘ type apps. Troll the Web as you usually do, and post the links you want to share.“ Dem Appell kann man sich nur anschließen.

14 Kommentar

  1. Für diesem Strom an Nicht-Information habe ich auch Bammel. Was sind denn Lösungsvorschläge? (Abmelden scheidet ja aus, bis Google+ oder Diaspora deutlich an Fahrt gewinnt.) Ich kann und werde ja keine dieser Apps nutzen. So schone ich schon mal meinen Freundeskreis. Und wahrscheinlich kann man ja auch alles verbergen, oder?

  2. Ich hoffe stark, dass sich diese Funktionen verstecken lassen. FB ist ja jetzt schon (bei einer durchschnittlichen Freunde-Zahl von ca. 220) ein nervöses Portal, wo sich alle paar Sekunden etwas tut. Wenn da noch das automatische Sharing hinzukommt, wirkts wie eine Aktienticker an der Börse, wo die Meldungen nur so runterasseln. Mag ja im Werbevideo von Facebook recht ansehnlich wirken, aber ungeachtet der Datenschutz-Gedanken kann das auch ein Schuss ins Knie werden, da der Gedanke von FB immer mehr in der viralen Verbreitung von Werbung liegt. OK, der Gedanke war vermutlich stets da, aber nun wirds mit einem optischen Overkill gelöst. Das Wort „dezent“ scheint es im FB-Slang nicht zu geben!
    Aber ich gebe @Sean recht: Solange Diaspora nicht anzieht, werden nicht allzuviele wechseln, und die Nutzergruppe von G+ definiert sich ohnehin anders! Da werden wohl nur sehr wenige hinwechseln….
    Nichts desto trotz könnten daher informative Beiträge vermehrt über Twitter und G+ transferiert werden, und FB sich auf ein wirklich privates social network verändern.

  3. @Sean:
    Ich habe Google+ gegenüber ähnliche Bedenken wie Facebook, die nehmen sich nicht viel. Von Diaspora habe ich schon besseres gehört, würde allerdings erstmal abwarten, ob ich sowas überhaupt brauche. Vorteile hat es schon, aber aus reiner Menschenfreundlichkeit richtet niemand solche Netzwerke ein, daher mal schaun wie es sich entwickelt.

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